Zum Tod von Boris Nemzow

"Ich möchte, dass Russland frei wird"

Boris Nemzow
Der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow wurde erschossen. © Picture Alliance / DPA / Andrei Aleksandrov
Von Isabella Kolar · 28.02.2015
Der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow hatte keine Angst, das System Putin offen zu kritisieren. Heute Nacht wurde er auf offener Straße in Moskau erschossen. Seine Worte aber bleiben.
Der stattliche Boris Nemzow hat an diesem Wintermorgen vor einem Jahr, egal wo er steht und geht, immer eine Schar von Anhängern um sich herum versammelt, meist weibliche. Der 55-Jährige genießt es und seine dunklen Augen strahlen fröhlich und tatendurstig. Doch als er das Studio betritt wirkt er ruhig und konzentriert, hört den Fragen aufmerksam zu, antwortet auf den Punkt:
"Ich denke, dass Putin keine starke Persönlichkeit ist. Er hat die staatlichen Institute ruiniert. Wir haben bei uns keine Gerichtsbarkeit, keine ordentliche Polizei. Wir haben nach wie vor Terrorakte im Land. Es fehlt an Rechtsschutz. Es gibt Korruption in den Behörden. Die wissen genau, dass sie straffrei sind und dass sie alles tun können, wenn sie gegenüber Putin loyal sind. Also, wir sind eine Bananenrepublik. Wir leben dank unseres Öls und dank unserer Rohstoffe. Ich finde auch, dass er kein sehr kluger Mann ist. Ich meine, wer kommt auf die Idee, die Winterolympiade in den Subtropen durchzuführen? Das ist ja absoluter Schwachsinn.
Nemzow bezeichnete Russland als Bananenrepublik
Nemzow, der 1959 in Sotschi geboren wurde und in Gorki, dem heutigen Nischnij Nowgorod aufwuchs, hat sich massiv gegen die Olympiade in seiner Heimat eingesetzt, vor allem gegen die damit zusammenhängende Geldverschwendung. Dieser "persönliche Triumph Putins" sei in einem Land, in dem es 20 Millionen sehr arme Menschen gibt, eine Tragödie.
Boris Nemzow war ein mutiger Mensch. Er hatte keine Angst, das System Putin offen zu kritisieren und keiner wusste besser als er, was er damit für ein Risiko einging. Der promovierte Strahlenphysiker wurde 16-mal inhaftiert, Putins Leute – wie er erzählte – versuchten auch ihm eine "Strafsache" anzuhängen, aber alle Maulkörbe verfehlten ihr Ziel, der Mann redete einfach weiter.
"Putin hat tödliche Angst vor Konkurrenz. Er hat tödliche Angst, seinen Posten zu verlassen. Wo, bitteschön, ist das seine Stärke? Mubarak, Assad, Gaddafi – sind das starke Personen? In meinen Augen nicht. Klar, sie haben versucht, sich an die Macht zu klammern. Sie haben sich die eigenen Taschen gefüllt, aber das ist doch bitteschön kein Ausdruck von Stärke."
Kampf für Demokratie und Freiheit
Der ehemalige Jelzin-Zögling und erste Vizepremierminister der Russischen Föderation, der sich gegen den Tschetschenienkrieg einsetzte und selbst als Liberaler in der Wirtschaft und Anhänger eines starken Staates in der Politik bezeichnete, verlor mit dem Amtsantritt von Präsident Putin im Jahr 2000 schnell an politischem Einfluss. Und auch wenn er in Deutschlandradio Kultur vor einem Jahr seine Rolle in der Opposition als nicht mehr so wichtig einschätzte, eines war Boris Nemzow immer wichtig: "Ich möchte, dass Russland frei wird, demokratisch wird, ein Rechtsstaat wird".
"Ich denke, wenn man ein Gegner des Putinschen Systems ist, kommt man, ob man will oder nicht, mit dem Gesetz in Konflikt. Wenn man ein Dieb ist, kann man bei uns manchmal gut leben. Die Leute, die bei der Olympiade diesen großen Diebstahl begangen haben, sind Freunde von Putin. Denen ist nix passiert. Das wissen wir alle. Wir kennen den Fall von Nawalny. Wir kennen den Fall von Chodorkowski, der zehn Jahre lang eingesessen hat wegen einem politisch konstruierten Fall. Wir wissen, dass es im Staat große Rechtlosigkeit gibt. Aber wichtig ist ja, dass wir trotzdem für unser Land kämpfen, dass wir nicht wegfahren. Die Banditen, die sollen weg aus unserem Land. Es ist wichtig, dass man für Gesetze kämpft, für Demokratie, für Wettbewerb, für Europa. Deswegen werde ich auch im Land bleiben und diesen Kampf fortsetzen."
Heute Nacht hat Boris Nemzow seinen Kampf in Moskau verloren.
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