Yukio Mishima: "Der Goldene Pavillon"

Verwirrung, Wahn und Zerstörung

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Buchcover "Der Goldene Pavillon" von Yukio Mishima vor einem grafischen Hintergrund
"Der Goldene Pavillon" von Yukio Mishima entstand bereits in den 1950er-Jahren und ist nun einer deutschen Neuübersetzung erschienen. © Verlag Kein & Aber
Von Dirk Fuhrig · 08.01.2020
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Die alte Kaiserstadt Kyoto nach dem Zweiten Weltkrieg: Hass und Verblendung wecken in einem jungen Mann fatale Kräfte. Im Roman "Der Goldene Pavillon" beschreibt der exzentrische japanische Autor Yukio Mishima den Weg einer Radikalisierung.
Der Goldene Pavillon in der alten Kaiserstadt Kyoto ist eines der prächtigsten Bauwerke Japans. Es hatte die Bomben des Zweiten Weltkriegs unversehrt überstanden. 1950 jedoch wurde der Tempel von einem jungen Studenten in Brand gesteckt – eine nationale Katastrophe.
Der psychotische Täter litt an Minderwertigkeitskomplexen, stotterte und wollte seine Tat unter anderem als Zeichen gegen die Kommerzialisierung des Heiligtums verstanden wissen: Seit dem Ende des Kriegs hatte sich der Tempel zu einem Besuchermagneten entwickelt.

Ein junger Student, von Hass getrieben

Die Handlung des 1956 von Yukio Mishima geschriebenen Romans orientiert sich eng an diesen historischen Fakten. Der Schriftsteller hatte den Täter im Gefängnis besucht, um sich mit ihm zu unterhalten. Der Autor zeichnet einen jungen Studenten, der sich selbst, seine Mutter und seine einfache Herkunft hasst.
Er ist zwar klug, aber stottert, fühlt sich dadurch Frauen gegenüber minderwertig. Er will ausbrechen aus den Konventionen und dem vorgegebenen Lebensweg. In seiner pubertären Fantasiewelt macht er den Goldenen Pavillon als Schuldigen aus, seine Zerstörung soll für ihn die Rettung bringen, eine Art Reinigung. Der Roman endet mit den Worten: "Ich steckte mir eine an und rauchte, wie ein Mann es nach getaner Arbeit tat. Ich wollte leben."
Diskurse über Schönheit, über Veränderung und Zerstörung durchziehen den Text. Der glänzende Pavillon wird auch zu einem Symbol der Erotik, des Fleischs, der Verführung für den jungen Studenten, der Mönch werden soll.

Kluge Neuübersetzung

Mishima packt in die Figur des Brandstifters ein Bündel an Reflexionen über Gut und Böse, Wahrheit und Verbrechen, das Leiden an der modernen Zivilisation und die damals in Japan noch stark empfundene Demütigung durch die Niederlage gegen die US-Amerikaner.
Die kluge Neuübersetzung Ursula Gräfes bringt den Sturm und Drang des jungen Mannes und seine moralische Verwirrung sehr geschmeidig ins Deutsche. Mishimas Sprache wirkt in dieser Übertragung nie erhaben oder entrückt. Die seelischen Abgründe treten dadurch ebenso plastisch hervor wie Beschreibungen des mitunter sinnenfreudigen Alltags und der lockeren Sitten der Tempelmönche.
In den Irrungen des Zöglings kondensieren Verblendung, politischer Wahn, Suche nach dem Absoluten, Selbstüberschätzung und Minderwertigkeitsgefühle. Das Buch zeigt, wie sich ein junger Mensch in eine fixe Idee verrennt und aus seiner einsamen Welt nicht mehr herauskommt – heute würde man von seiner "Blase" sprechen.

Faszinierender Roman eines schillernden Autors

Der Roman gewinnt seine Bedeutung auch vor dem Hintergrund der Person seines Autors: Yukio Mishima war eine schillernde Persönlichkeit, ein Skandalon in den 50er-Jahren und erst recht in seiner noch in Konventionen geschnürten Heimat Japan. Mishima jettete playboyhaft durch die Welt, inszenierte seinen Körper, spielte mit seiner sexuellen Orientierung - er war wohl homosexuell, hatte aber auch Frau und Kind.
Dieser flamboyante Typ, der immer wieder im Gespräch für den Literatur-Nobelpreis war, hatte gleichzeitig einen paradoxen Hang nach Reinheit und einer von den Konsumwünschen der Moderne unbehelligten alten Ordnung.
All das steckt in diesem Roman des Schriftstellers – "Performance-Künstler" nennt Ursula Gräfe ihn in ihrem hervorragend einordnenden Nachwort – , der Wahn und Genie in Werk und Person verknüpfte. Eine Unbedingtheit, die sich bei Mishima nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Kunst, im Kampfsport, im kultischen Rückgriff auf traditionelle japanische Riten äußert. Und eben auch in jener Politaktion wie dem theatralisch inszenierten Putschversuch mit anschließendem öffentlichen Harakiri.
"Der Goldene Pavillon" ist ein Roman über Verblendung, über den Weg zur Radikalisierung, letztlich auch zum Terrorismus oder Faschismus. Ein faszinierendes Buch über die fatalen Zerstörungskräfte im Menschen.

Yukio Mishima: Der Goldene Pavillon
Verlag Kein & Aber, Zürich 2019
336 Seiten, 22 Euro

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