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250 Jahre HGB Leipzig
Tradition und vergebene Ausstellungschance

1764 wurde die Zeichenakademie in Leipzig gegründet und hat in ihrer Direktorenliste klangvolle Namen. Zum 250. Jubiläum befasst sich die Ausstellung "Kunst. Schule. Leipzig" mit den Lehrern der heutigen Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Präsentiert werden jedoch nur jene nach 1947.

Von Carsten Probst | 16.07.2014
    Blick zur Überdachung des Lichthofes im Gebäude der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB), aufgenommen am 11.12.2013 in Leipzig (Sachsen).
    In der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) hat u. a. Ernst Hassebrauk und Dietrich Burger gelehrt. (dpa picture alliance / Peter Endig)
    Kein Zweifel, die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig ist stolz auf ihre für eine deutsche Kunstakademie lange Tradition. Sie pflegt sie bis heute in einer Weise, die bei manchen Beobachtern von außen eine gewisse Skepsis auslöst - und doch gibt es fast keine Kunstinstitution in Deutschland, die so sehr das Wesen und die Sehnsüchte der Berliner Republik seit 1990 verkörpert, wie die HGB.
    Welche Kunsthochschule würde sich schon für ihre Jubiläumsausstellung im Jahr 2014 auf die künstlerischen Maximen des jungen Goethe berufen und den Sturm und Drang als aktuelle soziale Bewegung gegen Naturzerstörung, Geschlechterdiskriminierung und soziale Ungleichheit beschwören? Aber dass sie dies tut und sich damit geradezu krass vom durchaus nicht weniger hagestolzen Hochschulwesen im westlichen Teil der Republik absetzt, lässt die HGB nicht allein als mitunter sonderlich erscheinen, es macht sie nachweislich auch bei vielen Grafik- und Kunststudierenden aus Westdeutschland sehr beliebt. Gerade auf ihnen beruht der Traditionsstolz der Leipziger. Man hält diese Tradition für unvereinnahmbar von außen, gerade auch durch die Politik; sie ist quasi ein Wert an und für sich.
    Ausstellung ab 1947
    Die Jubiläumsausstellung beschränkt sich auf die Zeit seit 1947. Offenbar betrachtet man diese als für das heutige Selbstverständnis der HGB besonders prägend. Das Dritte Reich bleibt mehr oder weniger ausgeklammert, aber es drang schon bei früheren Gelegenheiten durch, dass sich die Hochschule immer eher als Opfer der nationalsozialistischen Kunstpolitik sah, denn als Mitläuferin.
    Die ersten Professoren, die seit 1947 hier lehrten, hatten diese Zeit natürlich alle durchlaufen. Ernst Hassebrauk zum Beispiel, geboren 1905 in Dresden, seit 1947 Professor für Porträtzeichnung und Malerei und als solcher unter anderem auch Lehrer von Fritz Fröhlich und Werner Tübke. Hassebrauk hatte zwischen 1927 und 1932 an der damals noch sogenannten Staatlichen Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe studiert. Sein am Impressionismus orientierter Malstil galt im Dritten Reich als französisch und wurde verdammt. Hassebrauk überdauerte die NS-Zeit in der inneren Emigration. 1949 wurde er jedoch auch als Professor der HGB entlassen, weil er der DDR-Kunstpolitik als als zu formalistisch galt.
    Chronologische Vorstellung von Lehrern
    Dies alles erfährt man in der Ausstellung nicht. Nur den Namen, Lebensdaten, Verweilzeit an der Hochschule, das ist alles, ohne weiteren Kommentar. So geht es auch mit allen anderen, mehr oder weniger herausragenden Lehrern, die hier chronologisch vorgestellt werden und von denen man heute gewiss nicht mehr alle so gut kennt wie einen Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig, Arno Rink, Siegfrid Gille oder Hartwig Ebersbach. Deren Geschichten wurden oft genug erzählt, um sich ein Bild der teils extremen Ambivalenz ihrer Lebensläufe zu machen.
    Aber eigentlich wäre noch so viel mehr zu erzählen: von Dietrich Burger, Wolfgang Henne, Heinrich Ilgenfritz, Max Schwimmer, Gerhard Eichhorn oder Elisabeth Voigt. Letztere ist übrigens eine der wenigen Frauen in der fast ausschließlich von Männern dominierten Leipziger Hochschulgeschichte. Als Schülerin unter anderem von Karl Hofer und Käthe Kollwitz kam die gebürtige Leipzigerin 1947 als Dozentin für das Grundstudium an die HGB und war dort schließlich auch als Kunsterzieherin tätig. Nach allem, was man weiß, lehnte Voigt den Nationalsozialismus ab, wurde aber dennoch 1937 auf der Großen Deutschen Kunstausstellung im Münchner Haus der Kunst gezeigt und galt auch in der DDR als systemkonforme Künstlerin. Warum? Man erfährt es nicht.
    Kein Katalog
    All diese Biografien hätten eigentlich eines großen Kataloges bedurft, der ein Kompendium der deutschen Kunst- und Zeitgeschichte gewesen wäre, das seinesgleichen sucht. Aber es gibt ihn nicht, diesen Katalog.
    Dieses gesammelte Schweigen wirft einen Schatten auf das Gedenkjahr - gerade weil sich die Leipziger Jubiläumsausstellung so sehr darum bemüht, die Bedeutung der Tradition für die Kunst der Gegenwart im wiedervereinigten Deutschland herauszustellen.