Zeitgenössische Kunst

Weg von Mitte

Juan Gaitán
Juan Gaitán © dpa / picture alliance / Felix Hörhager
Juan Gaitán im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 28.05.2014
Er geht mit der Kunst wieder an den Stadtrand und verlegt die Berlin-Biennale unter anderem nach Dahlem und Zehlendorf: Kurator Juan Gaitán will das Monumentale vermeiden und Ausstellungen eine menschlichere Dimension zurückgeben.
Matthias Hanselmann: Der Kurator der achten Berlin-Biennale für zeitgenössische Kunst, die heute in Berlin eröffnet wird, Juan Gaitán, ist ein groß gewachsener Mann mit schwarzen Locken und beeindruckendem Vollbart, der seine Sache ernst nimmt, aber auch gerne lacht. Ihm ist etwas gelungen, das man durchaus als einen Coup bezeichnen kann: Er holt die Ausstellung für zeitgenössische Kunst raus aus der Berliner Innenstadt – zwei der drei Ausstellungsorte liegen im Süden Berlins, weit weg vom Museumsballungsgebiet Mitte. Der eine Ort ist das ethnologische Museum in Dahlem, der andere das Haus am Waldsee im Bezirk Zehlendorf.
In den Dahlemer Museen waren einst die Kunstsammlungen des Westens untergebracht, aber der Ort ist fast schon Geschichte. Gemäldegalerie und Skulpturensammlung sind längst ausgezogen, und die ethnologische Sammlung soll künftig im Humboldt-Forum im Berliner Stadtschloss untergebracht werden. Das Haus am Waldsee war bis Ende der 1980er-Jahre eine der wichtigsten Einrichtungen für zeitgenössische Kunst in Berlin. Mittlerweile ist sein Ruf mehr als verblasst. Ich habe mit Juan Gaitán gesprochen und ihn gefragt, wie er denn auf diese Orte gekommen ist, warum er sie ausgesucht hat.
Juan Gaitán: Ich habe das Museum in Dahlem mehrere Male besucht und kenne auch die Sammlung dort ganz gut und mag auch die Art, wie die Sammlungen dort ausgestellt werden. Da hat man praktisch nichts verändert, da hat man alles so belassen, wie es wahrscheinlich schon in den 60er-Jahren gemacht worden ist. Normalerweise werden ja manchmal drastische Veränderungen vorgenommen in der Art, wie man Sammlungen präsentiert, und ich fand es einen interessanten Kontrast, zeitgenössische Kunst interagieren zu lassen mit so einer klassischen Sammlung.
Das Haus am Waldsee, das existiert etwa seit einem halben Jahrhundert, ist aber heute bei weitem nicht mehr so bekannt wie in den 70er- und 80er-Jahren. Ich habe das ganz bewusst ausgesucht, weil die Biennale normalerweise immer auf Monumentales setzt, auf die großen Gesten. Ich wollte alles wieder ein bisschen in eine etwas menschlichere Dimension zurückbringen. Außerdem fand ich, dass die Landschaft, die dieses Haus umgibt, doch sehr romantisch ist.
Ausgestellte Straßenzeichen
Hanselmann: Jetzt sind wir natürlich schwer gespannt, wie das funktioniert. Also, wie kann diese moderne, die zeitgenössische Kunst der Berlin-Biennale zusammenwirken mit den anderen Ausstellungsteilen, die dort in Dahlem versammelt sind. Erzählen Sie uns vielleicht Beispiele.
Gaitán: Ich habe die einzelnen Künstler ganz bewusst darum gebeten, keine Arbeiten zu zeigen, die in irgendeinem Kontext mit den existierenden Sammlungen stehen. Weil wir wollten auch hinterfragen, was ist ein Museum, was machen wir aus einem Museum, und was sollte ein Museum eigentlich sein? Und um Ihnen ein Beispiel zu nennen, es gibt eine Installation von einer Künstlerin aus Kolumbien, Beatrix Gonzales, die 80 Jahre alt ist, und die hat das mag auf den ersten Blick erscheinen so wie Straßenzeichen dort ausgestellt. Es sind Bilder von Menschen, die etwas tragen, die manchmal Körper tragen, manchmal auch direkte Objekte tragen. Das hat etwas mit Naturkatastrophen, aber auch sehr viel mit Gewalt zu tun.
Und dann kommt man hinein, und da hat der Künstler Michael Stephenson eine Installation und später eben auch Olaf Nicolai. Das stammt streckenweise aus einem Einkaufszentrum in Lichtenberg, wo wir auch einmal mit der Biennale nach Örtlichkeiten gesucht haben. Und so gibt es da einfach verschiedene Bezüge, und man hat als Betrachter auch immer die Wahl, in welcher Reihenfolge man sich die einzelnen Arbeiten anschaut. Im Haus am Waldsee geht es eher um offenere Installationen. Auf der einen Seite befinden sich dort sehr viele private Sammlungen, da ist Kunst also sozusagen mit einem Einzelnen verbunden, und dann gibt es oben eine Installation von Matts Leiderstam, wo es eben auch um Gemälde geht, um Bilder geht, beispielsweise auch um ein Bild geht, das mal im Bode-Museum war und jetzt in die Gemäldegalerie gebracht werden soll. Da geht es also auch um etwas Unterbrochenes, was wieder sichtbar gemacht werden soll.
Hanselmann: Das ist der Punkt, an dem wir auf jeden Fall erwähnen müssen, dass es noch einen dritten Ort gibt bei dieser Berlin-Biennale, den dürfen wir nicht unterschlagen, und der ist wirklich in Berlin-Mitte, das ist das KW Institute for Contemporary Arts in Berlin-Mitte. Was wird da gezeigt, im Vergleich zu den anderen Orten?
Gaitán: Nun, die größere Zahl der Arbeiten befinden sich in Dahlem. Dann gibt es sechs Arbeiten, die im Haus am Waldsee zu finden sind und im KW, das Sie erwähnt haben, in Berlin-Mitte, da finden sich etwa 13 bis 14 Installationen. Ich möchte hier vor allem auf drei Künstler eingehen. Einmal auf Elaine Koppelmann aus Argentinien, auf Bianca Baldi aus Südafrika und auf Leonor Antunes aus Portugal. Letzterer hat zum Beispiel ein Haus in Sao Paulo nachgestellt, wo sich die linke Intelligenzija getroffen hat in der Zeit der Militärdiktatur in Brasilien. Er arbeitet mit Skulpturen, er arbeitet mit Holzstrukturen, aber da gibt es auch Anspielungen auf die Ureinwohner des Amazonas. Und Bianca Baldi hat einen Reisekoffer benutzt, der zu einem Bett mit einer Matratze wird. Und sie hat das auch in einem sehr eleganten Video einmal begleitet, in dem man sieht, wie das zusammengesetzt wird und wie es auch auseinandergenommen wird.
Hanselmann: Die Dahlemer Sammlungen werden in absehbarer Zeit im Berliner Stadtschloss sein, im Humboldt-Forum, werden also vom Stadtrand wieder rein in die Stadt gepackt. Ein ganz wichtiges Signal geben Sie, oder sagen wir so, Sie geben zwei wichtige Signale mit dieser Berlin-Biennale, das eine ist: Raus aus der Innenstadt, und das andere ist: Raus aus Europa, rüber über den Tellerrand von Europa schauen. Warum ist Ihnen beides wichtig?
Gaitán: Ich glaube, für Stadtplaner ist es unglaublich wichtig, auch diese Symbolik von Kunst, alles ins Zentrum zu schaffen, also einerseits in die Museumsinsel, andererseits in das noch zu entstehende Stadtschloss und das Humboldt-Forum, damit sich alles sozusagen in Mitte unter den Linden konzentriert. Und alles, was bisher eben in Dahlem war, ist bei diesen Überlegungen einfach nicht mehr so wichtig. Ich wollte das wirklich in Frage stellen, diese Sucht, alles an einen Ort zu verpflanzen, wie es in diesem Fall getan wird. Aber da Museen überall in der Welt jetzt dazu tendieren, durch diese neuen Besucherströme sich mehr am Tourismus zu orientieren als an der Produktion von Kultur, wollte ich ganz bewusst eine Gegenrichtung einschlagen, weil mir für die Berlin-Biennale die Kulturproduktion wichtig ist, die Kunst als solche und die Künstler, und so habe ich also genau das Gegenteil gemacht und bin mit der Kunst wieder an den Stadtrand.
Eine Stadt mit vier Jahreszeiten
Hanselmann: Kunst raus aufs Land, sozusagen. Mister Gaitán, Sie haben kolumbianische Wurzeln, wohnen teilweise in Berlin und Mexiko-Stadt, haben in Rotterdam kuratiert und hatten eine Professur am California College San Francisco. Sie sind also eine Art, sagen wir mal, Vorzeigekosmopolit, ein Kommunikator zwischen den Kontinenten und Kulturen, haben sich behutsam an Berlin herangetastet. Was haben Sie über die Stadt gelernt, was haben Sie erlebt? Haben Sie den Berlin-Mythos erlebt, den die Tourismusindustrie gern zitiert?
Gaitán: Es ist immer wieder interessant, wenn man seinen eigenen Werdegang so erzählt bekommt, wie Sie es gerade getan haben. Mittlerweile befinde ich mich auch permanent in Berlin. Ich habe das gesamte letzte Jahr hier in Berlin ständig verbracht. Und ich würde sagen, dass ich doch eine sehr affektive Beziehung zu Berlin entwickelt habe, ganz besonders zur S-Bahnlinie S1, die mich 45 Minuten vom Bahnhof Oranienburger Straße bis zum Bahnhof Mexikoplatz täglich führt. Vieles ist natürlich für mich als Kolumbianer hochinteressant, in einer Stadt zu leben, die eben vier Jahreszeiten kennt. Wir in Kolumbien kennen in dem Sinne nicht vier Jahreszeiten, und auch, wenn ich zugebe, immer noch Probleme, mit dem Winter zu haben, so ist doch der Sommer eine Jahreszeit, wo Städte aufblühen, wo auch eine Stadt wie Berlin aufblüht.
Und auch ich gehöre zu denjenigen, die am Wochenende in die Krumme Lanke baden gehen. Ich habe aber auch eine Frage an Berlin, und diese Frage besteht darin: Berlin hat ja als Erbe eine Unendlichkeit an Möglichkeiten gehabt, wie sich die Stadt hätte entwickeln können, in welche Richtung man hätte gehen können. Allerdings finde ich, dass in den letzten 20 Jahren, wenn ich mir den Urbanismus anschaue, die Art, wie diese Stadt weiter urbanisiert worden ist, auch das Architektonische, das hier getan worden ist, hat man sich leider eher für Durchschnittslösungen entschieden und hat diese Möglichkeiten, die man hatte, denen hat man sich zunehmend weiter verschlossen und hat sich eigentlich eingeengt und hat keine neuen Ideen entwickelt, und das wäre eine kritische Frage, die ich an diese Stadt zu richten hätte, auch wenn ich mich hier sehr wohl fühle.
Hanselmann: Haben Sie ein Beispiel für diese Beschränktheit der Berliner Architektur?
Gaitán: Dieses Stadtschloss, das da jetzt entstehen wird, ich halte es nicht für allzu geistreich, was man da zurzeit versucht, indem man eine Fassade rekonstruiert. Ich finde, das ist nicht eine besonders interessante Herangehensweise. Wenn jetzt die Sammlung des ethnologischen Museums aus irgendeinem Grund in die Mitte kommen soll, dann kann man das hinterfragen, man kann es aber auch bis zu einem gewissen Punkt verstehen, bloß eben nicht, warum man sich dann nicht neue Orte ausdenkt und versucht, neue Wege zu gehen, wo diese Sammlung untergebracht werden könnte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.