Zeitlos, ziellos, zähflüssig

Von Jörn Florian Fuchs · 12.01.2013
Eine Rarität auf deutschen Opernbühnen hat Christof Nel am Staatstheater Mainz inszeniert: Hans Werner Henzes "Prinz von Homburg" ist musikalisch bisweilen großartig, der Regisseur bleibt ein überzeugendes Konzept aber schuldig.
Jetzt mal ganz ehrlich: Gehen uns die Probleme dieses Adligen wirklich noch was an? Ein verträumter Prinz schafft sich seine sehr eigene Realität und ist nebenbei noch unsterblich in die Tochter des Kurfürsten verliebt. Aus Versehen missachtet er einen Befehl, wodurch aber kein Schaden entsteht. Dennoch wird er zum Tode verurteilt. Später gibt es dann ein überraschendes, vage bleibendes frohes Ende. Der Prinz bekommt seine Angebetete und fällt daraufhin in Ohnmacht, ob diese von Dauer ist, bleibt Inszenierungssache.

Christof Nel meuchelt nicht nur den Titelhelden, sondern auch noch das gesamte Begleitpersonal. Alle stürzen schlussendlich in einem imaginären Schusswechsel zu Boden. Schon vorher spielte eine üppige Soldateska-Statisterie eifrig "Fang mich!", "Versteck dich!" und "Schlag mich tot!". Arg verrenkt wirkte das oft und es störte vor allem bei intimeren Szenen. Warum muss während der Traummonologe des Prinzen unbedingt ständig gekreucht und gefleucht werden? Wieso sind bei Aussprachen zweier Figuren immer andere in der Nähe? Christof Nel hat spürbar Angst vor Konzentration und Ruhe.

Auf Roland Aeschlimanns schräger Bühne thront ein zerschossenes Ungetüm, ein Skulpturen-Zwitter mit kubistischen und vortizistischen Elementen. Meist wird davor oder darunter agiert, zeitweise auch darin. Zweimal zünden dort Feuerwerkskörper, die natürlich auf die Schlacht von Fehrbellin verweisen sollen. In Mainz wirken sie wie ein verspäteter Silvesterkracher oder ein verfrühtes Karnevalsknallbonbon.

Im Ergebnis rückt uns Kleists ebenso unscharf düsteres wie hell aufleuchtendes Stück (in Ingeborg Bachmanns Libretto) völlig fern. Die Kostüme sind ein bisschen heutig und ein wenig zeitlos, die Soldaten etwas zackig, der Prinz wirkt wie ein leicht sedierter Schlingensief-Verschnitt.

Es ist schade auf den Aufwand, denn musikalisch schwankt der Abend zwischen gut und großartig. Hermann Bäumer gelingt am Pult des Mainzer Philharmonischen Staatsorchesters eine glänzende Interpretation der Partitur. Henze kontrastiert schroffe, durchstrukturierte Militärklänge mit groß dimensionierten, manchmal geradezu lukullischen Klanggemälden. Eindrucksvoll ist die Schlagwerkbehandlung, man hört da ebenso plappernd Verspieltes wie rhythmisch vertrackte Schichtungen. All das kommt in Mainz nahezu perfekt rüber.

Auch am Sängerensemble gibt es kaum etwas auszusetzen. Christian Miedl singt den Prinzen mit herzerwärmenden Trauertönen, Vida Mikneviciute verleiht Prinzessin Natalie sanfte Erotik, Alexander Spemann brilliert als Kurfürst.

Was die Regie hinsichtlich eines sinnvollen Konzepts schuldig bleibt, macht sie immerhin durch eine streckenweise gute Personenführung – vor allem bei Prinz und Kurfürst – wett. Hier blitzte in Ansätzen auf, was Christof Loy 2009 im Theater an der Wien gelang, nämlich das vermeintlich sperrige Werk mit minimalistischen Mitteln, ohne irgendeine spezifische Deutung, szenisch plausibel zu machen und gleichsam zeitlos zu verheutigen.

Der Prinz von Homburg
Oper in drei Akten von Hans Werner Henze
Nach dem Schauspiel von Heinrich von Kleist für Musik eingerichtet von Ingeborg Bachmann
Regie: Christof Nel
Musikalische Leitung: Hermann Bäumer
Staatstheater Mainz
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