Zeugnis einer vernichteten Welt

Rezensiert von Maike Albath · 22.11.2005
Giorgio Bassanis Roman <em>Die Gärten der Finzi-Contini</em> ist eines der großen Bücher der italienischen Nachkriegsliteratur. Bassani setzt dem jüdischen Leben in seiner Heimatstadt Ferrara ein eindringliches Denkmal.
Dass dem gebürtigen Juden die Deportation erspart blieb, wurde der Auslöser für sein Schreiben: Zeugnis von dem abzulegen, was vernichtet wurde und verloren gegangen war, verstand er als seinen Auftrag.

1916 in Bologna geboren, wuchs Bassani als Sohn eines großbürgerlichen Arztes in Ferrara auf. Die reiche Stadt im Po-Delta war seit jeher ein Zentrum des assimilierten Judentums. Aus dem Gefühl patriotischer Verpflichtung heraus trat ein großer Prozentsatz der italienischen Juden, die in vielen Städten das Rückgrat des Bürgertums bildeten, schon in den zwanziger Jahren der faschistischen Partei bei, ohne sich der politischen Implikationen bewusst zu sein.

Auch Giorgio Bassanis Vater, ein Veteran des Ersten Weltkrieges, war seit 1919 Mitglied von Mussolinis fascio. Sein Sohn war hellsichtiger und engagierte sich schon als Student der Literaturwissenschaften im Widerstand und trat als Kurier zwischen Florenz, Mailand und Rom in Aktion. Als Italien nach der Kapitulation im September 1943 in zwei Teile zerfiel - der Norden und Teile der Toskana wurden von den ehemals verbündeten Deutschen besetzt, während im Süden die Amerikaner auf dem Vormarsch waren -, brachte er seine Familie in Sicherheit und siedelte mit seiner Ehefrau nach Rom über, wo er bis zu seinem Tod lebte.

In der Nachkriegszeit hielt sich Bassani als Hilfsangestellter in verschiedenen Ministerien und Italienischlehrer mühsam über Wasser, später wurde er Redakteur einer Literaturzeitschrift und veröffentlichte erste Gedichte. 1956 brachte Bassani einen Band mit Erzählungen unter dem Titel Ferrareser Geschichten heraus, der auf begeisterte Zustimmung von Seiten der Kritik stieß. Er hatte seinen Erzählraum entdeckt: Ferrara.

Die Gärten der Finzi-Contini, 1962 erschienen und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, ist der Höhepunkt seines literarischen Schaffens. 1980 schloss Bassani seinen Ferrara-Zyklus ab. Beeinträchtigt von einer schweren Alzheimererkrankung, verstummte der Schriftsteller und zog sich schon in den späten 80er Jahren aus dem öffentlichen Leben zurück, bis er 1996 entmündigt wurde und vier Jahre später starb.

Bassanis Ferrara ist eine Chiffre für den Epochenbruch durch den Faschismus. Gegenstand von Die Gärten der Finzi-Contini ist das Schicksal einer vornehmen jüdischen Familie, die seit Generationen in Ferrara ansässig ist und ein weitläufiges Anwesen inmitten eines prächtigen Parks bewohnt. Schon als Kind hatte der schüchterne jüdische Junge und Ich-Erzähler die blonde Micòl und ihren Bruder Alberto Finzi-Contini in der Synagoge aus der Ferne bewundert, aber nie zu hoffen gewagt, sie näher kennen zu lernen.

Weil seine Kinder durch die Rassengesetze diskriminiert werden und im örtlichen Tennisverein nicht mehr erwünscht sind, stellt der Hausherr Professor Ermanno die eigenen Plätze zur Verfügung. Der Ich-Erzähler wird ein Freund der Familie und verkehrt bald täglich im Haus, führt lange Gespräche mit Professor Ermanno, arbeitet in der gut sortierten Bibliothek an seiner Dissertation und besucht Alberto auf seinem Zimmer.

Micòl mit ihrem unkonventionellen, kapriziösem Wesen und ihrer Liebe zur Literatur verdreht ihm den Kopf - er verfällt der rätselhaften jungen Frau mit Haut und Haaren, wird jedoch nicht erhört. Es kommt zu Irritationen, Micòl siedelt zum Studium nach Venedig über, beschäftigt sich mit Emily Dickinson, voller Ahnung über den nahenden Untergang ihrer Welt.

Schließlich bricht der Held den Kontakt gänzlich ab. Später kommt ihm der Tod Albertos durch eine schwere Krankheit zu Ohren. Micòls Weigerung, sich mit den politischen Umständen auseinander zu setzen und stattdessen im, wie sie mit Mallarmé formuliert "le vierge, le vivace e le bel aujourd’hui" zu leben, deutet auf das herannahende Unheil hin.

Später, heißt es im Epilog, wurden die übrigen Familienmitglieder nach Deutschland deportiert. Der Erzähler findet durch die Gespräche mit dem Ingenieur Malnate - ebenfalls ein Genosse der fernen Nachmittage im Park, überzeugter Kommunist und im tätigen Leben verankert - zu einem Bewusstsein für das, was um ihn herum geschieht.


Giorgio Bassani: Die Gärten der Finzi-Contini
Aus dem Italienischen von Herbert Schlüter.
Mit einem Nachwort von Ute Stempel.
Manesse Bibliothek der Weltliteratur.
Manesse Verlag Zürich. 448 Seiten