Zoologe Lars Krogmann über Insekten

"Ich mag fast alle Tiere"

08:08 Minuten
Aus der Puppe wird ein Falter - der Kleine Fuchs.
Ohne Brennnesseln im Garten gibt es keine Tagfalter, erklärt Lars Krogmann. © dpa / picture alliance / blickwinkel
Moderation: Dieter Kassel · 08.08.2019
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Nicht nur Honigbienen, alle Insekten sind wichtig für das gesamte Ökosystem, aber oft ist es schwierig, beim Menschen Sympathien für sie zu wecken, um die Arten zu schützen. Der Zoologe Lars Krogmann versucht das, indem er ihre Nützlichkeit aufzeigt.
Dieter Kassel: Wir haben uns am Anfang unserer Reihe "Mensch, Tier" vor allem mit Tieren beschäftigt, die vier Beine haben und die man prinzipiell streicheln kann, haben bestimmt viele von Ihnen gesagt, das ist doch mal eine nette Sommerreihe. Es hat sich vermutlich gestern schon ein bisschen geändert, als es um Schweine als Organspender für Menschen ging.
Ich fürchte, es wird heute auch keine Rückkehr zum Streicheln geben, denn heute geht es um die Tiere, die die große Mehrheit im Tierreich auf der Erde darstellen, die Insekten nämlich. Lars Krogmann ist Abteilungsleiter Entomologie am Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart und Professor für systematische Entomologie an der Universität Hohenheim. Gibt es eigentlich für Sie überhaupt irgendein Tier, das Sie eklig oder zumindest sehr unangenehm finden?
Krogmann: Also ich muss sagen, als Zoologe mag ich fast alle Tiere. Es gibt da Abstufungen. Die Tiere, die ich wirklich sehr gerne mag und besonders faszinierend finde und die, die vielleicht zu denen gehören, die man jetzt nicht sofort in die Hand nimmt, aber ich finde Tiere grundsätzlich interessant, und ich glaube, das liegt daran, dass ich wahrscheinlich nie richtig erwachsen geworden bin, weil als Kinder finden wir Tiere ja eigentlich alle interessant, vor allem Insekten, und dann wird uns das irgendwie so ein bisschen abtrainiert von der Gesellschaft.
Dunkle Erdhummel (Bombus terrestris), auch dicke Hummel oder schwarze Hummel, echter Lavendel
Dunkle Erdhummel auf Lavendel © imago
Kassel: Ich habe, ehrlich gesagt, einmal in meinem Leben eine Hummel gestreichelt, und das findet die natürlich nicht super, aber richtig geärgert hat es sie auch nicht. Das ist eine Möglichkeit, sich diese Abneigung abzugewöhnen, nicht sehr alltagstauglich, aber sehen Sie es überhaupt als Wissenschaftler in diesem Bereich auch als Ihre Aufgabe an, den Menschen ihren Ekel, ihre Abneigung gegen Insekten ein bisschen zu nehmen?
Krogmann: Ja, also das Beispiel mit der Hummel, da würde ich wirklich von abraten, weil tatsächlich die Hummeln, auch wenn sie in die Hand genommen werden, das ist wirklich einer der wenigen Fälle, wo sie mal zustechen könnten, obwohl die ja sehr weich und puschelig sind. Ich finde das sehr wichtig, gerade jetzt in Zeiten des Insektensterbens, vielen Menschen diese Scheu so ein bisschen zu nehmen.
Wir haben auch manchmal hier am Naturkundemuseum oder an der Universität Hohenheim Veranstaltungen, wo wir mit Kindern beispielsweise Mikroskopie durchführen, und da ist es dann oft so, dass die Eltern so aus dem Instinkt heraus sagen, 'iih, was ist denn das', und die Kinder finden es eigentlich interessant. Nur wenn sie es ein paar Mal hören, dann fangen sie selber an zu überlegen, na ja, vielleicht ist es tatsächlich irgendwie eklig.
Also je mehr man Zugang hat zu diesen Insekten, desto weniger Scheu hat man vor denen. Ich glaube, dass einfach dieser Zeitpunkt, wo Kinder mit Insekten in Berührung kommen, der wird immer später, und er wird auch immer seltener, weil Kinder gar nicht mehr so wahnsinnig viel Zeit draußen verbringen, und wenn sie die Zeit draußen verbringen, auch gar nicht mehr so häufig die Chance haben wie früher, Insekten zu treffen.

Es gibt knapp 585 Wildbienenarten

Kassel: Nun gibt es ein Insekt, das sehr beliebt ist, um das sich viele kümmern inzwischen oder zumindest sich dafür einsetzen, dass andere es tun, das ist die Honigbiene. Es gab dieses große Referendum in Bayern zum Schutz der Honigbiene, da sollte man erwarten, jemand wie Sie empfindet in diesem Zusammenhang ausschließlich Freude, aber zumindest ausschließlich, glaube ich, nicht?
Krogmann: Also dieses Volksbegehren, das hat mich wirklich sehr gefreut, und wenn man sich das anschaut, ging es ja in dem Volksbegehren gar nicht um die Honigbiene, sondern es ging vor allen Dingen um die wildlebenden Insekten und auch die natürlicherweise vorkommenden Wildbestäuber wie die knapp 585 Wildbienenarten, die es bei uns gibt.
Was die Organisatoren gemacht haben, ist, dass sie mithilfe dieses Maskottchens der Honigbiene versucht haben, möglichst große Teile der Bevölkerung zu bekommen, und da ist der Punkt, wo es manchmal so ein bisschen durcheinandergeht, wo auch viele Politiker diesen Unterschied zu dem Haustier Honigbiene und dann den natürlichen Bestäubern, dass sie da diese Unterscheidung nicht machen, weil diese Unterscheidung ist ganz wichtig, weil sonst denken Leute, es sei vielleicht hilfreich für die Insekten, wenn sie jetzt anfangen zu imkern.
Eine Biene fliegt mit Harz auf ihren Bienenstock zu
Biene im Anflug auf das Nest © imago / J. Kottmann
Gerade in den Städten haben wir so einen Trend zur Stadtimkerei, der gar nicht so gut ist, weil Honigbienen auch um die knappen Ressourcen, nämlich die blühenden Pflanzen, mit den Wildbestäubern konkurrieren.
Kassel: Aber das ist ja so ein Problem, dass Menschen immer Tiere gut finden, abgesehen vom Niedlichkeitsfaktor bei vielen Säugetieren, Tiere gut finden, wenn sie begreifen, dass die nützlich sind. Da haben wir es schon: Wenn ein Insekt Honig sammelt, von dem wir aber nix abkriegen, dann ist es schon nicht mehr so nützlich. Wie kriegt man denn Menschen dazu zu sagen: Ich bin total froh, dass es so viele Mücken gibt?

"Wieso habe ich keine Tagfalter im Garten"

Krogmann: Genau, bei den Mücken ist es schwierig. Also ich würde nicht mit dem schwierigsten Punkt anfangen. Ich würde einfach sagen, es gibt ganz, ganz viele Insekten draußen in der Natur, die Pflanzen bestäuben. Das ist zum Beispiel ganz einfach. Also jeder versteht, aha, da gibt es auch kleine Wildbienen, die vielleicht dann seltenere Wildkräuter bestäuben, die vielleicht auch von anderen Insekten gar nicht bestäubt werden.
Dann gibt es noch die Schwebfliegen, die sind uns tendenziell auch eher sympathisch, weil sie nicht irgendwo am Mist rumfliegen, sondern weil sie auch die Blüten besuchen und weil die Larven zum Teil für uns auch – in Anführungsstrichen – nützlich sind und zum Teil Blattläuse vertilgen. Oder die Marienkäfer, die finden die Leute auch niedlich, und jeder weiß, sie sind nützlich oder Tagfalter. Wenn man dann über diesen ästhetischen Punkt zum Beispiel darüber spricht, dass die meisten bunten Tagfalter beispielsweise, die haben auch eine Zeit, wo sie nicht so hübsch sind, sondern da sind sie so kleine stachelige Larven. Ich meine, ich persönlich finde sie auch hübsch, aber viele Menschen nicht, und dann fressen sie beispielsweise bei vielen Arten gerne an Brennnesseln, und Brennnesseln duldet jetzt keiner in seinem Garten.
Häufig wird man auch gefragt, wieso habe ich keine Tagfalter im Garten, ich habe so viele tolle Blumen, aber wer hat schon Brennnesseln in seinem Garten, und ohne die gibt es auch keine Tagfalter. Also für diese einfachen Zusammenhänge kann man Leute relativ schnell begeistern, und dann kann jeder sozusagen von dem Punkt an sich selber durch die Beschäftigung mit den Insekten weiterbilden.
Ich habe eigentlich noch nie jemanden erlebt, der sagt, das ist nicht doch spannend und faszinierend, auch wenn man das mit seinen Kindern macht, wenn man ein Wildbienenhotel beispielsweise in seinen Garten aufhängt und dann beobachtet, was da so im Frühjahr passiert. Das begeistert eigentlich jeden.
Kassel: Und Brennnesseln übrigens, am Rande erwähnt, kann man essen, man kann Pesto draus machen, Suppe, und für alle, die jetzt aufschreien: Selbst, wenn man es kalt verarbeitet, brennt der nicht im Mund. Es gibt außerdem verschiedene Sorten. Nun haben Sie gesagt, Mücken, fangen wir nicht mit dem Schwierigsten an. Ich hätte Kakerlaken am schwierigsten gefunden, aber ganz egal. Ich meine, geht es nicht eigentlich darum, im ganzen System zu denken.
Krogmann: Genau.
Kassel: Weil, natürlich, wenn wir jetzt sagen würden, wir haben keine Mücken mehr, können wir vielleicht sagen, wir werden nicht mehr gestochen, aber dann gibt es noch eine ganze Menge andere Insekten auch nicht mehr.

Erfolgsmodelle der Evolution

Krogmann: Genau. Also wir müssen eigentlich das ganze Ökosystem betrachten, und wir sind ein Teil von diesem Ökosystem, das Ganze ist wie so ein großes Puzzle. Egal welches Teil Sie entfernen, irgendwie fehlt es dann, und das Ganze macht weniger Sinn, und das gilt eigentlich für jedes Mitglied dieses Ökosystems. Es gibt Fälle, wo es wesentlich offenkundiger ist. Bei den Schaben ist es auch so ein Fall, da haben wir im Moment gerade die Bernsteinschabe zum Beispiel, die häufig in den Gärten ist, und da kriegen wir auch öfter Anrufe hier am Naturkundemuseum, dass die Leute sagen, die sind bei mir ins Haus geflogen, können die sich da jetzt weitervermehren oder was kann ich machen.
Aber auch da ist es so, das sind ganz harmlose Tiere, die werden durch das Licht angelockt, und die kann man dann ganz beruhigt wieder draußen hinsetzen. Wenn man sieht, wie schnell die da so krabbeln und sich vorstellt, dass die sich seit über 100 Millionen Jahren eigentlich kaum von der Gestalt verändert haben, dann sind das eigentlich richtige Erfolgsmodelle der Evolution. Wir als Menschen sollten manchmal auch so ein bisschen bescheidener sein, finde ich, wie kurz wir hier eigentlich auf diesem Planeten sind. Das ist wirklich nur ein Wimpernschlag in der Evolution, während Insekten schon seit über 400 Millionen Jahren sich diesen Planeten gestaltet haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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