Zollitsch-Nachfolger

Konservative schwächeln im Franziskus-Frühling

Von Philipp Gessler · 01.03.2014
Ganz im Sinne des Papstes ist der bescheidene Lebenswandel Kardinal Rainer Maria Woelkis aus Berlin oder die Parteinahme für die Armen von Kardinal Reinhard Marx aus München. Amtsfavorit ist jedoch Bischof Bode aus Osnabrück.
Papst-Begrüßung nach Wahl: "Brüder und Schwester –Guten Abend" (Atmo)
Es hat sich etwas verändert an diesem Abend des 13. März 2013 – in Rom, in Italien, in Deutschland, ja auf der ganzen Welt. Eine arme, menschenfreundliche Kirche für die Armen, diese Botschaft des neuen Papstes Franziskus hat Menschen auf der ganzen Welt bewegt und natürlich auch viele Katholikinnen und Katholiken in der Bundesrepublik.
Ein neuer Wind weht durch die katholische Weltkirche – und auch in der reichen Kirche Deutschlands ist dieser Wind des Wandels spürbar. Da trifft es sich, dass praktisch zeitgleich mit dem Ende des ersten Jahres unter Papst Franziskus in Deutschland Neues anbrechen kann:
Turnusgemäß wird im Kreis der 66 deutschen Erzbischöfe, Bischöfe und Weihbischöfe ein neuer Vorsitzender der Bischofskonferenz gewählt. Die Wahl ist nicht unwichtig, auch wenn der bisherige Vorsitzende,
die Grenzen des Amtes – und seiner persönlichen Wirkung – klar benennt:
"Ich habe immer meine Aufgabe als Erzbischof und Vorsitzender der Bischofskonferenz darin gesehen, zu moderieren, Brücken zu bauen, zusammenzuführen.Ich habe es nicht als meine Aufgabe angesehen, im Sinne etwa gewisse Positionen und so voranzugehen, dass ich damit eventuell auch die Bischofskonferenz spalte, sodass die anderen nicht mitkommen können. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz hat die Aufgabe zur Moderierung, er ist Primus inter Pares, zusammenzuführen. Und wenn ich so auf die fast zehn Jahre zurückschaue, glaube ich, dass mir das auch weitgehend geglückt ist.“
Der Freiburger Erzbischof und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch.
Sah sich als Brückenbauer - der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, scheidender Vorsitzender.© picture alliance / dpa / Patrick Seeger
Tatsächlich war der uneitle Robert Zollitsch ein vorbildhaft selbstloser Diener der Einheit in der katholischen Kirche der Bundesrepublik. Und das alles in schwierigen Zeiten, in denen in der katholischen Kirche mit ihren rund 24 Millionen Mitgliedern zwei moralische Desaster offenbar wurden: Das elende Versagen des völlig der Realität entrückten Protz-Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst in Limburg. Und noch viel schlimmer: Der Jahrzehnte andauernde Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche der Bundesrepublik. Beide Skandale werden noch viel Zeit der Aufarbeitung erfordern. Nötig wäre ein starker Vorsitzender der Bischofskonferenz, der diesen schmerzlichen Prozess vorantreibt. Aber wer könnte das sein?
Es sind ein halbes Dutzend Bischöfe im – inoffiziellen – Rennen. Einen offiziellen Wahlkampf gibt es für den Posten in Deutschland ebenso wenig wie bei der Wahl eines neuen Papstes in Rom. Und ebenso wie in der Ewigen Stadt gilt auch in Deutschland die Regel: Wer als Papst ins Konklave geht, kommt als Kardinal heraus.
Natürliche Favoriten: Kardinäle mit Bischofssitz
Es gibt nur vier Kardinäle in Deutschland, die zugleich einen Bischofssitz innehaben. Sie gehören, quasi per Amt als Mitglieder der zweithöchsten Hierarchie-Stufe der Weltkirche, zu den natürlichen Favoriten bei der Wahl eines neuen Vorsitzenden der Bischofskonferenz.
Aber Kardinal Karl Lehmann aus Mainz wird es nicht – er war der Vorgänger von Zollitsch und gab nach langen Jahren 2008 den Vorsitz aus Gesundheitsgründen auf. In Köln verbringt das andere Schwergewicht der katholischen Kirche Deutschlands, der alte Erzbischof Joachim Kardinal Meisner, seine letzten Wochen im Amt. Bis zur Neuwahl des neuen Vorsitzenden der Bischofskonferenz ist kein Nachfolger für Meisner gewählt. Aber da ist noch Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising:
"Wir müssen von den Armen her denken. Von unten her, von den besonders Betroffenen her. Und man muss einfach sagen: Wegen dieser Krise werden Menschen verhungern, werden Hunderttausende von Existenzen vernichtet werden. Das muss uns als Kirche schon aufregen. Und das tut es auch.“
Das ist genau die Linie von Papst Franziskus, und zwar geäußert schon vordessen Wahl zum Pontifex Maximus. Wer das reiche Erzbistum in München leitet, gehört fast immer zu den Favoriten, wenn es um den Vorsitz der Bischofskonferenz geht. Doch Marx ist vielen seiner Mitbrüder schon jetzt zu mächtig. Denn er ist einer von nur acht Kardinälen, die der neue Papst in sein wichtigstes Beratergremium zur Reform der Weltkirche berufen hat. Kardinal Marx kann schon jetzt vor Kraft kaum gehen. Was, wenn er auch noch Vorsitzender der Bischofskonferenz wäre?
Gottesdienst in Fulda mit Kardinal Rainer Maria Woelki (Atmo)
So besang im vergangenen Herbst Kardinal Rainer Maria Woelki , der Erzbischof von Berlin, bei der Vollversammlung der deutschen Bischöfe im Dom zu Fulda den Schweizer Schutzpatron und Einsiedler Niklaus von Flüe, dem sich der Kardinal aus der Hauptstadt nahe fühlt. Obwohl unklar ist, ob Woelki wirklich für das Amt des Vorsitzenden der Bischofskonferenz zur Verfügung stehen würde – seine Demut wäre ein Plus für Woelki. Woelki fasziniert nicht wenige der oft kirchenfernen Hauptstädter, auch weil er schon vor der Wahl von Franziskus einen bescheidenen Lebenswandel gepredigt hat, und sich auch selbst daran hält.
Woelki: Ungekünsteltes Engagement für Flüchtlinge
Sein soziales Engagement etwa für Flüchtlinge wirkt ungekünstelt – und ebenfalls ganz im Sinne von Papst Franziskus. Woelki sagte dazu vor einigen Wochen beim Besuch von Flüchtlingen, die nach vielen Tagen auf der Straße endlich in einem kirchlichen Haus eine Unterkunft fanden, emphatisch auf den Tisch hämmernd:
"Die Welt kann nicht eingeteilt werden zwischen arm und reich. Und unsere Mauer kann nicht hier in Europa das Mittelmeer sein.“
Neben den Kardinälen Marx und Woelki gehört der Trierer Bischof Stephan Ackermann zu den Männern, die immer wieder als mögliche Nachfolger von Robert Zollitsch genannt werden. Ackermann ist mit seinen 50 Jahren einer der Jüngsten im deutschen Bischofskollegium, was nicht unbedingt von Vorteil ist für diese Führungsaufgabe. Trier ist zudem auch in der katholischen Kirche nicht der Nabel der Welt.
Andererseits hat Ackermann – nach den ersten Enthüllungen zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche im Frühjahr 2010 - die undankbarste Rolle übernommen, die es damals in diesem erlauchten Gremium aus Sicht der Bischöfe gab: Er ist seit vier Jahren der "Missbrauchsbeauftragte“ der Bischofskonferenz. In dieser Funktion muss er öffentlich Dinge aussprechen, die viele seiner Kollegen mit dem Bischofshut eher nur unter vier Augen besprechen:
"Damals gab es zum Beispiel also bis in die 80er-Jahre an vielen Schulen keine Ministrantinnen, und wenn es hier darum gehen sollte, dass sexuelle Ersatzhandlungen vorgenommen worden sind und Übergriffigkeiten, dann kann das eben auch damit zusammenhängen, dass da die Jungen waren, die männlichen Jugendlichen, die sozusagen die Zielgruppe waren, und die, mit denen die Priester am meisten in ihrem alltäglichen Dienst zu tun hatten.“
Da es im exklusiven Herren-Club der Bischofskonferenz unschicklich wäre, sich direkt um das Amt des Vorsitzenden zu bewerben, laufen viele de-facto-Bewerbungen durch die Blume: Man bringt sich, ähnlich wie in der Politik, durch mehr oder weniger kluge öffentliche Äußerungen ins Gespräch. Ludwig Schick, dem Erzbischof von Bamberg, werden seit Jahren Ambitionen für den Vorsitz der Bischofskonferenz nachgesagt.
Er hat sich schon 2010 für Reformen in der katholischen Kirche, auch für die Lockerung des Zölibats ausgesprochen. Und dafür hat er, es waren noch die Zeiten von Papst Benedikt XVI., kirchenintern ordentlich Prügel bezogen. Heutzutage aber, unter Papst Franziskus, sind liberalere Ansichten nicht mehr so eindeutig karrierehemmend. Schicks Aussagen changieren häufig zwischen liberal und konservativ, wie etwa diese Stellungnahme zur Rolle der Frau in der Kirche:
"Die grundsätzliche Anerkennung der Würde der Frau, die gleich ist mit der Würde des Mannes, das ist unabdingbare Lehre der katholischen Kirche.“
Kardinal Meisner verliert an Gefolge
Generell ist festzustellen, dass im Zuge des Franziskus-Frühlings der konservative Flügel der deutschen Bischofskonferenz um den scheidenden Kardinal Meisner in Köln an Kraft verliert – und Meisners Mannen gehen langsam von der Fahne. Wie Kardinal Woelki war auch Heiner Koch, der neue Bischof von Dresden-Meißen, einst unter Meisner Weihbischof. Beide haben sich von ihrem einstigen Mentor emanzipiert, und auch Koch zeigt jetzt vermehrt seine liberale, offene Seite.
Ein Indikator, ein kleines Signal, ist da immer noch die Betonung der engen Beziehung des Christentums zum Judentum – ein Fakt, der in früheren Zeiten eher unter den Tisch fiel, wenn nicht verleugnet wurde. Hierzu etwa sagt Koch:
"Wir glauben ja an den gleichen Gott, das verbindet uns ja. Das erste Hochgebet in der Eucharistie-Feier. Das ist voller biblischer Bezüge – und man spürt, dass weder das Abendmahl noch die Eucharistie ohne das jüdische Passah-Mahl und die jüdische Priester-Theologie nicht verständlich ist.“
Nun wäre es unfair, Heiner Koch zu unterstellen, er sage solche Dinge nur, um sich im Rennen um die Nachfolge von Zollitsch günstig zu positionieren. Aber bei anderen Favoriten um den Vorsitz häuften sich bei den öffentlichen Äußerungen in den letzten Monaten nach der Wahl von Papst Franziskus liberalere Aussagen dermaßen, dass manche Insider nicht mehr an Zufälle glauben wollen.
Der 49-jährige Essener Bischof Franz-Josef Overbeck ist der jüngste deutsche Diözesanbischof. Der spätere Papst Joseph Ratzinger hat ihn 1989 in Rom zum Priester geweiht. Overbeck, der auch der Militärbischof der Bischofskonferenz ist, hatte sich öffentlich extrem in die Nesseln gesetzt, ja als Hardliner profiliert, als er vor vier Jahren in der Talkshow von Anne Will Homosexualität brutal und schlicht eine Sünde nannte. Mittlerweile aber sind auffällig viele zurückhaltende, ja selbstkritische Töne von ihm zu hören. Ein Beispiel ist etwa diese Aussage zu religiösen Extremisten im syrischen Bürgerkrieg:
"Ich kann als katholischer Bischof nur sagen: Die Kirche selber hat in 2000 Jahren viele leidvolle Erfahrungen damit gemacht, Extreme auf der einen oder anderen Seite hervorzubringen. Es darf da keine Extremisten geben.“
Bode: Ehrlich geführte Missbrauchsdebatte
Mit die besten Chancen für den Vorsitz der deutschen Bischofskonferenz dürfte Bischof Franz-Josef Bode aus Osnabrück haben. Er hat sich zu Benedikt-Zeiten, dem römischen Zeitgeist folgend, nicht als allzu liberal aus der Deckung gewagt. Aber in der Bischofskonferenz und im Kirchenvolk hat er sich in den vergangenen Jahren als guter Moderator durchaus Anerkennung verschafft – nicht zuletzt dadurch, dass er in seinem Bistum den offiziellen Dialogprozess mit den katholischen Laien, angestoßen durch den Schock des Missbrauchsskandals, ernsthaft und ehrlich geführt hat, wie viele loben.
Auch wenn das manche Mitbrüder damals übertrieben fanden: Geholfen hat ihm im Nachhinein auch, dass er als erster deutscher Bischof sehr früh und völlig auf eigene Kappe im November 2010 einen pathetischen Bußakt in seinem Dom nach dem Öffentlich-Werden des Missbrauchskandals vollzogen hat: Auf dem Boden liegend, legte er ein Schuldbekenntnis für die Sünden der Kirche in diesem Jahrzehnte langen Skandal ab. Bode scheint das moralische Desaster und die Folgen des Missbrauchsskandals tiefer verstanden zu haben, als viele seiner Mitbrüder im Bischofsamt. Er sagt über die Opfer sexualisierter Gewalt durch kirchliche Täter:
"Ich denke trotzdem, es ist wichtiger, ihnen Gehör und Raum zu geben, diese Geschichten auch wahrzunehmen. Es gibt Leute, die melden sich nach 30, 40 Jahren, weil sie es zum ersten Mal aussprechen wollen. Hier geht's überhaupt nicht um Entschädigung in diesem Sinn, sondern es geht darum, dass sie das in den Raum der Kirche an offizieller Stelle mitteilen können. Und da ist jeder einzelne Fall zu viel.“
Es sind diese Fähigkeiten des genauen Hinhörens und Nachdenkens, die Bischof Bode nicht zur schlechtesten Wahl für die Nachfolge von Robert Zollitsch machen würden. Aber spätestens seit der überraschenden Wahl von Papst Franziskus vor knapp einem Jahr weiß man genau: Favoriten werden schnell verbrannt – und selbst in der Kirche haben manchmal die krassen Außenseiter ebenfalls eine Chance. Wie damals in Rom, als Jorge Mario Bergoglio als neuer Papst verkündet wurde.
"Annuntio vobis gaudium magnum; habemus Papam.” (Atmo)
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