Zentrale EU-Asylbehörde

"Vor allem die kleinen Länder reagieren allergisch"

Syrische Flüchtlinge gehen am 04.04.2016 durch die Ankunfthalle B auf dem Flughafen Hannover (Niedersachsen). Es sind die ersten syrischen Flüchtlinge, die legal auf direktem Weg aus der Türkei in die Europäische Union einreisen durften.
Die ersten syrischen Flüchtlinge, die legal auf direktem Weg aus der Türkei in die Europäische Union einreisen durften. © dpa/picture-alliance/Holger Hollemann
Steffen Angenendt im Gespräch mit Dieter Kassel · 06.04.2016
Eine zentrale EU-Asylbehörde, die die Einhaltung einheitlicher Asyl-Richtlinien lenkt und überwacht - lässt sich so etwas umsetzen? Der Asyl-Experte Steffen Angenendt hält das für sinnvoll, erwartet jedoch heftigen Widerstand seitens einiger EU-Staaten.
Die EU-Kommission verfolgt die Idee einer einheitlichen Asylbehörde, um die nach Europa strömenden Flüchtlinge schneller und gerechter verteilen zu können. Steffen Angenendt, Leiter der Forschungsgruppe "Globale Fragen" bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, hält die Einhaltung einheitlicher Standards in der Asylfrage für sehr sinnvoll.
Alle nachgelagerten Fragen - was passiert mit den Flüchtlingen, wenn sie das Asylverfahren durchlaufen haben, wo können sie sich niederlassen – hingen davon ab. Der Experte für Migration und Asyl sagte im Deutschlandradio, ein einheitliche Regelung setze genau an der Stelle an,
"die für die Malaise verantwortlich ist, die wir zur Zeit haben. Der Punkt ist eben einfach, dass wir so unterschiedliche Asylstandards haben in den Mitgliedstaaten. Die Frage, wer anerkannt wird, wird unterschiedlich beantwortet, die Unterbringung ist unterschiedlich und so weiter. Und die Idee, eine einheitliche Behörde mit einheitlichen Verfahren zu schaffen, würde natürlich genau an dieser Malaise ansetzen und wäre sicherlich eine Verbesserung."

Überall sollten gleiche Bedingungen herrschen

Ein Problem sei: Deutschland erfülle bereits die nach EU-Recht geltenden allgemeinen Asyl-Richtlinien, viele andere EU-Länder aber nicht. "Wenn die Standards weiterhin so unterschiedlich sind, werden wir eben auch unterschiedliche Asylverfahrenszahlen haben im dem einzelnen Staaten."
Es dürfe nicht sein, dass einige Staaten Anreize für Flüchtlinge böten, weil die Verfahren gut seien, und andere wiederum nicht. Die Umsetzung einer zentralen Regelung könne jedoch schwierig werden, weil einige Länder dies als Eingriff in ihre nationalen Entscheidungskompetenzen sähen.
"Vor allem die kleinen Länder reagieren sehr allergisch darauf." Denen müsse man immer wieder sagen: "Ihr habt diese EU-Richtlinien mit verabschiedet. Die sind geltendes Recht. Also seid ihr auch verpflichtet, dieses gemeinsame Asylrecht umzusetzen."


Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Die Asylpolitik innerhalb der EU wird bislang durch die Dublin-Verträge geregelt, die unter anderem besagen, dass ein Asylantrag in dem Land gestellt werden muss, in dem ein Flüchtling das erste mal EU-Boden betritt. Dass das nicht unbedingt gerecht ist und dass Länder wie Griechenland, Italien und andere Mittelmeeranrainer völlig überfordert werden, das ist auch der EU-Kommission bewusst, und deshalb wird sie heute zwei Vorschläge für eine neue, gerechtere Asylpolitik in Europa machen.
Die sind überwiegend schon bekannt, und deshalb wollen wir sie jetzt diskutieren mit Steffen Angenendt. Er ist der Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik und dort zuständig auch für die Themen Migration und Asyl. Schönen guten Morgen, Herr Angenendt.
Steffen Angenendt: Ja, guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Der sozusagen kompletteste, radikalste dieser Pläne sieht ja vor, dass das europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, EASO, das es schon gibt, umgewandelt werden soll in eine Behörde, die dann in jedem Mitgliedsland Niederlassungen hat und dort quasi die Asylverfahren abwickelt. Das wäre ein ziemlich konsequenter Plan. Aber ist es auch ein sinnvoller?
Angenendt: Es wäre sicherlich ein sehr weitreichender Plan, der eigentlich genau an der Stelle ansetzt, die für die Malaise verantwortlich ist, die wir zurzeit haben. Und der Punkt ist eben einfach, dass wir so unterschiedliche Asylstandards haben in den Mitgliedsstaaten, also die Frage, wer anerkannt wird, wird unterschiedlich beantwortet, die Unterbringung ist unterschiedlich und so weiter. Und die Idee, sozusagen eine einheitliche Behörde mit einheitlichen Verfahren zu schaffen, würde natürlich genau an dieser Malaise ansetzen und wäre sicherlich eine Verbesserung.
Kassel: Aber wie könnte man dann zum Beispiel klären, das müsste man dann ja tun mit allen Mitgliedsländern, wer anerkannt werden soll. Heute ist es ja so, dass, wenn ein Flüchtling aus einem bestimmten Staat kommt, er in dem einen EU-Land in 10 Prozent aller Fälle anerkannt wird und in einem unmittelbaren Nachbarland vielleicht nur noch zu zehn Prozent der Fälle.
Angenendt: Ja, das ist ja genau das Problem, dass eben die Standards, die eigentlich verbindlich sind für alle EU-Staaten, die ja in den EU-Richtlinien drinstehen, eben sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Also, die Verfahren sind unterschiedlich, die Kriterien sind unterschiedlich, was eigentlich nicht der Fall sein dürfte, wenn man das Recht richtig umsetzen würde. Sozusagen das Recht ist da, aber es wird eben unterschiedlich angewendet, und das ist das Kernproblem.
Kassel: Nun hat auch schon der Bundesinnenminister gesagt, es gibt andere Stimmen aus der Bundespolitik, das ist an sich ein guter Plan, aber so ganz komplett kann man ihn nicht unmittelbar umsetzen. Wie könnten Sie sich denn eine Teilumsetzung am Anfang vorstellen?
Angenendt: Aus deutscher Sicht muss man sagen, wir haben ja eigentlich ein sehr gutes und sehr sorgfältig eingehaltenes Asylsystem. Also, wir erfüllen die Richtlinien. Es sind eben andere Staaten, die die nicht erfüllen, und in die Richtung müssen wir eben kommen. Ob da jetzt sozusagen die Vereinheitlichung über eine Asylbehörde der beste, der schnellste Weg in diese Richtung ist, da muss man ein Fragezeichen hinter machen, ob das realisierbar ist. Aber dass wir in diese Richtung gehen müssen, ist völlig klar, denn wenn die Standards weiter so unterschiedlich sind, werden wir eben auch unterschiedliche Asylverfahrenszahlen haben in den einzelnen Staaten, und die Ergebnisse werden eben auch weiterhin so unterschiedlich sein, wie sie jetzt sind.
Kassel: Aber was könnte das konkret bedeuten, wenn man es komplett umsetzt? Nehmen wir ein Beispiel. Diese Behörde hat ein Büro in Spanien, dort beantragt eine Person Asyl, und die Behörde beschließt, das ist ein Asylberechtigter, er bekommt Asyl, und sagt dann von Spanien aus, er kommt aber nach Dänemark?
Angenendt: Hier geht es ja zunächst mal um die Frage, wie denn eigentlich die Verfahren durchgeführt werden, nach welchen Kriterien. Und noch mal: Das ist ein Grundproblem der bisherigen Regelungen, dass die eben sehr unterschiedlich angewendet werden. Da müssen wir ran. Die Frage der einheitlichen Standards ist wirklich ganz entscheidend, ist eine entscheidende Vorfrage auch für alle anderen nachgelagerten Fragen.
Was passiert mit den Flüchtlingen, wenn sie denn ein Verfahren durchlaufen haben, wenn sie anerkannt sind? Wo können sie sich niederlassen, unter welchen Bedingungen und so weiter. Das sind alles nachgelagerte Fragen. Die erste Frage muss sein: Wie schaffen wir es, vergleichbare, gleiche Standards in den EU-Staaten zu bekommen, sodass wir nicht in einigen Staaten Anreize bieten, weil die Verfahren gut sind, und sozusagen in anderen Staaten eben genau das Gegenteil haben, dass die Asylverfahren schlecht sind. Und der Punkt ist ja, dass die Richtlinien eigentlich gleich Verfahren vorsehen, aber eben nicht in gleicher Weise und in befriedigender Weise in den EU-Staaten umgesetzt werden.

"Eingriff in die nationalen Entscheidungskompetenzen"

Kassel: Für wie durchsetzbar halten Sie das, was die EU-Kommission will und was wir beide gerade ja auch schon besprochen haben, im Moment, in dieser EU?
Angenendt: Man muss natürlich sehen, dass das auf jeden Fall von einigen Mitgliedsstaaten als Eingriff in die nationalen Entscheidungskompetenzen gesehen wird. Da lassen die sich ungern reinreden. Wir haben genau da Widerstände gesehen ja in den vergangenen Monaten bei vielen Fragen, die das Asylrecht, die Flüchtlingspolitik betreffen, vor allen Dingen die kleineren Staaten reagieren sehr allergisch darauf.
Und trotzdem muss man immer wieder sagen, ihr habt diese EU-Richtlinien mit verabschiedet, die sind geltendes Recht, also seid ihr auch verpflichtet, dieses gemeinsame Asylrecht umzusetzen und eben auf diese Harmonisierung hinzuarbeiten. Dazu sind die Staaten verpflichtet, ob sie das nun als Eingriff in die nationale Souveränität sehen oder nicht. Und trotzdem werden die politischen Widerstände dagegen schon deutlich sein.
Kassel: Es gibt noch einen Alternativplan, den kurz zum Schluss, der besagt, wenn eine bestimmte ja auch dann erst mal irgendwie festzulegende Zahl von Flüchtlingen in einem Land überschritten wird, dann werden alle, die darüber hinaus gehen, auf die anderen Staaten verteilt. Das ist doch aber im Prinzip nichts anderes als die Quotenverteilung, die schon geplant wurde, in grün, und die lehnen ja nun auch die meisten Mitgliedsstaaten ab.
Angenendt: Ja, das ist der zweite Teil der Vorschläge, die die Kommission vorlegen wird, nämlich die Frage, wer soll denn eigentlich für die Verfahren zuständig sein. Und da zieht die Kommission tatsächlich zwei ältere Vorschläge wieder aus der Schublade. Die erste betrifft den Vorschlag, wir behalten das bisherige Dublin-System bei, ergänzen es aber durch einen sogenannten Notfallmechanismus.
Das geht eigentlich zurück auf eine alte EU-Richtlinie, die schon 2001 verabschiedet worden ist. Die hieß Richtlinie für den vorübergehenden Schutz, das ist für Bürgerkriegsflüchtling gedacht gewesen, die ist nicht angewendet worden. Das ist der erste Vorschlag. Und alternativ dazu wird die Kommission vorschlagen, das zu – oder wird den Vorschlag wiederholen, den sie letztes Jahr schon vorgebracht hat, nämlich ein Verteilungsverfahren, ein festes, verbindliches Verteilungsverfahren …
Kassel: Das klingt für mich nach Verzweiflung, ehrlich gesagt, weil das hat sie jetzt schon so oft vorgeschlagen, und alle schütteln den Kopf – nicht alle, aber die meisten.
Angenendt: Ja, ich frage mich natürlich auch – die sind ja nicht naiv, die Kommissionsmitglieder –, warum sie gerade jetzt diesen Vorschlag wieder herausholen. Und ich glaube, das hat was mit dem Türkei-Griechenland-, mit dem Türkei-EU-Abkommen zu tun. Da ist jetzt was passiert, da ist ein Fortschritt drin, da ist gezeigt worden, dass eine gemeinsame Politik durchaus Wirkungen haben kann, und offensichtlich sieht die Kommission diese Situation als so positiv und so neu an, dass sie jetzt ihre alten Vorschläge wieder rausholt.
Kassel: Steffen Angenendt von der Forschungsgruppe Globale Fragen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, über die Pläne, die die EU-Kommission heute zu einer Reform der Asylverfahren in der Europäischen Union vorschlagen wird. Herr Angenendt, vielen Dank für das Gespräch!
Angenendt: Bitteschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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