Zollitsch: "Wir sind an einer gerichtlichen Klärung interessiert"

Robert Zollitsch im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 25.02.2010
Bei erwiesenen Missbrauchsfällen habe man den Opfern immer geraten, die Staatsanwaltschaft einzuschalten, sagt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Robert Zollitsch, nach dem Ende der DBK-Frühjahrstagung in Freiburg. Dies habe man auch den Tätern empfohlen, es gebe aber in der deutschen Justiz bis jetzt keine Pflicht zur Anzeige.
Liane von Billerbeck: Worüber auf der Frühjahrstagung der deutschen Bischöfe auch sonst gesprochen wurde, die Öffentlichkeit interessierte fast ausschließlich der Umgang mit den zahlreichen Fällen von sexueller Gewalt, verübt von katholischen Priestern an Minderjährigen. Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hatte Kritik geübt, von Erzbischof Zollitsch zuerst ultimativ zurückgewiesen, nun will man miteinander reden. Diese sexuellen Missbrauchsfälle sind aber eben nicht nur Fälle aus den 50er-Jahren. Welche Schlussfolgerungen die Deutsche Bischofskonferenz nun gezogen hat, das wollen wir jetzt vom Freiburger Erzbischof und deren Vorsitzenden Robert Zollitsch wissen. Herr Erzbischof, ich grüße Sie!

Robert Zollitsch: Ja, guten Abend!

von Billerbeck: Wie wurde über die sexuellen Missbrauchsfälle auf der Bischofskonferenz gesprochen?

Zollitsch: Wir haben selbstverständlich sehr ausführlich darüber gesprochen, denn wir waren alle auch überrascht über das, die Zahlen, die etwa sich in Berlin aufgetan haben, dass so viele sich melden, die sagen, dass sie vor 25 oder 30 Jahren davon betroffen worden sind, und wir wollen diese Fragen dann in aller Ruhe besprechen. Wir haben selbstverständlich auch noch mal zurückgeschaut auf unsere Leitlinien, die wir bereits vor acht Jahren verabschiedet hatten, und haben auch gesehen, dass die – auch mit Fachleuten besprochen – dass diese Leitlinien richtig sind und gut sind. Wir werden aber trotzdem noch mal da nachfragen, wie weit wir sie noch verbessern können und die Erfahrungen dann auch von dort aus austauschen. Und wir wollten natürlich auch klar sagen, jawohl, das, was an jungen Menschen da geschehen ist – ob das nun durch Priester ist oder andere kirchliche Mitarbeiter oder Erzieher –, das ist ein schweres Verbrechen, das nicht zu rechtfertigen ist, sondern dem auch nachgegangen werden muss, dass man in jedem Fall aufklären muss und wo man auch schauen muss, wie man den Opfern dann auch wirklich helfen kann. Wir haben sehr ausführlich darüber gesprochen und uns dann auch entschlossen, dass wir jetzt also im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz eine eigene Stelle schaffen, die die Informationen sammelt, die auch einiges dann koordiniert. Und wir haben den Bischof von Trier, Herrn Dr. Stephan Ackermann, beauftragt, dann als Ansprechpartner vonseiten der Bischofskonferenz zur Verfügung zu stehen, der auch die Dinge dann koordiniert, etwa zwischen den einzelnen Diözesen, zwischen den Diözesen und den Orden, damit wir auch gemeinsam wirklich daran bleiben, die Leitlinien wirklich in die Tat umzusetzen. Denn das sind ja schon Sorgen, die uns sehr beschäftigen. Und wir werden auch eine Hotline schaffen, dass diejenigen, die betroffen sind oder die Fragen haben, dass die sich dann auch melden können und möglichst schnell an Informationen herangekommen. Denn wir wollen klar zeigen, dass wir dieses Verbrechen immer aufklären wollen, dass wir den Menschen helfen wollen und auch, es ist natürlich schlimm, dass so etwas in unserer Gesellschaft geschieht, aber es ist doppelt schlimm, wenn es durch einen Priester oder einen Mann oder Frau der Kirche geschieht, denn wir stellen an uns höhere Anforderungen, zu Recht auch.

von Billerbeck: Herr Zollitsch, ein Wort ist mir in Erinnerung aus dem, was Sie eben gesagt haben und was ja sehr positiv erst mal klingt, das ist das Wort überrascht. Die in den vergangenen Wochen bekannt gewordenen Fälle von sexuellem Missbrauch, vom Canisius-Kolleg angefangen, die gab es ja seit Jahrzehnten. Haben Sie, die deutschen katholischen Bischöfe, von all dem nichts gewusst?

Zollitsch: Schauen Sie, die Fälle, die jetzt in Berlin sich gemeldet haben, die waren niemandem bekannt, jedenfalls keinem unserer Bischöfe. Ob einzelne Jesuiten damals etwas davon wussten, das weiß ich nicht. Wir wussten, dass es immer wieder Fälle gab, denen sind wir auch nachgegangen, drum haben wir ja vor acht Jahren auch diese Leitlinien geschaffen, aber dass tatsächlich etwa das in solche einem Ausmaß geschehen sein soll in Berlin, wie (...) (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll) zugehen auch sagt, das war wirklich für uns eine Überraschung. Und dem (...) (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll) zugehen wir uns auch der Situation gestellt.

von Billerbeck: Bei so vielen Fällen – insgesamt ist ja bisher von offiziell etwa 120 die Rede, da lässt sich ja kaum noch von Einzelfällen in Berlin sprechen –, gibt es darüber keine Unterlagen in der katholischen Kirche über solche Fälle, die Sie ja der Strafverfolgung entzogen haben?

Zollitsch: Nein. Schauen Sie, wir können nur Unterlagen oder Fälle haben, die bekannt sind. Und all das, was in Berlin jetzt bekannt geworden ist, war der katholischen Kirche nicht bekannt, infolgedessen konnten wir auch da gar nicht handeln. Dort, wo uns Fälle bekannt geworden sind, sind wir denen jedes Mal nachgegangen.

von Billerbeck: Sie haben mehrfach schon Ihre kirchlichen Richtlinien erwähnt, aus dem Jahr 2002, zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz, und darin heißt es in Abschnitt 7, Zitat: "In erwiesenen Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wird dem Verdächtigen zur Selbstanzeige geraten und gegebenenfalls das Gespräch mit der Staatsanwaltschaft gesucht." Gegebenenfalls, das heißt ja, man überlässt es demjenigen selbst, ob er seine Straftat, die ein Offizialdelikt ist, anzeigt.

Zollitsch: Nein, ganz so ist es nicht. Bei erwiesenen Fällen gehen wir davon aus, wenn es Tatsachen gibt, die den Verdacht wirklich rechtfertigen oder erhärten, dann haben wir immer dem Opfer geraten, und dringend geraten, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Wir haben es auch dem Täter jedes Mal geraten. Wir haben auch jetzt mit Fachleuten auch uns mal beraten, es gibt dann aber auch wieder Situationen, wo die Täter absolut darum bitten, von uns aus sie nicht beim, das Ganze vor den Staatsanwalt zu bringen, denn sie sagen, dann sind wir mehr bestraft als die anderen. Und es gibt nun bis jetzt in der deutschen Justiz keine Pflicht zur Anzeige, aber wir haben immer darauf hin gedrängt und wir werden in Zukunft noch stärker darauf drängen, weil wir an einer gerichtlichen Klärung interessiert sind.

von Billerbeck: Trotzdem hätten Sie doch bei einem Offizialdelikt eigentlich die Behörden einschalten müssen.

Zollitsch: Nein, also nein, es gibt keine Anzeigepflicht, das muss man sagen, und das haben auch uns die Fachleute eindeutig gesagt, aber wir haben immer darauf gedrängt, dass dies dann auch geschieht. Und es sind, seit wir die Leitlinien haben, die Richtlinien, sind es meines – also sind mir zum Beispiel, unserer Diözese keine Fälle bekannt, wo wir es nicht getan hätten.

von Billerbeck: Ein Thema, das immer wieder eine Rolle spielt in der Debatte um sexuellen Missbrauch ist das Leben, das Priester führen, die ja, wenn sie in dieses Amt eintreten, sich zum Zölibat verzichten. Und wir hatten hier ein Interview mit dem Theologen und Psychoanalytiker Eugen Drewermann, und der hat zu diesem Themain diesem Sender Folgendes gesagt:

Eugen Drewermann: Vor genau 20 Jahren habe ich in dem Buch "Kleriker" darauf hingewiesen, dass jeder, der heute Priester oder Ordensmann oder -frau wird, unter Bedingungen antritt, die schon in großem Umfang Persönlichkeitseinschränkungen und Entwicklungshemmungen voraussetzen, und dass dann unter Eid geschworen wird, genau diese Bedingungen zu verfestigen für den Rest des Lebens, alternativelos und gegen jede mögliche Erfahrung.

von Billerbeck: Das war Eugen Drewermann hier im Deutschlandradio Kultur. Herr Erzbischof Zollitsch, wäre die Abschaffung solcher Regeln, mit denen die katholische Kirche ja Menschen dazu zwingt, sich zwischen der Liebe zu Gott und der Liebe zu einem Menschen zu entscheiden, nicht auch im Interesse der Kirche?

Zollitsch: Nun, Herr Drewermann ist natürlich einer der Kirchenkritiker, ist auch aus der Kirche ausgetreten, hat sich von uns getrennt. Ich kann seine Thesen absolut nicht unterstützen. Ich selber war viele Jahre in der Priesterausbildung tätig. Wir haben die jungen Menschen selbstverständlich auf den Zölibat, auf die Ehelosigkeit vorbereitet, sowohl von theologischer, spiritueller sowie von psychologischer Seite, und es ist natürlich schlimm, denn Fachleute sagen uns ganz klar, der Zölibat des Priesters, das sagen Fachleute, hat mit Pädophilie oder mit sexuellem (...) (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll) zugehen nichts zu tun. Da werden zwei Dinge miteinander verbunden leider Gottes, die nichts miteinander zu tun haben. Und das finde ich eigentlich sehr schade, dass damit auch wieder da Vernebelung gesprochen wird, denn Sie wissen, dass natürlich, das ist schlimm, dass das geschieht, vielfache Fälle in den Familien auch geschehen mit Verwandten, allerdings, wenn es durch Priester geschieht, ist das schlimmer, weil wir einen anderen Anspruch an uns haben.

von Billerbeck: Es gehört ja nicht bloß der Zölibat dazu innerhalb der katholischen Kirche, sondern überhaupt die Sexualmoral der katholischen Kirche, zu der gehört, dass die Homosexualität verdammt wird. Wäre es nicht gut, wenn man sich da einer anderen Haltung befleißigen würde?

Zollitsch: Hier werden wieder Dinge miteinander verbunden, die nichts miteinander zu tun haben, und Homosexualität hat mit Pädophilie und sexuellem Missbrauch auf ehrlich nichts zu tun. Die Sexualmoral der katholischen Kirche ist klar, und sie sagt auch eindeutig – man war immer dazu gestanden –, dass eben Missbrauch von Kindern, dass Pädophilie ein schweres Vergehen, ja schwere Sünde ist. Und man muss jetzt gucken, dass man nicht das, was einem vielleicht jetzt an der katholischen Kirche nicht gefällt, alles mit diesen Fällen verbindet. Und das ist für mich nicht redlich.

von Billerbeck: Sie haben nun einen Beauftragten für den sexuellen Missbrauch eingesetzt – meinen Sie, dass damit die Kritik der Bundesjustizministerin aus der Welt ist, die ja gesagt hat, dass die Verantwortlichen der katholischen Kirche endlich konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, Hinweise geben und mit aufklären. Reicht das?

Zollitsch: Gut, wir haben dadurch auch mit der Bundesjustizministerin Kontakt aufgenommen und sie hat mir auch geschrieben. Sie anerkennt unser Bemühen, mit den staatlichen Behörden eng zusammenzuarbeiten, und anerkennt auch unser Bemühen für lückenlose strafrechtliche, zivile Aufklärung auch zu sorgen. Es kann natürlich jetzt, wenn ein Ansprechpartner auf der Ebene der Bischofskonferenz da ist, kann der nicht alle Dinge also nur aufklären. Es wird seine Aufgabe sein, zu schauen, dass die Diözesen sich stärker noch aufeinander abstimmen, dass auch die Diözesen sich mit den Orden stärker aufeinander abstimmen, dass auch den Fällen mit nachgegangen wird. Wir wollen eben damit zeigen: Ja, hier ist jemand, der steht auch dafür ein, weil er ein Mann ist mit Erfahrung in der Priesterausbildung, mit erfahrenem Umgang mit Menschen, und das soll für uns auch ein Zeichen sein. Wir nehmen das nicht nur nicht leicht, sondern nehmen das todernst, und wir tun das, was uns möglich ist, und dafür setzen wir uns dann auch ein für die Aufarbeitung dieser Fälle.

von Billerbeck: Das, was Ihnen möglich ist, heißt das Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft?

Zollitsch: Ja, wir arbeiten – ich habe ja gesagt, wir drängen jedes Mal dazu, dass dann auch die Anzeige kommt, und wir arbeiten konstruktiv mit der Staatsanwaltschaft zusammen.

von Billerbeck: Die Bundesjustizministerin hatte auch vorgeschlagen, einen Runden Tisch einzurichten, um den Opfern von sexuellem Missbrauch zu helfen. Wird sich die katholische Kirche daran beteiligen?

Zollitsch: Ich gebe zu, dass ich von diesem Vorschlag nicht viel halte, denn es geht hier um das große Problem (...) (Anm. d. Redaktion: Schwer verständlich im Hörprotokoll) zugehen tatsächlich die über 15.000 Fälle, die jedes Jahr zur Anzeige kommen und in den wenigsten von kirchlichen Leuten betroffen sind. Wir werden allerdings von uns als katholische Kirche auf verschiedene Menschen, Personen, auch auf Institutionen zugehen und selber das Gespräch mit ihnen suchen. Wir werden da selber aktiv.

von Billerbeck: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch war das. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Zollitsch: Danke auch, auf Wiederhören!

von Billerbeck: Auf Wiederhören!
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