Zum Flüchtlingsgipel in Paris

Verdrängen geht nicht mehr

Der Politikwissenschaftler und Publizist Albrecht von Lucke sitzt im Studio von Deutschlandfunk Kultur.
Der Politikwissenschaftler und Publizist Albrecht von Lucke zu Gast im Studio 9: Wollen die Bürger überhaupt eine Wahl haben? © Deutschlandradio – Laura Lucas
Albrecht von Lucke im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 28.08.2017
In der Afrikapolitik habe seit Jahrzehnten das Motto gegolten: "Aus den Augen, aus dem Sinn", sagt der Politologe Albrecht von Lucke. Er befürchtet, dass die Politik beim Flüchtlingsgipfel in Paris sich nur Abhilfe schaffen will und eigentlich vor größeren Herausforderungen steht.
In der Flüchtlingskrise wollen Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien mit afrikanischen Ländern zusammenarbeiten, um Migrationsbewegungen nach Europa einzudämmen. Auf einem Gipfel in Paris, wollen die europäischen Regierungschefs dieser Länder mit Vertretern aus dem Niger und dem Tschad sowie der international anerkannten Übergangsregierung in Libyen eine Übereinkunft erzielen. Gleichzeitig ist die Zahl der Flüchtlinge, die Italien über das Mittelmeer erreicht, deutlich zurückgegangen. Im Vergleich zum Vorjahr kamen allein in diesem Monat knapp 90 Prozent weniger Flüchtlinge an Italiens Küsten an.
"Die Politik schafft oberflächlich Abhilfe, nämlich dem Zustrom", sagte der Politologe und Publizist Albrecht von Lucke im Deutschlandfunk Kultur über das Gipfeltreffen. Es handele sich vielmehr fast um ein Jahrhundertproblem. Es sei das Ziel von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem GAU im Sommer 2015, als die große Zahl der Flüchtlinge dazu führte, dass sie selbst und ihre Partei massiv an Beliebtheit verloren, jetzt die illegale Migration zu bekämpfen und zurückzudrängen. "Das ist ihr in der Tat soweit gelungen, das hat sie ein stückweit in den Griff bekommen." Aber damit sei die Frage nach der Gerechtigkeitskluft und der Anziehung Europas nicht gelöst. "Ich glaube, das ist das eigentliche Problem."

"Aus den Augen, aus dem Sinn"

In der Afrikapolitik habe seit Jahrzehnte das Motto gegolten: "Aus den Augen, aus dem Sinn", sagte Lucke. Erst vor zwei Jahren sei das Problem durch die Fluchtfrage auf die Agenda gekommen. Es habe sich nicht mehr verdrängen lassen, dass sich Millionen von Menschen auf den Weg machen. Es gebe einerseits den Versuch, die "Festung Europa" dicht zu machen, aber auch die Einsicht, dass das langjährige Verdrängen nicht mehr funktioniere. "Deswegen glaube ich durchaus, dass Angela Merkel auch ehrliche Absichten hat, wenn sie sagt, wir müssen einen Pakt mit Afrika schließen." Dabei stelle sich aber die Frage, ob sich ein "globaler Planet" solche Unterschiede in den Lebensverhältnissen leisten könne.
Lucke verwies außerdem auf den kantianischen Anspruch eines Gastrechts für alle: "Wer könnte behaupten, dass wir, die wir das Glück hatten, in diesem reichen Staat Bundesrepublik geboren zu werden, dass wir ein größeres Anrecht auf diesem Reichtum haben?" In der Realität habe sich dann aber der Anspruch der Moral an den politisichen Verhältnissen gebrochen, so Lucke.
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