Zeichnender Erzähler

Von Gerrit Stratmann · 27.08.2009
Unter dem Künstlernamen "Mawil" zeichnet Markus Witzel Geschichten aus dem Alltag. Fantasy-Storys hat er noch nie gemocht - zu unlogisch. "Da lese ich dann doch lieber eine Geschichte, wo jemand ein Mädchen rumkriegen will", sagt er.
80 Seiten, kaum Spannungsbogen, aber 1000 kleine Frickel-Anekdoten – so bewirbt Mawil seinen Comic über eine Schülerband. Die Beschreibung passt auch auf das übrige Werk des Berliner Comiczeichners. Seine humorvollen Geschichten entwickeln sich oft aus Situationen, die dem Alltag abgeschaut sind, ohne auf Teufel komm raus auf eine Pointe hinzudrängen. Und es sind oft Geschichten, die einen starken Bezug zu dem Leben von Markus Witzel haben, dem Künstler hinter dem Pseudonym.

"Als ich angefangen habe, dachte ich, das müsste halt sein, weil die klassischen französischen Zeichner haben auch alle so eine Wortschöpfung aus Vor- und Nachname. Ich bräucht's eigentlich nicht, ich habe einen ganz lustigen Nachnamen, aber es hat sich halt so durchgesetzt und jetzt ist es zu spät, das zu ändern."

Unter seinem Künstlernamen Mawil arbeitet Markus Witzel in einem Berliner Hinterhofatelier, wo er sich mit drei Kollegen eingemietet hat.

An seinem großen Stehpult, umgeben von Scanner, Grafiktablett, Plattenspieler und einem uralten Radio entwirft der 33-jährige Brillenträger regelmäßig kurze Geschichten für die Sonntagsausgabe des Berliner Tagesspiegels oder brütet über einem neuen Comicbuch. Aufgewachsen in der DDR, las er als Kind vor allem die Comics der ostdeutschen Mosaik-Reihe, in der die Abenteuer der Digedags und Abrafaxe erzählt wurden. Aber schon bald nach der Wende wurde seine Aufmerksamkeit von anderen Geschichten gefesselt.

"Ich war früher als junger Jugendlicher großer Fan, oder bin es noch immer, von den ganzen klassischen franko-belgischen Abenteuercomics. Die ganzen Gaston-Comics von diesem Franquin fand ich super. Ich habe damals auch versucht, mit dem Schulfüller so ähnlich schwungvolle Striche und Linien hinzukriegen wie die mit ihrem Pinsel und Feder – weil die haben im Gegensatz zu diesen ganzen Hollywood-mäßigen, amerikanischen Geschichten, haben die einfach ein Gespür für gute Alltagsbeobachtungen. Also die Franzosen haben mich immer sehr beeindruckt von den Geschichten her und auch vom Zeichenstil."

Bei Mawils eigenem Stil ist selten eine gerade Linie wirklich gerade. Selbst nachdem er seine handgemalten Zeichnungen eingescannt und im Computer nachbearbeitet hat, wirken seine Zeichnungen noch skizzenhaft, fast unfertig.

"Das sind halt alles Bleistiftsachen und da sind jetzt halt noch extrem viele Linien. Du siehst halt, hier ist erst der Körper gemalt und dann, oder zuerst Kopf und Körper, und dann erst die Hand, und da vorne siehst du halt, die Linien muss ich noch alle wegmachen am Rechner. Vielleicht habe ich irgendwo mal vorher-nachher…"

Zwei typische Figuren tauchen in seinen Geschichten immer wieder auf: sein namenloses Alter Ego, ein schlaksiger und in jeder Hinsicht durchschnittlich wirkender Typ mit Brille, und der ebenfalls bebrillte Hase mit den langen Ohren, der mittlerweile zum Maskottchen für Mawils Werke geworden ist. Sie sind die Anti-Helden seiner Bildergeschichten, die nicht in Fantasiewelten spielen, sondern meist ganz dem Alltäglichen verhaftet sind.

"Die ganzen Fantasy-Geschichten, die reizen mich nicht. Geschichten leben ja davon, dass Figuren vor irgendwelche Probleme gestellt werden, die sie dann lösen müssen. Wenn dann einer kommt, der zaubern kann, das ist so abstrakt, da kann man sich nicht so selber… Für mich ist das ein bisschen unlogisch. Da lese ich dann doch lieber eine Geschichte, wo jemand ein Mädchen rumkriegen will. Da weiß ich dann, wie schwer das ist und was für Chancen man da wo überhaupt hat."

Diese Vorliebe für reale Geschichten zeigt sich auch in dem Buch, mit dem er seinen Durchbruch auf dem Comicmarkt erlebte. "Wir können ja Freunde bleiben" heißt die autobiografisch geprägte Szenensammlung, in der Mawil die gescheiterten Annäherungsversuche seines Alter Egos an verschiedene Mädchen erzählt – viermal unerfüllte Liebe aus Kindheit und Jugend. Der Comic entstand 2002 als Diplomarbeit an der Kunsthochschule Berlin, wo er Kommunikationsdesign studierte. Die Note: eine eins. Die Veröffentlichung folgte wenig später.

Seinen ersten Comic malte er im Alter von acht Jahren. Heute ist aus dem Privatvergnügen von einst seine tägliche Arbeit geworden.

"Ich mach's inzwischen nicht mehr so viel privat, also ich zeichne für mich selber nur noch auf Reisen in so ein Skizzenbuch vielleicht, aber auch da immer weniger. Ist natürlich auch ein Beruf geworden, aber wenn's gut läuft, macht's auf jeden Fall extrem viel Spaß."

Der Lohn der Mühe: Einige seiner Werke wurden mittlerweile in verschiedene Sprachen übersetzt und sind auf Französisch, Spanisch, Englisch, Polnisch und neuerdings auch auf Tschechisch erschienen. Der Erfolg freut ihn, auch wenn er selber manchmal das Gefühl hat:

"Ich bin jetzt nicht der beste Geschichtenerzähler, es gibt andere Leute, die können bessere Geschichten erzählen, es gibt auch Leute, die können besser zeichnen, aber es gibt relativ wenig Leute, die halt beides gleichzeitig einigermaßen gut können. Das ist halt meine Marktlücke geworden."

Diese Lücke füllt er so gut aus, dass andere Medien ihn bereits einen deutschen Nick Hornby nannten oder mit Woody Allen verglichen. Seine Selbsteinschätzung klingt daneben geradezu bescheiden:

"Die Haupthelden haben alle Brillen bei mir. Das ist vielleicht das Wichtigste."