Zika-Infektionen in Brasilien

Wie geht es den betroffenen Kindern heute?

Eine Frau steht vor der Wand eines Hinterhofs und trägt ihr lachendes Kind auf dem Arm
Eine Mutter und ihr Kind mit einer für Mikrozephalie typischen Fehlbildung des Schädels. Das Symptom wird durch eine Zika-Infektion ausgelöst. © imago stock&people
Von Gudrun Fischer · 01.11.2018
2015 wurde Brasilien von einer Welle Zika-Infektionen heimgesucht. Heute weiß man: Die Kinder schwangerer Frauen tragen mikrozephalische Schäden davon. Und prekäre Lebensverhältnisse begünstigten die Infektion.
Im Wartebereich des Krankenhaus Oswaldo Cruz in der Stadt Recife, im Nordosten Brasiliens. Gleich beginnt die wöchentliche Mikorzephalie-Sprechstunde. Mehrere Mütter oder Großmütter - kein Vater - sitzen im Wartebereich. Neben sich in Rollstühlen und auf Liegen ihre Kinder. Die Zwei- bis Dreijährigen tragen alle eine Brille. Zwei werden gerade gefüttert. Eins liegt an einem Tropf. Die Mütter dieser Kinder hatten während ihrer Schwangerschaft eine Zika-Infektion. Sie hatten leichtes Fieber und einen Hautausschlag. Aber bei vielen dieser Schwangeren durchdrang das Zika-Virus die Plazenta und befiel die Nervenzellen des Fötus.
"Meine Sohn Enzo Gabriel kam als Frühgeburt auf die Welt. Sein Kopfumfang betrug 27 Zentimeter, 34 wären normal. Er kann bis heute nicht alleine sitzen, und er spricht nicht, nur ein paar Laute wie 'abu' und 'au', Babylaute. Er sieht so wenig, dass er uns nur an unseren Stimmen erkennt. Sein Vater hat mich verlassen, selten kommt er mal und besucht Enzo. Als ich nach der Geburt auf der Intensivstation lag, kam schon am nächsten Tag der Kinderarzt an mein Bett. Er erzählte, dass drei weitere Babys mit einem zu kleinem Kopf im selben Krankenhaus auf die Welt gekommen seien."

Arme Lebensverhältnisse

Hilfe bekommt Jaciara Perreira Alves vor allem von ihrer Familie. Die 22-Jährige lebt noch bei ihren Eltern, die zum Glück ein Auto besitzen. Mehrmals in der Woche fahren sie ihren Enkel zur Physio- oder Stimmtherapie in die Stadt. Viele Mütter der über 3.000 Kinder mit Mikrozephalie in Brasilien stammen aus armen Verhältnissen und können nicht viel für ihre kranken Kinder tun.
Illustration eines Zellhaufens, der von blauen Zika-Viren befallen wird
Illustration eines von einem Zika-Virus infizierten Embryos© imago stock&people
Jaciaras Perreira Alves' Blut wurde noch im Krankenhaus untersucht. Das war Ende 2015. "Sie untersuchten, ob ich den Cytomegalovirus hatte, oder Toxoplasmose, aber das war alles negativ. Dann kam die Idee auf, dass das Zika-Virus verantwortlich sein könnte, und für Zika war meine Blutprobe positiv."
Mittlerweile hatte die Weltgesundheitsorganisation, die WHO, wegen Zika den globalen Notstand ausgerufen. Fieberhaft wurde nach den Gründen für die vorgeburtliche Schädigung der zahlreichen Babys in Brasilien geforscht. Doch in ersten Fallkontrollstudien, die 2016 und abschließend Ende 2017 heraus kamen, wurde definitiv nachgewiesen, dass die Zika-Infektion der werdenden Mütter für die Mikrozephalie der Babys verantwortlich war.

Millionen waren infiziert

Das Zika-Virus wird von der ägyptischen Tigermücke übertragen. Diese Mücke fliegt auch in Südbrasilien, wo es im Sommer gleichfalls heiß und feucht ist. Aber auch wenn in Rio de Janeiro gleichfalls viele Kinder mit einer Mikrozephalie auf die Welt kamen, waren es lange nicht so viele wie im Nordosten Brasiliens. Warum das so ist, untersucht Demócrito Miranda. Er ist Facharzt für Infektiologie am Oswaldo Cruz Krankenhaus in Recife.
"Das Virus zirkulierte hier im Nordosten so massenhaft, weil wir hier das ideale Klima haben. Es ist heiß und regnet viel, die Regenpfützen werden zu Mückenbrutstätten. Und wenn es nicht regnet, herrscht Wassermangel und die Leute legen zu Hause Wasser-Reservoirs an. Auch da hinein legen die Mücken ihre Eier. Deswegen haben wir so viele Mücken in dicht bewohnten Gebieten.
Damals dachten die Leute, die den Hautausschlag bekamen und sich ein wenig erkältet fühlten, sie hätten eine leichte Form des Dengue-Fiebers. Zika war ja noch unbekannt. Millionen wurden infiziert. Niemand kam auf die Idee, dass die Infektion für schwangere Frauen gefährlich sein könnte. Als ein paar Monate später der Zusammenhang zu diesem neuen biologischen Faktor, dem Zika-Virus, klar wurde, verbreitete sich die Information rasend schnell. Schwangere in Südbrasilien, wo die Regenzeit später beginnt, konnten sich daher besser schützen und deswegen gab es da auch weniger Fälle von Mikrozephalie."

Warum traf es eher Frauen aus armen Vierteln?

"Die verseuchte Mücke sucht sich ja nicht gezielt eine arme Frau aus. Aber dort wo die Armenviertel sind, wo die Wasserversorgung prekär ist, sind die Bedingungen für Mücke und Virus besser. Mittelklasse-Frauen leben in Appartements mit Aircondition, das mögen die Mücken nicht. Dort gibt es keine Engpässe in der Wasserversorgung. Diese Frauen haben auch eher das Geld, eine Abtreibung durchführen zu lassen, auch wenn das illegal ist."
Neben den sozialen und den Umwelt-Faktoren gab es auch Hinweise, dass in Recife noch eine zweite Mückenart das Zika-Virus übertragen könnte. Deswegen überwachen Arbeitsgruppen nun in armen Stadtteilen die Mückenpopulationen und untersuchen die auf ihren Virenbefall. Denn schützen kann man sich bis heute nur, indem man Mückenstiche vermeidet.

Folgeerscheinungen zeigen sich erst spät

Schwierig ist die Betreuung der Kinder mit Mikrozephalie auch deshalb, weil sich viele schwere Symptome erst später entwickeln:
"60 bis 80 Prozent der Babys mit Mikrozephalie entwickeln erst spät eine Form von Epilepsie. Sie brauchen drei bis vier verschiedene Medikamente und müssen von neurologisch geschultem Fachpersonal behandelt werden. Manche dieser Kinder kommen auf die Welt und essen normal, bis sie plötzlich Schwierigkeiten mit dem Schlucken bekommen. Da müssen wir manchmal operieren oder eine Sonde legen, damit die Kinder künstlich ernährt werden. Mikrozephalie gab es schon früher, aber jetzt sind es wahnsinnig viele Kinder mit solchen Symptomen. Der Vorteil ist, dass wir für die Studien, die jetzt folgen, sehr viele Kinder gut beobachten und begleiten können."

Ungebrochener Optimismus

Auch Jaciara Perreira Alves und ihr Sohn nehmen an einer solchen Studie teil: "Dafür habe ich schon die Fragebögen ausgefüllt. In drei Monaten kommen die medizinischen Untersuchungen. Ich weiß nur, die Studie kommt aus den Vereinigten Staaten und dass es darum gehen soll, dass die Kinder eine bessere Reha bekommen. Damit sie sich besser entwickeln."
Etwa 150 der Babys mit zu kleinem Kopf sind inzwischen in Brasilien gestorben. Jaciara lässt sich trotzdem nicht beirren. Sie glaubt, dass ihr Sohn eines Tages laufen lernen wird.
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