Zentraler Gedenkort für alle NS-Opfer beschlossen

"Leerstelle der Erinnerung schließen"

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Eine Rose liegt auf einer Stele am Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin.
Ein neuer Ort des Gedenkens in Berlin soll künftig an alle NS-Opfer in Europa erinnern. © imago-images / Reiner Zensen
Martin Aust im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 09.10.2020
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Der Bundestag hat sich für die Errichtung eines Erinnerungsortes für alle Opfer des deutschen Vernichtungskrieges und der Besatzungsherrschaft im Zweiten Weltkrieg ausgesprochen. Für den Historiker Martin Aust ein "Meilenstein".
Über die Frage, ob und in welcher Form es einen Gedenkort in Berlin allein für polnische und osteuropäische Opfer des Zweiten Weltkriegs oder für alle Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges im Osten Europas geben soll, wird seit Jahren debattiert. Nun hat der Bundestag beschlossen, in Berlin einen Erinnerungsort für alle nationalsozialistischen Opfer in ganz Europa zu errichten.
Ein Ort der Information und des Dialogs über den deutschen Vernichtungskrieg, die deutsche Besatzungsherrschaft und bisher weniger beachtete Opfergruppen soll damit entstehen.
Eine Arbeitsgruppe der Bundesregierung soll die konkreten Details erarbeiten und bis zum Ende des Jahres vorstellen. Der Historiker Martin Aust, Professor an der Universität Bonn, hat sich seit geraumer Zeit für einen Erinnerungsort engagiert, der die gesamteuropäischen NS-Verbrechen im Zweiten Weltkrieg in den Blick nimmt.
Es sei vollkommen angebracht, von einem "Meilenstein" der Erinnerungskultur zu sprechen, sagt Aust. Es sei wichtig, einen Erinnerungsort für alle Opfer zu schaffen.
"Womit der Bundestag sich befasst hat, stand unter dem Imperativ, eine Leerstelle der Erinnerung zu schließen. Wenn man diese Leerstelle schließen wollte, indem man eine Opfergruppe nach der anderen mit eigenen Erinnerungsprojekten 'abarbeitet', dann schafft das sehr viel Konkurrenz, sehr viele schwierige Abwägungsfragen. Von daher halte ich es für richtig, dass der Bundestag heute eine politische Willensbekundung beschlossen hat, indem gesagt wird: Niemand wird vergessen. Wir werden an alle Opfer dieses Vernichtungskrieges erinnern."

Geteilte Reaktion aus Polen erwartet

In Polen werde der Beschluss wahrscheinlich unterschiedlich aufgefasst werden, sagt Aust.
"Wir müssen damit rechnen, dass es enttäuschte Stimmen aus Polen gibt, aus der polnischen Regierung und aus der Regierungspartei PiS. Aber wir sollten nicht übersehen, dass der Umgang mit Geschichte in Polen nach wie vor pluralistisch ist und dass es auch andere Stimmen gibt. Also ich habe die Hoffnung, dass wir gegenüber unseren polnischen Nachbarn um Verständnis werben können, dass wir nicht allein der polnischen Opfer, sondern auch der übrigen Opfer des Vernichtungskrieges gedenken."
Die neue Dokumentations-, Bildungs- und Erinnerungsstätte sollte idealerweise ihren Platz im Zentrum Berlins finden, sagt Aust. "Aber es wird mit Sicherheit schwierig werden, ein geeignetes Grundstück in der Mitte Berlins zu finden."
(rja)
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