Zivilcourage

Hingucken statt weglaufen

Ein junger Mann hebt seine geballte Faust
Wenn es zu Gewalt auf offener Straße kommt, wenden sich viele ab. © dpa / picture alliance / Karl-Josef Hildenbrand
Von Lisa Weiß · 02.12.2013
München im Sommer 2012: Vier Jugendliche treten auf einen Mann ein, die Passanten schauen weg - typisch. Nicht aber für die Schülerin Paulina. Sie mischte sich ein und rettete dem Opfer das Leben. Wie man den Mut dazu findet? Einfach machen - und nicht so viel nachdenken, sagt sie.
In der großen Küche des Häuschens am Stadtrand von München hängen Kinderzeichnungen, es riecht nach Tee und frisch gebackenem Kuchen. Paulina Hoppe sitzt am Küchentisch ihres Elternhauses, strahlt, wippt mit den Füßen. Eine große 17-Jährige mit langen, blonden Haaren und einem offenen Lächeln. Auf den ersten Blick niemand, dem man es zutraut, sich in eine Prügelei einzumischen. Und trotzdem hat sie, damals erst 15, einem jungen Mann wohl das Leben gerettet.
Rückblick. Sommer 2012. Paulina feiert mit Freunden am Ufer der Isar, begleitet dann eine Freundin zur U-Bahn. Auf dem Weg dorthin sieht sie einen jungen Mann am Boden, vier Jugendliche, die auf ihn eintreten. Einige Leute schauen zu, niemand greift ein. Ein rotes Tuch für Paulina:
"Ich wurde dann so wütend, dass ich über die Straße rübergerannt bin, hab den Haupttäter, der immer auf den Kopf getreten hat, weggeschubst und mich hin in den Schneidersitz gesetzt und den Kopf von dem Opfer in meinen Schoß genommen. Daraufhin haben dann die Täter auch angefangen, mich zu treten aber durch meine Schreie wurden auch andere Passanten darauf aufmerksam und kamen mir zur Hilfe."
Die Preisträger des XY-Preises 2013 Tim Conrady , Paulina Hoppe und Christian Thöne (vlnr) stehen am 05.11.2013 in Berlin vor der Preisverleihung des "XY-Preises 2013" im ZDF-Studio.
Die Schülerin Paulina Hoppe (Mitte) wurde für ihr Engagement mit dem XY-Preis 2013 ausgezeichnet.© dpa / picture alliance / Bernd Von Jutrczenka
Paulina kümmert sich, bis ein Krankenwagen kommt
Die Jugendlichen treten Paulina in den Rücken, verschwinden irgendwann zur U-Bahn. Die Polizei stellt die Täter später, zwei der drei sind schon als Schläger bekannt. Paulina kümmert sich noch um das Opfer, bis ein Krankenwagen kommt.
"Dass ich in Lebensgefahr war, war mir nicht so bewusst, aber ich hab gedacht, dass der Mann tot war, weil der nicht mehr reagiert hat und leblos am Boden lag."
Der junge Mann kommt mit einer schweren Gehirnerschütterung und Prellungen davon – dank Paulina. Auch sie selbst hatte Glück, hat nur ein paar Prellungen und blaue Flecken. Das hätte anders ausgehen können: Paulina hat ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um einem Unbekannten zu helfen. Entsprechend erschrocken war ihre Mutter Anja Hoppe im ersten Moment:
"Als die Polizei dann wirklich gesagt hat, wir wissen gar nicht ob wir ihre Tochter loben oder schimpfen sollen, das war 'ne haarige Situation und sie auch ein bisschen was abbekommen hat, hab ich im Nachhinein schon gedacht: Wow. Aber ich würde sie prinzipiell immer ermutigen, das wieder zu machen und vertrau da auf ihr gutes Bauchgefühl."
Wie gefährlich die Situation für sie war, hat auch Paulina mittlerweile realisiert – und würde trotzdem wieder genauso handeln.
"Die Frage stellt sich gar nicht, weil ich das danach schon öfter wiederholt habe quasi... Meine Mutter sagt immer, ich ziehe solche Situationen magisch an."
Woran liegt es, dass alle wegschauen?
Wenn irgendwo eine Prügelei ist, geht Paulina dazwischen, wenn sie Ungerechtigkeit sieht, mischt sie sich ein. Zuletzt in der Münchner U-Bahn, als sie sieht, wie ein Mann eine Frau schlägt. Paulina entschärft die Situation, bringt die Frau nach Hause, ruft die Polizei. Warum ausgerechnet immer sie eingreift? Paulina überlegt kurz:
"Ich denke, wenn man zu lange darüber nachdenkt, hat man wahnsinnige Angst davor und lässt es nämlich lieber. Deswegen - in solchen Situationen denke ich nicht nach, ich bin ziemlich hitzköpfig und temperamentvoll und mach dann lieber einfach, was mein Gefühl mir sagt."
Paulina hat vier kleine Geschwister, für die sie früh Verantwortung übernommen hat. Sie hat gelernt zu helfen, nicht wegzuschauen. Im Gegensatz zu vielen anderen:
"Ein sehr lieber Kommissar hat mir mal gesagt: Je mehr Leute anwesend sind, desto weniger fühlen sich selbst angesprochen. Desto weniger helfen. Und das ist tatsächlich so, weil man die Verantwortung für diese Prügelei oder für diese Handlung auf die anderen Leute überträgt: Der tut nichts, also muss ich auch nichts machen, so in dem Sinne. Was ich aber eine gefährliche Entwicklung unserer Gesellschaft finde."
Und deswegen will die Realschülerin dagegensteuern. Nach ihrem Abschluss will sie ein Jahr in der Entwicklungshilfe arbeiten, irgendwo in Afrika. Dann ihr Abi nachmachen. Und dann vielleicht zur Polizei.