Zum Tod von Carlo Strenger

Der Psychoanalytiker der Globalisierung

04:28 Minuten
Carlo Strenger in einem schwarz-weiß konvertierten Porträtbild aus dem Jahr 2016. Er trägt eine Brille und schaut konzentriert und nachdenklich Richtung Betrachter.
"Einer der eindrücklichsten Kritiker der zeitgenössischen politischen und kulturellen Landschaft": Catherine Newmark über den schweizerisch-israelischen Psychologen Carlo Strenger. © Rami Zarnegar / CC BY-SA 4.0
Catherine Newmark im Gespräch mit Britta Bürger · 25.10.2019
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Diese verdammten liberalen Eliten, ohne die es aber doch nicht geht: Carlo Strenger beschrieb, was die Globalisierung mit dem Menschen macht. Am Freitag ist der israelische Psychoanalytiker im Alter von 61 Jahren gestorben.
Der Psychoanalytiker, Philosoph und Publizist Carlo Strenger ist tot. Wie der Suhrkamp-Verlag mitteilte, starb Strenger am Freitag im Alter von 61 Jahren in Tel Aviv.
Mit Strenger verliert die Welt "einen der eindrücklichsten Kritiker der zeitgenössischen politischen und kulturellen Landschaft", der sich durch Schärfe und Besonnenheit gleichermaßen ausgezeichnet habe, sagt unsere Philosophie-Redakteurin Catherine Newmark.
Geboren wurde Carlo Strenger am 16. Juli 1958 in Basel, wo er in einer jüdisch-orthodoxen Familie aufwuchs. Später wandte er sich vom Glauben ab und der Psychologie zu und wanderte nach Israel aus. Dort wurde er ein prominenter linksliberaler politischer Kommentator, arbeitete als Psychoanalytiker und Therapeut und verfasste zahlreiche Bücher.

Einer, der immer beide Seiten sah

"Eines seiner bekanntesten Bücher hierzulande ist 'Israel – Einführung in ein schwieriges Land', wo er aus interner Perspektive vermittelnd versucht zu beschreiben, wie dieser Konflikt zwischen säkularen und orthodoxen, religiösen Juden, wie man den verstehen kann", so Newmark.
Auch in seinen anderen Werken habe Strenger immer versucht, beide Seiten zu sehen: im Konflikt zwischen Links und Rechts oder wenn es um die Verwerfungen von Political Correctness auf der einen Seite und "rechtspopulistischen Angriffen auf den linksliberalen Mainstream" auf der anderen Seite geht.
In den vergangenen Jahren wandte sich Strenger in seinen Arbeiten vermehrt Fragen der Globalisierung zu und wie diese sich auf die Psyche des Individuums auswirkt. Etwa in seinem erst vor wenigen Monaten erschienenen Buch "Diese verdammten liberalen Eliten. Wer sie sind und warum wir sie brauchen".

Das Individuum als gesellschaftliches Wesen

"Ich glaube, dass einige seiner Werke wirklich bleibend sind, indem sie den Menschen in der Globalisierung beschreiben", betont Newmark. "Er tat das als Psychoanalytiker, der zum Philosoph wurde. Er war in diesem Sinne ein bisschen wie Sigmund Freud, der in seinen besten Schriften auch die Psychoanalyse zu einer Kulturtheorie auszuweiten verstand: Also nicht nur das Individuum beschreiben, sondern das Individuum als einen Bewohner einer Welt und die Welt macht das Individuum zu dem, was es ist."
Das könne auch in Jahrzehnten noch mit Gewinn gelesen werden, so Newmark. "Er wird fehlen."
(uko)
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