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Der Soundtrack rechten Terrors
"NS-Propaganda reinsten Wassers"

Der Attentäter von Halle hörte auf dem Weg zur Synagoge Musik, genauer: NS-Rap. Die Art der Musik und vor allem die Texte verraten viel über das Weltbild des Täters – und die Subkultur dahinter. Von einer "zutiefst antisemitischen Ideologie" spricht der Rechtsextremismusforscher Bernhard Weidinger.

Von Sammy Khamis | 25.10.2019
Teilnehmer der #unteilbar-Demo in Berlin am 13.10.2019 protestieren gegen Rassismus und Antisemitismus. Auf den Transparenten ist zu lesen: "Rechter Terror bedroht unsere Gesellschaft. Antisemitismus tötet. Rassismus tötet."
Teilnehmer der #unteilbar-Demo in Berlin am 13.10.2019 protestieren gegen Rassismus und Antisemitismus (Stefan Boness / IPON / imago-images)
Gerade noch hat Stephan B. seine rassistischen, antisemitischen und frauenfeindlichen Aussagen in den Livestream diktiert, dann will er losfahren - und hält noch einmal kurz inne. Es fehle noch etwas.
Stephan B.: "Ah, Musik."
Man sieht, wie der spätere Attentäter im Fußraum des Wagens Waffen und Patronenkisten beiseite schiebt, einen kleinen Lautsprecher anmacht und dann diesen Song laufen lässt - oder zumindest einen, der klingt, wie dieser: "Mask off", so heißt der Track und stammt von dem amerikanischen Rap-Star Future. Stephan B. hörte nicht genau diesen Song, sondern eine zynische Parodie.
Bernhard Weidinger: "Musik taucht auf, sozusagen als Soundtrack im Hintergrund. Und da ist eben ein Track zu hören, der von einem – ja, ich tue mich schwer, ihn Rapper zu nennen, aber er versteht sich offenbar selbst so - also ein Track dieses Rappers, der laut Internet aus Österreich stammt, uns bislang aber nicht bekannt ist."
Sagt Bernhard Weidinger, Rechtsextremismusforscher am Archiv des Österreichischen Widerstandes in Wien. Weidinger selbst hätte erst am Tag nach dem Attentat von dem Song gehört. "Powerlevel" heißt er und stammt von dem angeblich österreichischen Interpreten Mr. Bond.
Serbisches Propaganda-Lied
Wie rassistisch die Texte von Mr. Bond sind, zeigt sich in dem Song, der während des Anschlags lief. Von "Masterrace", also der "Herrenrasse", war da die Rede, und zwar als Antithese zu Juden. Oder von der "schwarzen Sonne", einem Neonazi-Symbol.
Musik bei Terror-Anschlägen, vor allem bei rechtsextremen Taten, ist nicht ungewöhnlich. Anders Breivik hörte, als er 2011 insgesamt 77 Menschen tötete, diesen Song: "Lux Aeterna" von Clint Mansell. Ein Lied aus dem Soundtrack von "Herr der Ringe", der auch in Computerspielen verwendet wird.
Und auch der Attentäter von Christchurch hatte einen Song gespielt – kurz bevor er im März diesen Jahres 51 Menschen erschoss und 50 Menschen verletzte – es war dieses Lied: "Serbia Strong." Es ist ein serbisches Propaganda-Lied, das dem Kriegsverbrecher Radovan Karadžić huldigt und in den letzten Jahren zu einem rechtsextremen Online-Meme geworden ist, geteilt von Menschen, die sich einen Genozid an Muslimen wünschen.
Cover-Versionen bekannter Songs
In Halle jedoch zeigt sich: Die rechte Subkultur hat sich verändert. Die Musik, die Stephan B. für seinen Anschlag auswählte, war eine moderne Parodie auf heutige Popkultur. Der Interpret Mr. Bond, der den Soundtrack zum Anschlag lieferte, macht moderne Cover-Versionen bekannter afroamerikanischer Künstler – mit extremen Texten.
Bernhard Weidinger: "Die Texte sind einerseits nationalsozialistische Propaganda reinsten Wassers, gleichzeitig aber auch inspiriert durch die US-amerikanische Version des Ganzen. 'White Supremacy', 'White Power'. Und auch den Slang teilweise der sogenannten Alt-right in den USA und des ihr zuzurechnenden Internetaktivismus. Also eine Mischung verschiedener Einflüsse, aber grundsätzlich auf dem Fundament nationalsozialistischer, zutiefst rassistischer und antisemitischer Ideologie."
In Österreich heißt es Wiederbetätigung, in Deutschland Volksverhetzung oder Verherrlichung des Nazi-Regimes. Vieles in den rund 100 Liedern, die in der Recherche aufgetaucht sind, ist möglicherweise strafbar. Abrufbar aber waren diese bis vor Kurzem noch auf YouTube, Facebook und Twitter. Recherchen legen nahe, dass Mr. Bond dort eigene Profile hatte, die von den Plattformen erst Ende 2018 gelöscht wurden. Bis dahin hatten die Songs zum Teil zehntausende Abrufe. Auf kleineren Plattformen und vor allem in den Nischen des Netzes findet sich weiterhin das gesamte Werk von Mr. Bond und vergleichbare Lieder - alle unter dem Label "NS-Rap", also Nationalsozialistischer Rap.
Das Internet vergisst nie
Bernhard Weidinger: "Grundsätzlich denke ich, dass man sich bewusst sein muss: wenn einmal etwas im Internet steht, dann wird's da auch bleiben."
Nach einer Anfrage bei der mittelgroßen Streamingseite "last.fm", auf der Mr. Bond ein Profil und mehrere Dutzend Songs gepostet hatte, wurde das Profil kommentarlos gelöscht. Das Genre NS-Rap jedoch ist weiterhin abrufbar und gut gefüllt. Sowohl mit Rappern, die offen dem Nationalsozialismus zugetan sind, als auch mit Vertretern des "neu-rechten" Raps. Diese singen dann in Codes vom "großen Austausch" oder "Remigration" - und eben nicht von Umvolkung und Massendeportation.