Zum Tag der Deutschen Einheit

Wiedervereinigt und unbekannt – ein Land oder fremde Welten?

85:24 Minuten
Eine Hand ruht auf einem Teil der Berliner Mauer.
"Mir war Amerika vertrauter als die DDR", sagt der Dokumentarfilmer Roland Blom über die Zeit vor der Wende. © imago images / Winfried Rothermel
Sabine Rennefanz und Roland Blum im Gespräch mit Katrin Heise · 03.10.2019
Audio herunterladen
Seit 29 Jahren ist Deutschland wiedervereinigt. Für die einen eröffneten sich völlig neue Welten, für andere brach eine Welt zusammen – und für manche blieb scheinbar alles wie gehabt. Waren die Menschen in Ost und West offen genug für das Neue?
Als 1989 die Mauer fiel, hat wohl kaum jemand damit gerechnet, dass Deutschland bereits ein knappes Jahr später wiedervereinigt sein würde. Die Geschwindigkeit dieses Prozesses hat viele überrascht und einige überrumpelt. "Aus dem Osten zu kommen war in den 90er-Jahren auf jeden Fall noch negativ besetzt", sagt Sabine Rennefanz. Die Brandenburger Autorin und Journalistin war zur Wendezeit 14 Jahre alt und wollte nach dem Abitur unbedingt im Westen studieren, wo für sie damals klar die Zukunft lag. Dort war ein immer wieder gehörter und als Kompliment gemeinter Satz: "Man sieht dir gar nicht an, dass du aus dem Osten kommst."

Klärungsbedarf bis heute

Die Ahnungslosigkeit vieler "Wessis" gegenüber dem Ostteil Deutschlands ist bis heute geblieben, meint Rennefanz, die inzwischen allerdings ein neues Selbstbewusstsein in Bezug auf ihre Herkunft entwickelt hat. "Lange Zeit wollte ich nicht die Ost-Erklärerin sein", sagt sie. Heute stellt sie sich dieser Aufgabe bereitwillig und hat mit "Eisenkinder" ein Buch geschrieben, das weitreichenden Einblick in das Erleben eines Systemwechsels auf Seiten des Ostens liefert.
"Mir war Amerika vertrauter als die DDR", sagt Roland Blum. Der hessische Dokumentarfilmer und Kameramann, der in über 100 Ländern gearbeitet hat, nahm bis Ende der 80er-Jahre den Ostteil Deutschlands kaum wahr. 1989 erhielt er vom ZDF den Auftrag, die Ereignisse in der Prager Botschaft zu filmen. Was er dort sah, hat ihn schwer bewegt: "Das waren Schlüsselmomente. Zu sehen, wie Menschen ihre Kinder über den Zaun aufs Botschaftsgelände werfen, werde ich nie vergessen."
Das Thema lässt ihn nicht mehr los – er filmt über mehrere Tage die Besetzung der Stasi-Zentrale in Erfurt und macht schließlich eine Langzeit-Dokumentation über Umweltkatastrophen in der ehemaligen DDR. "Die Umweltbewegung hat den Wandel ganz stark voran getrieben", meint Blum. Er ist beeindruckt von den Risiken, die einzelne Bürger eingegangen sind und von den positiven Ergebnissen: "Für die Natur war die Wende auf jeden Fall ein Gewinn."

Ungleiche Perspektiven

Während die Menschen im Osten der Republik gar keine andere Wahl hatten, als sich mit dem Neuen auseinanderzusetzen, wie auch immer das geschah, sei ein solches Interesse auf Seiten des Westens doch eher die Ausnahme, meint Sabine Rennefanz. Auf einer Reise der Familienministerin Franziska Giffey war Rennefanz von 30 begleitenden Journalisten auch dieses Jahr noch die einzige aus dem Osten – und fand sich mal wieder in der Position, den Westlern die Welt der fünf, doch eigentlich gar nicht mehr so neuen, Bundesländer erklären zu müssen. Auch 29 Jahre nach der Wiedervereinigung stellt sich für viele Deutsche weiterhin die Frage, wie gut sie die Vergangenheit des anderen Deutschlands kennen, was sie vom Alltag der Menschen heute wissen und wie sie mit dem Anderen umgehen.

Wiedervereinigt und weithin unbekannt – ein Land oder fremde Welten auch Jahrzehnte später? Darüber diskutiert Katrin Heise von 10:05 Uhr bis 12 Uhr mit Sabine Rennefanz und Roland Blum Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de .

Mehr zum Thema