Zoff am Kreidefelsen auf Rügen

Stahlseilbrücke über dem Königsstuhl?

Blick vom Königsstuhl bei Sassnitz
So sieht der Blick vom Königsstuhl hinab aus: Ob und wie ihn Touristen in Zukunft genießen können, ist ungewiss. © Silke Hasselmann
Von Silke Hasselmann  · 31.07.2018
Der seit Kurzem teilzerstörte Abstieg vom Königsstuhl zum Strand in Sassnitz soll nicht wieder aufgebaut werden. Behörden und Naturschutzverbände wollen jetzt eine Hängebrücke aus Stahl. Viele Anwohner finden die hässlich und zu teuer.
Auch an diesem Tag transportieren die Zubringerbusse unentwegt Besucher zum Königsstuhl, dem Zentrum des Nationalparks Jasmund. Sie erfahren bei der Führung, dass hier einst die DDR-Marine ihren wichtigsten Ostsee-Beobachtungsposten unterhielt.
"Sie müssen sich vorstellen, es gab hier auf der Ostsee ja die Grenze, die Drei-Meilen-Zone dorthin. Und es gab hier, wo die Buche steht mit dem trockenen Ast, einen Beobachtungsturm - 48 Meter hoch."

Kein Wunder, denke ich, als ich dem schmalen Pfad zur Aussichtsplattform des Königsstuhles folge und von Gesine Häfner höre, auf welcher Höhe wir uns am Ziel befinden werden.
"118 Meter! Wenn man hier so die Segelschiffe entlangfahren sieht: ein ganz tolles Panorama. Wir laufen jetzt über das Königsgrab rüber, was der Zugang ist zum Königsstuhl."

Gesine Häfner arbeitet im Nationalpark-Zentrum Königsstuhl und weiß, dass hier tatsächlich ein Wikingerkönig begraben liegt. Doch nicht er habe diesem Ort seinen royalen Namen gegeben.
"Es gibt verschiedene Sagen, die behaupten, ein Rüganer, wenn er König von Rügen werden wollte, musste diese steilen, imposanten Felsen erklimmen. Erst dann wurde er zum König von Rügen erklärt."
Was immer da schiefgelaufen ist - einen König krönten die Rüganer nie. Egal - wir haben die zwöl Stufen geschafft und stehen nun auf der natürlichen, maximal 30 Quadratmeter großen Plattform. Hier schweift mein erster Blick kilometerweit über die vor uns liegende Ostsee. Sie glitzert heute ruhig in der Vormittagssonne. Rechts von uns die sogenannte "Victoria-Sicht" auf den benachbarten Kreidefelsen. Auch der präsentiert sich dem Betrachter in gleißendem Weiß und mit über 200 Jahre alten Buchen, die sich auf spektakuläre Weise an der blanken Kreide festklammern.
Gesine Häfner vom Nationalparkzentrum Königsstuhl
"Ein ganz tolles Panorama." Die Mitarbeiterin des Nationalparkzentrums Gesine Häfner auf dem Königsstuhl © Silke Hasselmann

Trügerische Idylle

Doch die Idylle ist etwas trügerisch, denn aus zwei Gründen gibt es Zwist um den Königsstuhl. Da ist zum einen der Abstieg zum Strand. Die 400-stufige Holztreppe wird nicht mehr erneuert, seit ein umstürzender Baum sie vor zwei Jahren zerstörte hatte. Das zuständige Landesumweltministerium verweist auf die häufigen Abbrüche und Erdrutsche in diesem Bereich, denn Wind, Brandung, Regenwasser nagen beständig an den Kreidefelsen. Doch das lässt Burkhard Rahn von der örtlichen Bürgerinitiative nicht gelten.
"Es ist da unten am Strand ein Risiko. Aber dieses Risiko am Strand ist gegenüber 2014, als der Nationalpark noch in seinem Konzept geschrieben hatte 'Wanderungen unten am Strand' und so weiter und damit geworben hat - es ist nicht größer geworden, dieses Risiko!"

Der zweite Grund für Diskussionen klingt zunächst widersprüchlich. Denn die Nationalparkverwaltung möchte durchaus auf dem Kreidefelsen bauen lassen. Zum Königsstuhl kommen ohne ihn direkt zu betreten - und zwar auf einem schwebenden "Königsweg". Das sei die Idee, erzählt mir Gesine Häfnerauf dem Rückweg.
Ein Zaun un ein Schild "Vorsicht Lebensgefahr" am Rand des Königsstuhls
"Vorsicht, Lebensgefahr", warnt ein Schild am Rand des Königsstuhls.© Silke Hasselmann
"Eigentlich schon zehn Jahre lang macht man sich Gedanken, wie man hier diesen schmalen Weg über das Königsgrab erhalten kann. Wir haben hier 270.00 bis 300.00 Gäste jedes Jahr, und jeder nimmt auch Kreide mit an seinen Füßen. Und um den Königsstuhl zu entlasten und auch als Formation weiterhin erlebbar zu machen, hat man sich jetzt dafür entschieden, dieses Modell zu nehmen, wo man über dem Königsstuhl schwebt, die Sichtachsen noch hat zur Victoria-Sicht, auf die Ostsee. Aber auch seitlich vom Königsstuhl. Dass man auch mal den Königsstuhl von der Seite sehen wird."

Stahlseilbrücke für sieben Millionen Euro

Seit Kurzem steht der mit den Naturschutzverbänden abgestimmte Plan: Eine Stahlseilbrücke soll in Ellipsenform auf der Höhe der Buchenkronen über dem Königsstuhl schweben und bei einer Länge von 90 Metern auch etwas über den Abhang hinaus reichen.
Was die Amerikaner an den Schluchten ihres Grand Canyon können, können wir an den Kreidefelsen von Rügen auch, findet der Chef des Landestourismusverbandes. Doch vor allem in der nächstgelegenen Stadt Sassnitz stören sich viele Einheimische an den veranschlagten Kosten von sieben Millionen Euro für ein Bauwerk, das ihrer Meinung nach überhaupt nicht in die Landschaft passt. Gerade hat die Stadtvertretung einen Bürgerentscheid beschlossen, und Bürgermeister Kracht von der Linkspartei verspricht ihnen:
"Der Sinn des Bürgerentscheides liegt ja jetzt darin, dass eine Frage gestellt ist: Bauen - ja oder nein? Und wenn die Mehrheit der Bürger sagt: Wir wollen dieses Bauwerk nicht, dann ist dieses Projekt für mich als Bürgermeister endgültig vom Tisch."

Bürgerentscheid Ende Oktober

Käme es so, wäre man irgendwann sicher gezwungen, den Zugang zum Königsstuhl stark einzuschränken oder sogar vollends zu untersagen, meint Gesine Häfner vom Nationalparkzentrum Königsstuhl und blickt sich um. Allein in diesem Moment stehen mit uns 32 weitere Besucher 118 Meter über der Meeresoberfläche auf der Aussichtsplattform. Bis zum 30. Oktober können die Sassnitzer ihr Pro oder Contra per Briefwahl kundtun.
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