Zoran Terzić: "Idiocracy"

Das frenetische Subjekt und sein Bullshit-Universum

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Das Buchcover von "Idiocracy. Denken und Handeln im Zeitalter des Idioten" von Zoran Terzić.
Skizziert das "Zeitalter der Idioten": Zoran Terzićs "Idiocracy". © Diaphanes/Deutschlandradio
Von Bodo Morshäuser · 16.05.2020
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Als gesellschaftliches Ideal mag die Aufklärung noch gelten, doch in der Praxis herrscht längst das Idiotentum - wider besseres Wissen, schreibt Autor Zoran Terzić. Unser Rezensent Bodo Morshäuser kann dieser Sicht einiges abgewinnen.
Wir leben im Zeitalter des Idiotentums. Das ist die These des Kulturwissenschaftlers Zoran Terzić. In seinen Augen handeln wir täglich gegen die eigenen Interessen und röcheln im Würgegriff einer Wirtschaftsordnung, die es geschafft hat, Markt und Psyche derart kurzzuschalten, dass aus der Psyche eine Ware geworden ist und die Warenwelt als empfindsames Wesen gesehen wird.
Das lasse sich schon am Sprachgebrauch festmachen: "'Wie geht es den Unternehmen?', 'Wie wird die Börse reagieren?', 'Die Wirtschaft krankt', 'Werden sich die Märkte erholen?', 'Den Märkten gefällt das gar nicht!' Umgekehrt werden auf Personen bezogene Floskeln ökonomisiert: Wie viel Zeit investiere ich für eine Aufgabe? Wie viel kann ich aus einem Treffen herausschlagen?"

Der literarische Idiot ist gutmütig

Terzić beschäftigt sich nur kurz mit dem ursprünglichen Idioten, dem vom Sozialen abgekoppelten, voraussetzungslos schauenden und staunenden Menschen, den kein Zusammenhang kümmert und der deshalb unverstanden bleibt. Wie Kaspar Hauser, wie Dostojewskis "Idiot" oder die Filmfigur Forrest Gump. Ist dieser Typus ein liebenswerter Naivling, so ist der zweite Idiotentypus, der Held dieses Buches, ein Logik- und Diskurszerstörer, ein scheinbar unlogisch redender und handelnder Wirrkopf. Der erste kommt vor allem in Büchern und Filmen vor. Dem zweiten, unserer Hauptfigur, begegnen wir im wirklichen Leben. Und manchmal in uns selbst.
"Das Zeitalter des Idioten ist gekennzeichnet durch das Missverhältnis zwischen einerseits dem Privaten, Besonderen, Singulären und andererseits dem Öffentlichen, Allgemeinen, Universellen. Man könnte auch sagen, dass es um die erlernte Unfähigkeit geht, private, besondere oder einzigartige Belange auf das große Ganze der Gesellschaft zu beziehen und umgekehrt. Die diesem Missverhältnis zugrundeliegende Verfasstheit bezeichne ich als Idiokratie."

Trump ist nicht der Gipfel der Idiotie

Ein Buch über Idiotie als Herrschaftsform, das den amerikanischen Präsidenten übergeht, hätte sein Thema verfehlt. Aber eines, das sich zu lange bei Trump aufhält, wäre ihm auf den Leim gegangen.
Donald Trump ist für Zoran Terzić das Symptom eines globalen Zustands. Seit die Kapitalmärkte die Produktion von Realität übernommen haben, beobachtet Terzić eine Entwicklung zur Selbstdemontage. Es war den Investitionsbankern der Nullerjahre egal, ob ihr eigenes System einstürzen würde. Es ist den Machthabern dieser Welt egal, ob die Erdhülle zerstört wird. Diese Haltung wird vorgelebt und kopiert. Den Wählern des Milliardärs ist es egal, dass er Interessen von Milliardären vertritt und nicht die seiner Wähler.
Der moderne Idiot sieht keine Verbindung zwischen Ursache und Wirkung. Es ist den Kunden egal, dass sie beim Einkaufen Arbeiten des Verkäufers verrichten. In der Paradoxie der Konsumwelt sind Produzenten Bewahrer und Zerstörer, und Kunden sind das, was von ihnen verlangt wird: verzweifelt und glücklich, ohnmächtig und frei: "Die Selbstpolitik des neuen Idioten bürgt für ein frenetisches Subjekt, (...) das andauernd daran ist, etwas zu tun, etwas zu wollen, etwas zu sein oder sein zu lassen, ohne sich von diesem Zustand befreien zu können. (...) Wenn müde, dann todmüde, wenn nett, dann supernett, wenn Urlaub, dann toll, wenn Party, dann krass, wenn Karriere, dann Erfolg, wenn erschöpft, dann Burnout, (...) wenn Konflikt, dann Bewältigung, wenn Lärm, dann Ruhestörung, wenn Problem, dann Krise."

Der Fach- oder Vollidiot will scheitern

Vielleicht kann man den Idioten Trump am besten verstehen, wenn man den Idioten in sich selbst verstehen lernt als frenetisches Subjekt, dauerhaft zerrissen zwischen Selbstgefühl und Fremdwahrnehmung, zwischen Wunschwelt und realer Bescherung, und dabei unterwegs in einem Bullshit-Universum, das angeblich die beste aller denkbaren Welten sei.
In der idiokratischen Bullshit-Welt ist egal, was man sagt oder meint, man kann in der nächsten Sekunde auch das Gegenteil meinen und sagen und dabei keinen Widerspruch spüren. Man kann das Dritte Reich als Vogelschiss in der deutschen Geschichte bezeichnen und im nächsten Satz fehlende Meinungsfreiheit beklagen. Man kann den Vogelschiss-Satz verbieten wollen, und zwar im Namen der Meinungsfreiheit.
Das frenetische Subjekt, das sind wir. Die Idioten in der Idiokratie, das sind wir alle. Leider. Denn: "Letztlich wird der Idiot – ob Voll- oder Fachidiot, ob hoher oder niedriger IQ – scheitern. Heutige Wirtschaftslobbyisten und Finanzjongleure verhalten sich somit zwar nach außen hin ‚individuell‘ und ‚aufgeklärt‘, aber im Hinblick auf den gesellschaftlichen Mehrwert genauso randalierend wie Monomaniker in den Irrenhäusern des 19. Jahrhunderts. Die Wände der geschlossenen Anstalt sind lediglich um den gesamten Planeten gezogen."

Jeder Satz ist ein Treffer

Das Buch ist vollgepackt mit unterhaltsamen und lehrreichen Zitaten. Die Quellen sind bis auf ein allgemeines Literaturverzeichnis im Anhang nicht genau benannt. Wichtiger sind dem Autor Lesefluss und hypnotische Wirkung seiner Sprache. Er wechselt rasend schnell Gegenstand, Perspektive und Richtung. Er will begeistern, vielleicht überwältigen. Gedanken werden angestoßen und nicht immer ausgearbeitet. Jeder Satz ein Treffer. Man kann sich davon gut inspirieren lassen und eigene Fantasien anknüpfen, man kann aber auch skeptisch werden bei so viel verbaler Muskelschau.
Immerhin weiß der Autor um die Problematik seiner Methode: "Weil es heutzutage ‚jeder Idiot‘ vermag, überall ‚irgendwelche Idioten‘ auszumachen, ist es schwer, die Idiokratie analytisch zum Ausdruck zu bringen, da deren Wirkungsmacht auch die Analyse selbst betrifft."

Zoran Terzić: "Idiocracy. Denken und Handeln im Zeitalter des Idioten"
Diaphanes Verlag, 2020, 360 Seiten, 24 Euro

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