Zerrissenes Nachbarland

Auf dem Weg in einen polnisch-polnischen Krieg

Danzig in Polen: Ein blutrotes Wandbild auf einer Hausfassade zeigt den Vorsitzenden der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski in einer römischen Toga als Julius Cäsar.
Danzig in Polen: Ein Wandbild auf einer Hausfassade zeigt den Vorsitzenden der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski als Julius Cäsar. © imago/ZUMA Press
Von Beata Bielecka · 31.01.2018
Die Regierungspartei PiS spalte Polen immer mehr, kritisiert die Journalistin Beata Bielecka: Sie teile die Bürger in "echte Patrioten" und "Vaterlandsverräter" auf. Die in den 1980er-Jahren erkämpfte Demokratie werde im dem Land heute mit Füßen getreten.
"Was ist los mit Polen?" fragte mich kürzlich ein Kollege aus Hamburg, der in den 80er Jahren in der Danziger Werft arbeitete, wo mit Hilfe der "Solidarnosc" die friedliche Revolution in Europa begann. "Wir waren damals bereit, unser Leben zu riskieren, damit Polen von der Sowjetunion loskommt und wir in einem demokratischen Staat leben", sagte er. Umso dramatischer ist die Frage: Was ist geschehen, dass die damals erkämpfte Demokratie durch dasselbe Volk heute mit Füssen getreten wird?

Falscher Nationalstolz, Komplexe, Überlegenheitsfantasien

Die Antwort auf die Frage findet sich im Begriff des "Patriotismus". Denn die seit knapp zwei Jahren regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit PiS" manipuliert die patriotischen Gefühle der Polen. Meiner Meinung nach beruht die Haltung der PiS auf einem falsch verstandenen Nationalstolz und auf Komplexen, die wechselweise mit Über- und Unterlegenheitsfantasien kompensiert werden. "Polen muss sich erheben" – höre ich von Mitgliedern der Kaczynski-Partei, die immer wieder betonen, wir dürften uns nicht länger dem Diktat der Europäischen Union fügen.
Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass viele PiS-Politiker Brüssel heute genauso hassen wie früher Moskau. Vor kurzem haben sie in Katowice Fotos von polnischen EU-Abgeordneten, die im EU-Parlament für die Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit Polens gestimmt haben, an Galgen gehängt.

Geschichte, Kultur und Katholizismus als Mythos

Die PiS verdreht den Menschen den Kopf, indem sie von ihnen fordert, sie müssten stärkere Staatsgefühle hegen und ihnen dann ihr eigenes, einzig richtiges Muster aufdrängt. Ein Beispiel: Erst kürzlich wollte sie die Gedichte des Literatur-Nobelpreisträgers Czeslaw Milosz aus den Schullehrplänen streichen, weil er kein echter Patriot sei. Er hat eben nicht – wie die PiS es heute tut – die polnische Geschichte, Kultur und den Katholizismus zum Mythos erhoben. Das Vorbild für die Jugend soll nun der Propagandist Jarosław Marek Rymkiewicz sein, der in seinem Gedicht über den Flugzeugabsturz in Smolensk vom Blut "auf weißen Handschuhen des Donald Tusk" schreibt.
Zum Glück gibt es noch andere hier, die so denken wie ich. Unser Patriotismus wurde in den 80er Jahren geprägt und war erfüllt von den Träumen, in einem Land leben zu können, wo unterschiedliche Meinungen nebeneinander existieren können. Ich war damals Studentin der Polonistik und war Fan der Gedichte von Czeslaw Milosz. Sie mussten aus dem Westen geschmuggelt werden, weil er nach seiner Ausreise aus Polen auf der schwarzen Liste stand. Mich überzeugte sein Patriotismus: kritisch, zerrissen zwischen Nationalstolz und Scham, aber gerade dadurch wahrhaftig.

"Zum ersten Mal seit 1981 habe ich wieder Angst"

Denn jedes Volk hat in seiner Geschichte Licht und Schatten. Darüber muss man reden. Nur so kann man Schlüsse ziehen. Aber PiS will die Geschichte zensieren und teilt uns Polen in echte Patrioten und Vaterlandsverräter auf. Dadurch ziehen sie uns immer stärker in einen polnisch-polnischen Krieg. "Und wie wird das Ganze enden?" fragte mich mein Kollege aus Hamburg. "Ich weiß nicht", antwortete ich ehrlich, "aber zum ersten Mal seit dem Kriegsrecht 1981 in Polen, als ich die Panzer auf den Straßen sah, habe ich wieder Angst".

Beata Bielecka ist Redakteurin der "Gazeta Slubicka", der kommunalen Zeitung der Stadt Slubice. Zuvor arbeitete sie 20 Jahre lang als Redakteurin bei "Gazeta Lubuska", der größten regionalen Tageszeitung Polens an der deutsch-polnischen Grenze. 1996 hat sie gemeinsam mit Dietrich Schröder (Märkische Oderzeitung) den "Wächter-Preis der deutschen Tagespresse" erhalten, für eine Artikelreihe über Regelverstöße bei der Grenzpolizei. 2014 war Bielecka für den deutsch-polnischen Journalistenpreis nominiert.

Beata Bielecka, Redakteurin der "Gazeta Slubicka"
© privat
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