Zum 40. Todestag des spanischen Diktators

Francos langer Schatten

General Franco nimmt 1959 von der Tribüne des Präsidentenpalastes in Madrid eine Parade ab.
General Franco nimmt 1959 von der Tribüne des Präsidentenpalastes in Madrid eine Parade ab. © dpa
Von Marc Dugge und Daniel Sulzmann  · 19.11.2015
Als sich General Franco 1936 an die Macht putschte, folgten in Spanien Bürgerkrieg und eine Diktatur mit mehr als 100.000 Opfern. Sowohl junge als auch alte Spanier tun sich heute schwer im Umgang mit der Gewaltherrschaft. Soll man die damaligen Verbrechen vergessen oder aufklären?
20.November 1975. Die Nachricht geht durch das ganze Land.
"Spanier, Franco ist gestorben."
Getragen von Pathos verkündet Carlos Arias Navarro, der damalige spanische Regierungschef, das Ende einer Ära. Einer Ära des Schreckens. Die ihren gewaltsamen Anfang nahm mit der schnarrenden Stimme eines Mannes, von dem es heißt, dass er später, während er eine Tasse Schokolade trank und Kekse aß zum Frühstück, Hinrichtungsurteile unterzeichnete.
"Mit dem heutigen Tag ist das Rote Heer in Gefangenschaft und entwaffnet, die National-Truppen haben ihre letzten militärischen Ziele erreicht. Der Krieg ist zu Ende."
Francisco Franco im Jahr 1939. Drei Jahre Bürgerkrieg liegen hinter Spanien. Franco hatte im Juli 1936 geputscht. Hier die katholisch-erzkonservativen Anhänger Francos, dort die freigewählte aber zerstrittene Republik mit Regierungssitz in Madrid. Franco war mit seinen Truppen von Marokko aus nach Spanien eingerückt. Hatte die schlecht kommandierten und noch schlechter ausgerüsteten republikanischen Truppen zuletzt eben 1939 besiegt. Immer wieder kam es zu Massakern. Kinder, Alte, Frauen, es wurde kein Unterschied gemacht.
Wer in diesen Konflikt geriet, für den reichte wenig zum Sterben – es ging schnell – eine andere Meinung, eine Haltung, vielleicht auch ein schönes Grundstück, das schon immer gut in die Familie gepasst hätte, Schulden, alte Rechnungen im Wortsinn, all das reichte, um ermordet zu werden. Schätzungen sprechen von über 130.000 Opfern, alleine durch die franquistischen Truppen. Doch wie in jedem Bürgerkrieg können sich beide Seiten nicht von Verbrechen freisprechen. Schnell werden auch immer wieder die rund 7000 katholischen Priester erwähnt, die von radikalen Gegnern der Kirche ermordet wurden. Keine große Kirche in Spanien, in der nicht bis heute Tafeln hängen, für die Priester, die "ihr Leben für Gott und das Vaterland gegeben haben".
Für die Opfer franquistischer Gewalt gibt es selten Tafeln. Wenn, dann eher in ländlichen Gegenden, in denen seit Jahrzehnten die Sozialisten das Sagen haben. In der Extremadura oder Andalusien. Die Diskussion wird sogar im spanischen Parlament über einen Gedenktag für die Opfer der Franco-Diktatur fortgesetzt –selbst hier läuft alles in den ausgetretenen Bahnen. Der 18. Juli als Tag des Staatstreiches soll ein Tag sein, an dem der Franquismus verurteilt wird. Der 18. Juli deshalb, weil das der Tag des Putsches von Franco ist. Am 18. Juli 1936 begann der Bürgerkrieg in Spanien. Natürlich wird der Antrag abgeschmettert mit der Mehrheit der Stimmen der konservativen Partido Popular. Und natürlich prallt hier wieder der übliche Diskurs aufeinander.
Jose Luis Centella: "In Spanien gab es einen Staatsstreich. Einen Staatsstreich, der einen Bürgerkrieg provozierte, der den Weg freimachte für eine grausame Diktatur, in der es Opfer gab, die es verdienen, dass Ihnen Gerechtigkeit widerfährt."
Pedro Ramón Gómez de la Serna: "Der letzte Triumph des Franquismus wäre es, wenn wir 80 Jahre später immer noch an den Staatsstreich denken würden."
80 Jahre später klingt nach einer langen Zeit. Heißt das automatisch "Schwamm drüber"?
Statt Rock-Musik gab es Tod und Terror
In den 70er-Jahren, während anderswo Rock-Musik und sexuelle Befreiung gepredigt werden, kurz vor Francos Tod, ist der Diktator durchaus präsent. Tödlich präsent. Im August 1975, als Millionen Touristen sich im Bikini an Spaniens Stränden sonnen, verschärft die Regierung die Anti-Terrorgesetze. Und setzt wieder Militärtribunale ein. Diese verhängen noch Ende September Todesurteile – fünf radikale Regimegegner werden hingerichtet. Es gibt einen Sturm der Entrüstung in aller Welt. Einige Todesurteile werden in lange Haftstrafen umgewandelt. Auch die von Manuel Blanco Chivite, damals 30 Jahre alt. Dem Journalisten wird zur Last gelegt, bei einem Attentat indirekt involviert gewesen zu sein. Blanco steht damals linken Extremisten nahe. In seiner Isolationszelle erfährt er vom Tod Francos. Zusammen mit seinen Haftgenossen von einst erinnert er sich:
"Wir haben am Morgen davon erfahren. Es gab auf einmal viel lautes Gerede im Gefängnishof. Sie haben gefeiert. Und wir sagten uns: Da ist was passiert. Wir hatten den Tod von Franco erwartet. Da haben wir uns gesagt: Der ist tot. Erstmal wurden allerdings die Haftbedingungen verschärft. Wir blieben in Isolationshaft, erst im Januar darauf wurden wir zusammengelegt – und dann in unterschiedliche Gefängnisse im ganzen Land verteilt."
Einige Monate muss sich Manuel noch gedulden. Dann kommt er endlich frei. Genau wie alle anderen politischen Gefangenen, die vom Franco-Regime verurteilt worden. Möglich machte das ein Amnestiegesetz, das 1976 verabschiedet wurde – und Schritt für Schritt zur Generalamnestie ausgebaut wurde. Das heißt: Alle Fälle mutmaßlicher politischer Straftaten vor 1977 wurden ein für alle Mal ad acta gelegt. Auch der Fall von Manuel. Doch richtig freuen konnte er sich nicht darüber:
"Ich brauche doch in einem demokratischen Land keine Straffreiheit dafür, dass ich als Teil des Widerstands gegen eine Diktatur gekämpft habe! Das ist doch eine Bürger-Pflicht! Damit kann es jeder halten, wie er will, man kann sich auch raushalten – das ist völlig legitim. Aber doch keine Straffreiheit dafür, gegen eine Diktatur gekämpft zu haben!"
Die Amnestie galt auch für die andere Seite: Für die Täter des Franco-Regimes, die Verantwortlichen für Zehntausende Morde während und nach dem spanischen Bürgerkrieg. Spätere Versuche, die Täter der Franco-Zeit vor Gericht zu bringen, verliefen erfolglos.
Umstrittenes Franco-Denkmal
Wir fahren zum Grab von Francisco Franco. Es liegt in der Sierra de Guadarrama, den Bergen rund 30 Kilometer nördlich von Madrid. Die Straße schlängelt sich durch den Wald, die Nebelwolken hängen tief über dem Gebirge. Hier liegt es, das gigantische Denkmal, dass sich Franco noch zu Lebzeiten gesetzt hat: Das Valle de los Caídos, das Tal der Gefallenen. In ein Bergtal hat er eine enorme Basilika über 260 Meter tief in einen Fels bauen lassen. Auf dem Felsen selbst thront ein riesiges Kreuz – das größte freistehende Kreuz der Welt. Unter den Bauarbeitern waren damals auch viele Kriegsgefangene. Es muss eine mörderische Arbeit gewesen sein, denn Maschinen gab es kaum. Viele sollen dabei gestorben sein.
In der Basilika ruhen die Gebeine von rund 30.000 Gefallenen des Bürgerkriegs – die allermeisten von ihnen gehörten Francos Truppen an. Francos Grab befindet sich unter der Kuppel der Basilika. Er ist der einzige der Toten hier, der nicht während des Bürgerkriegs starb. Foto- und Videoaufnahmen sind hier in der Basilika verboten. Wer die Kirche betreten will, muss seine Gegenstände von einem Scanner durchleuchten lassen – genau wie am Flughafen. Schließlich hat es hier schon einmal einen Anschlag von Linksradikalen gegeben. Gerade bei Linken ist die Kirche so verhasst wie wohl kein anderes Bauwerk in Spanien. Und die Rechten haben hier immer wieder Aufmärsche veranstaltet. Die Kirche zieht aber nicht nur politische Aktivisten an, sondern vor allem Touristen. Etwa Armando und Balbina. Sie sind aus Galizien angereist, zusammen mit ihrem Sohn.
"Für viele ist das immer noch ein Kultort, für andere ist es ein Ort der Trauer und der schlimmen Erinnerungen. Aber dieser Ort ist ein Teil der spanischen Geschichte, nur deshalb sind wir hier."
"Mein Großvater war Republikaner, er wurde festgenommen und bei einem Fluchtversuch umgebracht. Ich habe meinem Sohn erklärt, wer sein Großvater war und dass der Mann, der ihn getötet hat, Franco war – der hier begraben ist."
Dann kommt Balbina in Fahrt. Und regt sich darüber auf, dass es hier an diesem Ort keinerlei Dokumentation gibt.
"Man hat ja kein Interesse daran, hier Audioführer zu verteilen und den Menschen zu erklären, wie viele Menschen hier gestorben sind, dass sie aus allen Gefängnissen Spaniens kamen und hier gearbeitet haben, bis sie tot waren. Ihr Deutschen wisst Bescheid über das, was unter Hitler geschehen ist. Hier in Spanien weiß man das nicht. Hier heißt es nur: Das ist ein religiöser Ort, Du musst ordentlich gekleidet sein – das war’s!"
Es ist nicht so, dass es spanische Politiker nicht versucht hätten. Spaniens Ministerpräsident Zapatero rief 2011 eine Expertenkommission ins Leben, die Vorschläge zur Zukunft des Valle de los Caídos machen sollte. Sie empfahl, ein Dokumentationszentrum einzurichten und die Überreste von Franco an einen anderen Ort zu verbringen. Doch kurz darauf gab es Neuwahlen in Spanien. Die konservative Partei von Ministerpräsident Rajoy kam an die Macht. Sie nannte die Vorschläge der Kommission politisch motiviert – und legte sie zu den Akten. Javier Moreno will, dass diese Akten wieder geöffnet werden, dass eine Aufarbeitung beginnt. Er ist Vorsitzender des Vereins Forum für das Gedenken. Für ihn war das Valle de los Caídos nichts weniger als ein Konzentrationslager:
"Wir wollen, dass dieses Bauwerk erklärt wird. Und dass es zum Mahnmal wird. Denn es ist das Ergebnis einer Arbeit von Sklaven. Menschen, die ihre Gefängnisstrafe dadurch verkürzten, dass sie dort arbeiten. Wir wollen, dass Besucher erfahren, wer dort war – und warum."
Auch Morenos Großvater wurde im Spanischen Bürgerkrieg getötet. Eine Antriebskraft für sein Engagement, seinen Willen, die Franco-Zeit aufzuarbeiten. Und die Symbole der Vergangenheit endlich einzuordnen. Symbole gibt es noch so viele – vor allem in Madrid.
"Wir stehen hier am Nordeingang von Madrid, wo die Autobahn 6 beginnt, die in den Norden Spaniens führt: Nach Galizien, Castilla y Leon und Asturien. Hier steht der Triumph-Bogen im sehr klassischen Stil – er erinnert an die Eroberung Madrids durch die franquistischen Truppen. Er ist ein starkes Symbol, denn er steht in der Nähe der Universität, wo es den meisten Widerstand gegen Franco gab."
Aufarbeitung der Franco-Zeit als Lebensaufgabe
So gibt es in Madrid etwa einen Plaza del Caudillo – einen Platz des Führers. Die letzten Franco-Statuen wurden vor zehn Jahren demontiert. Aber die Auseinandersetzung mit der Franco-Zeit bleibt ein stachliges Thema, auch 40 Jahre nach dem Tod des Caudillo. Wie stachelig, merkt der Journalist Emilio Silva immer wieder. Wenn es einen Menschen in Spanien gibt, der sich die Aufarbeitung der Franco-Zeit zur Lebensaufgabe gemacht hat, dann er. Auch der Großvater von Emilio wurde in der Franco-Zeit ermordet. Vor 15 Jahren spürte er dessen Grab auf. Neben ihm lagen dort die sterblichen Überreste von zwölf weiteren Männern. Seitdem ist er auf der Suche nach Massengräbern in Spanien und organisiert die Exhumierungen. Ohne öffentliche Gelder. Allein mit Hilfe von Spenden. In den Dörfern wühlt er nicht nur den Boden auf. Sondern auch viele Emotionen.
"Ich erinnere mich an ein Dorf in der Nähe von Burgos, wo wir eine Exhumierung von vier Personen gemacht haben. Der Bürgermeister war von der konservativen Partei und der Archäologe sagte, es fehle noch ein zusätzliches Sieb, um die Erde zu durchsuchen. Da ist der Bürgermeister losgefahren und hat eines geholt – und später mit uns zu Mittag gegessen. Aber es gab auch andere konservative Bürgermeister, die sich hinter unserem Rücken sehr aggressiv verhalten haben. Ich erinnere mich an ein Dorf, in dem ein Bürgermeister den Pfarrer geschlagen hat, weil er eine Gedenkmesse für die dort Erschossenen gegeben hatte. Er hatte den Angehörigen versprochen, ihnen zu helfen – aber in Wirklichkeit wollte er es nicht."
In manchen Dörfern heiraten die Nachkommen der Opfer bis heute nicht in der Kirche. Sie machen die Kirche verantwortlich als Mittäter. Katholische Pfarrer in Spanien waren damals mächtige Männer und Franco und die Kirche, das war eine in vielen Fällen unheilvolle Allianz. Das hat für Verbitterung gesorgt. So werden im kleinen Dorf Madrigal in der Extremadura ganz nah an der Grenze zu Kastilien bis heute von den Enkeln der Opfer nur Fotos vor der Kirche gemacht. Geheiratet wird aber außerhalb, nur die Enkel der Täter heiraten in der Kirche. Kein Wunder, waren doch in der 1000 Seelengemeinde mehr als 100 Leute umgebracht worden.
Eben wie in vielen Dörfern Spaniens. Doch selbst die flotte Jungpolitikergeneration will über die alten Zeiten am liebsten den Mantel des Schweigens breiten. Zum Beispiel Spaniens neuer politischer Shootingsstar Albert Rivera von der liberalen neugegründeten Partei "Die Bürger". Rivera wurde neulich auf die Franco-Diktatur angesprochen. Er zeigte fast schon Unverständnis, er wolle keine Debatte über die historische Erinnerung eröffnen, die Transition, die Übergangszeit der späten siebziger Jahre sei wichtig, man habe sich in Spanien damals darauf geeinigt, dass es weder Sieger noch Besiegte gebe. Und etwas kryptisch schließt er, er wolle, dass die Spanierinnen und Spanier die Geschichte schreiben und sich nicht jedes Rathaus in Spanien dazu versteige, Orden, Straßennamen oder Statuen und Büsten aufzustellen oder wegzunehmen. Pablo Iglesias, der nicht einmal vierzig Jahre alte Chef von Podemos – je nach Sichtweise eine radikal linke oder linksalternative Partei – hatte schon vor zwei Jahren in einer Fernsehdiskussion gesagt:
"Wenn man von der Franco-Zeit spricht, sagen viele Leute, Mensch, das ist doch ein Problem, dass die Vergangenheit betrifft, aber heute zum Glück wissen wir, um die Gegenwart zu verstehen, müssen wir die Vergangenheit ebenso verstehen. Und um das 20. Jahrhundert in diesem Land zu verstehen und das gegenwärtige Spanien, muss man den Staatstreich verstehen und auch den Bürgerkrieg."

Mitglieder der linken Podemos-Partei in Spanien
Pablo Iglesias (m) und weitere Mitglieder von der spanischen Linkspartei Podemos.© picture alliance / dpa / Foto: Fernando Villar
Vielleicht ist die Vergangenheitsbewältigung aber auch zu schmerzhaft? Es war ja ein Bürgerkrieg. Nachbarn gegen Nachbarn. Bruder gegen Bruder. Kain gegen Abel und Abel gegen Kain. Spanien und damit auch seine Menschen haben sich in vielen Fällen für einen unpolitischen Kurs entschieden. Vielleicht auch einen, der am Strand nicht stört. Einen, für den es zum Beispiel wichtig ist, dass an der gesamten Playa de Palma jetzt W-Lan-Empfang möglich ist. Der Generationswechsel vor den Wahlen in diesem Jahr ist augenfällig: Albert Rivera von Ciudadanos, den Bürgern, ist gerade mal 36 Jahre alt, Pablo Iglesias 37. Pedro Sanchez von den Sozialisten, immer noch bei weitem die größte Oppositionspartei, 43.
Die meisten der jungen Politikergeneration waren also noch nicht mal geboren, als Franco starb. Und gerade deshalb mutet es überhaupt nicht seltsam an, wenn die amerikanische Hamburgerkette McDonalds in Spanien dieser Tage auf den Pappschachteln für die Fleischbrätlinge des Unternehmens damit wirbt, dass am 20. November, dem Todestag Francos, alle Einnahmen in die unternehmenseigene Kinderstiftung fließen. Der Tag hat sogar einen Namen: "McHappy". Day An Franco hat das Unternehmen nicht gedacht. Nicht mal am 20. November 2015. 40 Jahre nach Francos Tod ist das möglich im Spanien von heute.
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