Zeitreise nach Arabien

06.05.2011
Der Italiener Pier Paolo Pasolini ist ab den 1960ern bis zu seinem gewaltsamen Tod 1975 vor allem in arabische Länder gereist. Jetzt erscheinen erstmals in Deutschland essayistische Prosastücke über seine Aufenthalte in Kuwait, Eritrea und dem Jemen.
Mit Pier Pasolini unterwegs zu sein, bedeutet vor allem, sich auf eine Zeitreise zu begeben. Ab den 1960er Jahren und bis zu seinem gewaltsamen Tod 1975 war der italienische Schriftsteller und Filmemacher immer wieder in die sogenannte weite Welt aufgebrochen – nach Indien und Afrika, vor allem aber in die Länder Arabiens. Unter dem Titel "Reisen in 1001 Nacht" sind jetzt als deutsche Erstveröffentlichung Pasolinis essayistische Prosastücke erschienen, die von seinen Aufenthalten in Kuwait, Eritrea und dem Jemen erzählen.

Beigegeben sind dem nobel ausgestatteten, im jungen Corso-Verlag erschienenen, Band berückende Schwarz-Weiß-Bilder des italienischen Fotografen Roberto Villa und ein Erinnerungstext von Dacia Maraini, die – ebenso wie der Romancier Alberto Moravia – häufig an diesen Reisen teilgenommen hatte. Gleichwohl ist das Buch kein in sich verkapseltes Liebhaber-Stück allein für eingeweihte Pasolini-Kenner.

Im Gegenteil: Wenn von Unruhen im Jemen die Rede ist und vom islamistischen Einfluss Saudi-Arabiens, vermeint man, eine aktuelle Reportage zu lesen. Auch Pasolinis Sorge um den Erhalt der historischen Bauwerke in Sanaa klingt ganz heutig; übrigens war es seinen unermüdlichen Appellen an die UNESCO zu verdanken, dass Jemens Hauptstadt schließlich zum schützenswerten "Weltkulturerbe" erklärt wurde.

Als anachronistischen, linken Elitismus wird man dagegen lesen, was der italienische Nonkonformist an den (bereits also damals existierenden) Wünschen der Regimekritiker moniert: Allein "konsumistisch kleinbürgerliche Lebensmodelle" hätten sie bei ihrem Kampf gegen die feudale Willkür im Sinn. Die heutige Generation der "Facebook-Revolutionäre" würde es wohl vor allem mit Schmunzeln hören – immerhin nämlich ist der unorthodoxe Marxismus Pasolinis flexibel genug, auch die Grenzen europäischer Begrifflichkeit zu erkennen. "Hier haben die Armen dieselbe Kultur wie die Reichen - magische Weltsicht, Homosexualität. Alles Elemente, die archaisch und sehr traditionell erscheinen könnten, aber eben nicht nur zur Kultur der Armen, sondern auch zu jener der Reichen und Privilegierten gehören."

Hand aufs laue Herz: Welcher reisende Intellektuelle würde wohl heute noch so ungeschützt schreiben, anstatt sich in eine asexuell lakonische Ironie zu flüchten, in die weichgespülte Bigotterie unserer Zeit?

Pasolini dagegen schwärmt nicht nur in Eritreas Hauptstadt Asmara von der physischen Schönheit und habituellen Anmut der dortigen Menschen und gibt sich Zufallsbegegnungen hin, die noch nicht durch finanzielle Belange korrumpiert sind. Dennoch: Der aus Rom eingeflogene Filmemacher, der für sein Projekt "1001 Nacht" eben auch Casting betreibt und nach Settings sucht, fühlt die unaufhebbare Kluft, die ihn von jener bäuerlich-archaischen Welt trennt. Dass diese Erfahrung jedoch nicht in dürrer Diskurs-Prosa transportiert wird, sondern in der Schönheit einer reflexiven Poesie, die eine fremde Wüsten- und Oasen-Welt mit all ihren Riten, Gesten und Gerüchen zur sinnlichen Anschauung bringt, macht nicht den geringsten Zauber dieses Buchs aus. Das inflationär gebrauchte Wort von der "Entdeckung" - auf Pasolinis "Reisen in 1001 Nacht" trifft es tatsächlich zu.

Besprochen von Marko Martin

Pier Paolo Pasolini: Reisen in 1001 Nacht
Aus dem Italienischen von Dorothea Dieckmann und Annette Kopetzki
Corso-Verlag, Hamburg 2011
144 Seiten, 24, 90 Euro