Donnerstag, 28. März 2024

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Nahostkonflikt
Friedensverhandlungen waren "von Anfang an chancenlos"

Die von US-Außenminister John Kerry vorangetriebenen Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern seien von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, sagte der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, im Deutschlandfunk. Die beiden politischen Führer, Benjamin Netanjahu und Mahmud Abbas, seien zu schwach, um die nötigen Kompromisse einzugehen.

Shimon Stein im Gespräch mit Peter Kapern | 03.04.2014
    Peter Kapern: Ist das das Ende eines Nahost-Friedensprozesses, der eigentlich noch gar nicht richtig begonnen hat, oder ist das nur eine weitere Umdrehung beim Taktieren und Finassieren im Zuge dieser Gespräche, die sich ohne erkennbaren Fortschritt seit neun Monaten hinziehen? Es ist schwer, das zu beurteilen. Fest steht aber: Seit Juli 2013 reden Palästinenser und Israelis wieder miteinander. Nach allem, was darüber zu hören ist, hat es bei diesen Gesprächen keinerlei Fortschritte gegeben. Zu den Vereinbarungen, die diese Gespräche überhaupt erst möglich gemacht haben, gehörte diese: Die Palästinenser haben den Gesprächen zugestimmt, ohne dass Israel seinen Siedlungsbau in den besetzten Gebieten einstellt. Außerdem haben die Palästinenser zugesichert, für die Dauer der Gespräche nicht bei den Vereinten Nationen aktiv zu werden. Dafür hat die israelische Regierung versprochen, insgesamt 104 palästinensische Langzeitgefangene frei zu lassen, in vier Gruppen je 26. Die vierte Gruppe hätte vor wenigen Tagen nach dieser Vereinbarung auf freien Fuß kommen müssen. Hätte - ist sie aber nicht. Und nun stecken die Gespräche in der Sackgasse.
    Stehen die Nahost-Gespräche also vor dem Aus? Seine Einschätzung soll uns jetzt Shimon Stein geben, der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland. Guten Morgen, Herr Stein.
    Shimon Stein: Guten Morgen, Herr Kapern.
    "Der innenpolitische Widerstand ist zu groß"
    Kapern: Herr Stein, ist das jetzt das Ende eines Friedensprozesses, der noch gar nicht recht an Fahrt gewonnen hatte?
    Stein: Ich meine, Sie haben recht mit Ihrer Feststellung. Ich gehörte zu denjenigen, die schon seit Anfang der Kerry-Mission der Auffassung waren, dass das nichts bringen wird. Die Parteien sind ja momentan nicht reif, um sich mit den Endstatus-Fragen zu befassen. Die zwei Führer, Netanjahu und Abbas, sind zu schwach. Der innenpolitische Widerstand ist zu groß, um für sie den Rubikon zu überqueren und die notwendigen Kompromisse zu finden, im Hinblick auf die Fragen, die auf der Tagesordnung stehen, eine Lösung zu finden. Insofern war es, glaube ich, eine Zeitvergeudung, und jetzt bemüht man sich vergeblich, die Gespräche fortzusetzen. Für was? Was wird sich ändern, wenn die Gespräche noch sechs Monate sich fortsetzen werden? Das, glaube ich, scheint mir momentan wie gesagt der Stand zu sein, mit allem Respekt für Herrn Kerry, der besessen war, mit einer Mission unterwegs, die von Anfang an chancenlos war.
    "Es gibt keinen gemeinsamen Nenner"
    Kapern: Das Problem im Moment, Herr Stein, scheint ja doch die Frage der 26 palästinensischen Gefangenen zu sein. Jedenfalls steht das im Vordergrund des aktuellen Streits. Was denken Sie, warum die israelische Regierung nicht zu ihrer Zusage steht, diese 26 Gefangenen frei zu lassen?
    Stein: Es geht ja gar nicht um die 26. Wenn es um 26 gehen würde, dann wäre die Frage nach der Anerkennung des jüdischen Staates - Ich meine, im Hinblick auf Ihre Frage, letzten Endes wollen die Israelis die Palästinenser bestrafen dafür, dass sie eigentlich ihre Position nicht eingenommen haben. Mehr kann ich daraus eigentlich nicht erklären. Denn die Israelis haben sich verpflichtet, aber es scheint, dass Abbas nicht bereit war, auf das, was für die Israelis wichtig ist, einzugehen, und Kerry schien eigentlich mit Netanjahu einverstanden, dass der jüdische Staat ein Teil des Problems ist, und Abbas muss darauf eingehen. Es scheint, dass die Palästinenser nicht bereit waren, auf das, was Kerry von Netanjahu übernommen hat im Hinblick auf die Sicherheit des Staates Israel, einzugehen. Insofern es gibt keinen gemeinsamen Nenner und jetzt versucht man verzweifelt, was zu finden mit Zugeständnissen an Abbas, die die Israelis nicht akzeptieren werden. Sie haben Außenminister Lieberman zitiert, der seit Langem der Auffassung ist, dass man damit aufhören soll, dass die Palästinenser momentan nicht bereit sind, auf das, was für Israel notwendig ist, einzugehen, und nun sagt er, die Freilassung von arabischen Israelis kommt nicht infrage. Nun, wenn das die Lage ist und wenn Netanjahu so schwach ist und keine Bereitschaft zeigt, eigentlich Kompromisse einzugehen, worüber soll man eigentlich verhandeln? Dazu muss man auch Abbas in die Pflicht nehmen. Auch für ihn sind manche Dinge unvorstellbar, wie zum Beispiel das Rückkehrrecht. Die Parteien sind nicht bereit, von ihrem Narrativ Abschied zu nehmen und Kompromisse im Hinblick auf Flüchtlinge, Sicherheit, Jerusalem einzugehen.
    US-Außenminister John Kerry (l.) und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bei ihrem Treffen am 02.01.2014 in Jerusalem.
    US-Außenminister Kerry (l.) und Israels Präsident Netanjahu bei den Friedensverhandlungen (picture alliance / dpa)
    "Zwei Anführer, die Angst haben"
    Kapern: Warum ist Netanjahu so schwach?
    Stein: Netanjahu ist so schwach, genauso übrigens wie Abbas, weil zunächst hat er Angst, wie die israelische Innenpolitik reagieren wird. Er hat momentan eine Fraktion in der Knesset, die extremer ist, als er es ist. Insofern: Seit Jahren hat er Angst, Entscheidungen zu treffen, die ihn vielleicht seinen Posten kosten könnten, obwohl ich behaupte, dass die Israelis bereit sind, aber momentan der Auffassung sind, dass die Palästinenser eigentlich nicht bereit sind. Insofern ist es die Innenpolitik. Die Tatsache, dass wir hier zwei Anführer haben, die Angst haben, Abschied von ihrem Narrativ zu nehmen, hier liegt der Hauptgrund. Deshalb kann Kerry bei allem Respekt sich so bemühen wie er will; momentan, glaube ich, sind seine Aussichten erfolglos.
    Kapern: Herr Stein, unsere Telefonverbindung wird im Moment etwas schlecht. Aber vielleicht kann ich es mit einer Frage noch versuchen. Vielleicht wird die Telefonverbindung ja wieder besser. Zu Beginn der Gespräche hat es immer geheißen, Herr Stein, dies sei die letzte Chance für eine Zwei-Staaten-Lösung. Was also, wenn diese Gespräche jetzt im Nichts versanden?
    Stein: Ich meine, die Idee der Zwei-Staaten-Lösung steht auf der Tagesordnung. Wie lange wird sie noch aktuell sein? Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich behaupte, dass die Israelis noch immer für diese Lösung bereit sind. Die Palästinenser scheinen auch auf diese Lösung anzugehen, denn es gibt keine andere Variante. Die Menschen müssen verstehen, dass eine Ein-Staat-Lösung für uns Israelis nicht vorstellbar ist. Das würde ein Ende des jüdischen Staates bedeuten. Deshalb glaube ich, diese Fantasie muss runter vom Tisch, und ich kann nur hoffen, dass wir eine neue Generation bekommen werden von Anführern, genauso wie die Palästinenser, die bereit wären, diese erforderlichen Zugeständnisse zu machen. Solange das nicht der Fall ist, glaube ich, können sich die Amerikaner bemühen, wie sie wollen. Am Ende müssen die Parteien die notwendigen schmerzhaften Entscheidungen für sich alleine treffen.
    Kapern: Shimon Stein, der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland. Herr Stein, ich bedanke mich vielmals für das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag.
    Stein: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.