Ziel: "Normalisierung der Beziehungen"

Enver Hoxhaj im Gespräch mit Ute Welty · 16.02.2013
Fünf Jahre nach Erklärung der Unabhängigkeit des zuvor zu Serbien gehörenden Kosovo zeigt sich der kosovarische Außenminister Enver Hoxhaj zuversichtlich für eine Annäherung. Hoxhaj geht davon aus, dass es gelingt, die serbische Minderheit im Nordkosovo "zu integrieren".
Ute Welty: Über Kosovo zu reden, das bedeutet vor allem mehr Frage- als Ausrufezeichen. Das fängt beim Artikel an, heißt es das oder der Kosovo? Man bezahlt dort in Euro, ist aber nicht Mitglied der Europäischen Währungsunion, und ob Kosovo ein eigenständiger Staat ist, das sieht rund die Hälfte der Länder in der UN so, die andere Hälfte genau anders. Vor fünf Jahren erklärte man sich unabhängig von Serbien, feiert deswegen an diesem Wochenende den Nationalfeiertag und hat darüber hinaus nach wie vor eine Menge Probleme zu lösen. Eine Standortbestimmung versuche ich jetzt mit dem kosovarischen Außenminister Enver Hoxhaj, einen schönen guten Morgen!

Enver Hoxhaj: Guten Morgen!

Welty: Unabhängigkeit von Serbien, das sehen die Serben naturgemäß anders, auch die Serben, die im Kosovo leben, eine Minderheit, die im Nordkosovo die Mehrheit darstellt. Wie würden Sie die Lage rund um Mitrovica heute beschreiben?

Hoxhaj: Zunächst bin ich sehr dankbar für dieses Interview in einer sehr wichtigen Zeit für Kosovo, als Kosovo in diesen Tagen fünf Jahre Staatlichkeit feiert. Wir waren in den letzten fünf Jahren imstande, einen neuen Staat von Grund auf aufzubauen, im Sinne von demokratischen Institutionen, Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und Modernisierung unserer Gesellschaft und Bildungssystem und Gesundheitssystem. Trotz dieser Erfolge waren wir nicht imstande, die Situation im nördlichen Teil im Kosovo zu verbessern, da es dort weiterhin drei Gemeinden gibt, die nicht mit dem Rest vom Kosovo integriert sind. Und in diesem Zuge gibt es einen Dialog auf Premierministerebene, wo wir in den nächsten Monaten konkrete Ergebnisse haben werden und natürlich diese drei Gemeinden wie der Rest des Kosovo mit einem Kosovostaat integriert sein werden.

Welty: Ich versuche die Frage noch mal zu stellen, wie würden Sie die Lage rund um Mitrovica heute beschreiben?

Hoxhaj: Die Lage ist ruhig, trotz der Tatsache, dass der Staat weiterhin in zwei Teile geteilt ist. Und trotz unserer Versuche, die Bürger, die dort leben, mit dem Rest von Kosovo zu reintegrieren … Wir werden versuchen, in den nächsten beiden Monaten in einen politischen Dialog mit den Bürgern dort es zu erreichen.

Welty: Sie sagen, die Lage ist ruhig. Wie dünn ist das Eis, auf dem Sie sich da bewegen? Wir haben ja 2011 gesehen, wie schnell sich die Lage auch wieder verschlimmern kann, wie die eskalieren kann, mit Straßenblockaden und auch mit blutigen Zwischenfällen.

Hoxhaj: Stimmt, aber die Lage dort ist nicht so, weil die Regierung in Pristina es wünscht. Die Lage in Mitrovica war in den letzten fünf Jahren und auch im Jahr, das Sie beschreiben, gespannt, weil Belgrad stets versucht hat, Instabilität innerhalb vom Kosovo zu projizieren. Und deswegen wird in dem nächsten Treffen zwischen den beiden Premierministern davon gesprochen, wie Serbien jene Polizeistrukturen und Sicherheitsstrukturen, die im Norden Kosovos tätig sind und die dort die Bürger als Geisel genommen haben, abzuschaffen. Nach der Abschaffung, dann werden wir auch imstande sein, in den nächsten Monaten demokratische Wahlen auf lokaler Ebene dort zu organisieren und diese Gemeinde mit dem Rest von Kosovo – einschließend die Stadt von Mitrovica – zu reintegrieren. Etwas, was wir innerhalb Kosovos in den letzten fünf Jahren gemacht haben, wo die serbische Minderheit auf lokaler und zentraler Ebene sehr gut integriert ist.

Welty: Ihre Regierung verbindet große Hoffnungen mit den Gesprächen nächste Woche in Brüssel, denn Serbien will in die EU. Bezahlt am Ende die Europäische Union für die Lösung des Kosovo-Problems?

Hoxhaj: Ich glaube, die Europäische Union spielt eine ganz große Rolle und Deutschland gibt einen ganz großen Beitrag, um es ein für alle Male zu beenden. Und wir sind sehr interessiert, nicht nur die Lage im nördlichen Teil von Kosovo zu normalisieren, sondern wir sind sehr interessiert, in diesen Dialogprozess eine normale Beziehung mit der Republik Serbien aufzubauen. Wir gehen davon aus, wenn es einmal eine Normalisierung der Beziehungen auf politischer Ebene zwischen den beiden Staaten gibt, dann könnte man auch langfristig einen Versöhnungsprozess zwischen den beiden Völkern geben. Und ich glaube, Brüssel, aber auch Berlin, können diesbezüglich künftig einen ganz großen Beitrag leisten. Und wir sind sehr dankbar für die Rolle, die auch Berlin in den letzten Jahren diesbezüglich gehabt hat.

Welty: Die Serben im Kosovo haben schon angekündigt, dass es sie genau gar nicht interessiert, was die serbische Regierung in Belgrad sagt. Wie werden Sie damit umgehen?

Hoxhaj: Ich glaube nicht, dass das der Fall hier sein wird.

Welty: So liest es sich zumindest!

Hoxhaj: Ja, aber in den letzten fünf Jahren war die Mehrheit von Kosovoserben, nämlich 70 Prozent von denen, die im Kosovo leben, waren imstande, auf Gemeindeebene sich integrieren zu lassen. In unserer Regierung gibt es einen Vizepremierminister, es gibt drei Minister von der serbischen Minderheit, und die sind Teil von allen möglichen Institutionen, einschließlich die Außenpolitik, die Leitung. Ich habe meine Vizebotschafter in Brüssel, in New York ist praktisch ein Serbe, und ich bin auf der Suche, dass wir auch künftig einen neuen Botschafter nach Zagreb von der serbischen Minderheit schicken. Kosovo war stets ein multiethnisches Land und es wird stets ein multiethnisches Land sein, und wir sind sehr stolz, dass wir eine diverse, Gesellschaft und eine multiethnische Gesellschaft hier haben.

Welty: Die Geschichte lehrt uns, dass es in solchen Konflikten selten eine saubere Trennung zwischen Gut und Böse gibt. Wo, in der Rückschau, würden Sie sagen, auch da haben wir möglicherweise einen Fehler gemacht, waren zu schnell, zu barsch, zu wenig diplomatisch?

Hoxhaj: Um mit Ihnen sehr offen zu sein: Ich glaube, die Quelle des Konflikts war Belgrad. Und innerhalb des Kosovos waren sowohl die Albaner – die Mehrheitsbevölkerung –, als auch die Kosovoserben waren praktisch Opfer. Und diesbezüglich sind wir uns dessen bewusst, dass wir, wie wir durch die Geschichte gemeinsam gelebt haben, auch gemeinsam künftig hier leben werden. Es gibt innerhalb der europäischen Geschichte, es gibt auch innerhalb der balkanischen Geschichte mehrere Fälle, dass Völker, die einfach verfeindet waren, heutzutage versöhnt hier sind, und auch ethnische Gruppen innerhalb eines Landes hier geschafft haben, eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Das wird auch der Fall innerhalb des Kosovos sein.

Welty: Morgen feiert das Kosovo fünf Jahre Unabhängigkeit. Dazu Außenminister Enver Hoxhaj im Interview der "Ortszeit", für das ich mich herzlich bedanke!

Hoxhaj: Gern geschehen und beste Grüße nach Berlin!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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