ZO-O: "Die Ecke"

Was es zum Glück braucht

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Cover des Buchs "Die Ecke" von der koreanischen Illustratorin ZO-O vor einem orangefarbenen Aquarellhintergrund
Die koreanische Illustratorin ZO-O schafft allein mit Buntstiften und zarten Schraffuren in lichten Tönen eine Atmosphäre voller Poesie. © Deutschlandradio / Verlag Urachhaus
Von Eva Hepper · 28.09.2021
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Eine Krähe macht es sich in einer Ecke gemütlich. Aber kann man alleine auf Dauer glücklich sein? Die koreanische Illustratorin ZO-O erzählt in ihrem ersten Kinderbuch von Achtsamkeit für sich und andere.
Erst einmal steht die Krähe nur da und blickt auf eine leere Ecke. Eigentlich gibt es nichts zu sehen, nur den Fußboden und zwei Wände. Aber vielleicht ist dort etwas zu spüren?
Immerhin hockt sich der kleine Vogel nun genau in den Winkel, dann legt er sich hin und stemmt ein Bein an die eine und das andere Bein an die andere Wand. Als würde er die Ecke mit seinem zarten Körper vermessen.
Ganze drei Bleistiftzeichnungen braucht die koreanische Illustratorin ZO-O, um die Betrachterinnen und Betrachter in den Bann zu ziehen. Denn obwohl ihre Mittel so spärlich sind, und sie nur wenige Striche für den Vogel und die Ecke braucht, lässt sich der Gemütszustand des Tiers erahnen.
Es ist nachdenklich, es überlegt irgendetwas – und man will unbedingt wissen, was in seinem Kopf vorgeht, und wie sich die Geschichte wohl weiter entwickeln mag.

Krähen als Lieblingsmotiv

Krähen sind die Lieblingsmotive der 1988 im südkoreanischen Gunpo geborenen Künstlerin; das Pseudonym ZO-O steht für "Krähen-Zoo". In ihrem Heimatland zählt sie zu den talentiertesten jungen Illustratorinnen, viele ihrer Werke hat sie in verschiedenen Independent-Projekten und auf Buchfestivals gezeigt. "Die Ecke" ist ihr erstes Bilderbuch – und es ist großartig!
Natürlich bleibt die Ecke nicht leer. Nachdem der Vogel sie inspiziert und vermessen hat, beginnt er sich dort einzurichten. Zeichnung für Zeichnung schleppt er heran, was er für Gemütlichkeit und Geborgenheit braucht. Ein Sofa. Ein Bücherregal. Einen Teppich. Eine Pflanze. Ein Radio.
Schließlich ist der Ort ein Zuhause geworden, und die Krähe vergnügt sich lesend, schlafend, tanzend und die stets größer werdende Pflanze betrachtend.
Langweilig wird ihr nie, schließlich ist sie auch noch künstlerisch tätig und bemalt sämtliche Wände mit herrlichen Ornamenten.
Alles scheint perfekt, doch dann schaut der Vogel plötzlich von Neuem die Ecke an. Irgendetwas fehlt ihm in all der Behaglichkeit. Es braucht ein bisschen, bis er darauf kommt, was das ist, und endlich beginnt, ein Fenster in die Wand zu stemmen. Und damit beginnt ein neues Kapitel ...

Atmosphäre voller Poesie

Was für eine schöne und weise Geschichte, fast ganz ohne Worte und mit herrlichen Bildern erzählt. Ob sich der Vogel mit seinen Flügeln gegen das Sofa stemmt, um es in die Ecke zu wuchten, ob er auf der Leiter turnt für seine Malereien oder Nüsse knackend auf dem Teppich sitzt: ZO-O schafft allein mit Buntstiften und zarten Schraffuren in lichten Tönen eine Atmosphäre voller Poesie. Dass man dabei dem Vogel buchstäblich beim Denken zuschauen kann, ist der reine Zauber – und große Kunst.
Tatsächlich scheint "Die Ecke" das Buch zur Stunde. Obwohl es vor der Pandemie entstanden ist, geht es um das Glück in den eigenen vier Wänden und in der eigenen Haut.
Selbstfürsorge, Achtsamkeit und das Erkennen der eigenen Bedürfnisse – das lässt sich von dem kleinen schwarzen Vogel lernen. Und auch wie wunderbar es ist, den Kopf beizeiten wieder raus zu strecken und den anderen zu sehen.

ZO-O: "Die Ecke"
Verlag Urachhaus, Stuttgart 2021
64 Seiten, 16 Euro

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