Young Euro Classic

Ein Musikfest gegen die Krisen der Welt

Nachwuchsmusiker beim Young-Euro-Classic-Festival in Berlin
Nachwuchsmusiker beim Young-Euro-Classic-Festival in Berlin © dpa / picture alliance / Soeren Stache
Von Ulrike Klobes · 19.08.2015
Beim Festival Young Euro Classic kommen die besten Jugendorchester der Welt in Berlin zusammen. In ihren Konzerten zeigen sie, was in ihnen steckt - und wie man gemeinsam nationale Grenzen überwindet.
Das Berliner Konzerthaus gleicht in diesen Tagen einem großen Jugendcamp, allerdings geht alles in sehr geordneten Bahnen zu. Um die 130 junge Musiker, eben so viele, wie ein großes Orchester braucht, warten darauf, bis sie sich endlich im großen Saal einspielen können. Diejenigen, die gerade Pause haben, stehen in kleinen Gruppen zusammen, andere stellen sich schon mal in die Schlange vom Catering. Jeden Tag ist ein anderes Orchester zu Gast bei Young Euro Classic. Man kommt, spielt und geht wieder. Dass sich die Musiker der verschiedenen Länder auf diese Weise untereinander nicht kennenlernen können, fällt dabei nicht groß ins Gewicht. Schließlich, findet Ho-Ting Chan aus London, geht es um den eigenen Auftritt. Chan ist 18 und spielt Fagott im Nationalen Jugendorchester von Großbritannien.
"Ich denke, hier aufzutreten, ist eine fantastische Gelegenheit für das Jugendorchester, weil es uns allen die Möglichkeit gibt, unsere Leidenschaft für die Musik mit einem größeren Publikum zu teilen. Und weil es zeigt, was junge Leute mit Klassischer Musik erreichen können, zusammen, als Team."
Teamgedanke steht im Mittelpunkt
Der Teamgedanke steht bei allen Jugendorchestern ganz oben auf der Agenda, schließlich will man sich beim Publikum nur von der besten Seite zeigen, und das geht nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Da ist es vollkommen egal, ob der Pultnachbar, wie beim Britischen Orchester, aus Nordirland, Schottland, Wales oder London kommt. Irgendwie gehört man ja doch zu einer Nation.
Anders sieht es beim Jugendorchester der Europäischen Union aus, dem European Euro Youth Orchestra. Die 140 Mitglieder kommen aus allen 28 EU-Ländern. Um hier mitzuspielen, müssen sich die Musiker jedes Jahr neu bewerben und sich dann gegen Mitstreiter aus der ganzen EU durchsetzen. Nach einer mehrwöchigen Probenphase geht das Orchester dann zwei Mal pro Jahr auf Europa-Tournee. Der Geiger Colm O'Reilly ist zum ersten Mal bei so einer Tour dabei und hellauf begeistert.
"Was das Orchester so besonders macht, ist die Energie, und die kommt durch die verschiedenen Nationalitäten, und dadurch, dass wir alle so jung und so leidenschaftlich dabei sind. Und wenn wir ein Konzert spielen, dann kann man das mit keinem anderen Orchester der Welt vergleichen, das gibt uns unsere Identität und unseren Klang. Und es macht großen Spaß."
Trotz der 28 verschiedenen Nationen, die hier zusammenspielen - Probleme mit der Verständigung, sagt Colm O'Reilly, gebe es keine.
"Alle sprechen Englisch und sie bringen einem lustige Wörter bei. Nein, im Ernst, es ist sehr schön. Um gemeinsam Musik zu machen, braucht nicht die gleiche Sprache zu sprechen, um sich zu verstehen. Und trotzdem kann man auch beim Musizieren viel voneinander lernen, einfach, indem man die anderen beobachtet und schaut, was sie tun. Das kann man dann bei seinem eigenen Spiel ergänzen. Natürlich lernt man so auch viel über die verschiedenen Kulturen. Und wir reisen durch ganz Europa. Ich bin zum Beispiel das erste Mal in Deutschland, also, das macht schon wirklich großen Spaß."
Auch Colm O'Reillys Pultnachbar, der Wiener Tobias Kausel, genießt die internationale Atmosphäre.
"Es gibt auch immer wieder Österreicher hier, aber ich versuche immer wieder mit möglichst verschiedenen Leuten aus anderen Ländern zu kommunizieren, was Neues lernen, Traditionen, Lieder, wir sind zum Beispiel im spanischen Bus, dort sind halt die meisten Spanier und singen ständig Lieder und eigentlich macht’s super viel Spaß, man lernt neue Kulturen kennen, Sprachen, Wörter."
Politik ist bei den Jugendlichen vom Jugendorchester der Europäischen Union kaum ein Thema. Wenn diskutiert wird, dann geht es meist um Musik. Vielleicht ist das der Grund, warum schon nach wenigen Wochen ein ganz besonderer Zusammenhalt zwischen den Mitgliedern entsteht, wie Tobias Kausel erzählt.
"Wenn man das irgendwo spüren oder sehen kann, dann ist das hier bei uns und vor allem bei den Konzerten. Wenn sich dann alle umarmen, die Pultnachbarn, egal aus welchem Land oder woher man kommt, dann sehen die Leute das auch, und die lieben das."
Colm O'Reilly jedenfalls hat bei Young Euro Classic eine ganz neue Erfahrung gemacht:
"Als ich auf dem Teppich die Treppen hoch zum Konzerthaus gelaufen bin und die Europäische Flagge gesehen habe, habe ich mich wie ein richtiger Europäer gefühlt. Da war ich ziemlich stolz."
Ein Orchester aus Deutschen und Israelis
Schon längst beschränkt man sich bei Young Euro Classic nicht mehr auf den europäischen Kontinent. Im "Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar" etwa, das das Festival vor zwei Wochen eröffnet hat, spielen zu gleichen Teilen Studenten aus Israel und Deutschland.
Obwohl es das Orchester schon seit 2011 gibt, kommen die Musikstudenten nur alle zwei Jahre zusammen, um gemeinsam zu proben und dann eine kleine Konzerttournee anzutreten, einmal in Deutschland und ein paar Monate später in Israel. Einer der wenigen, der von Anfang an dabei ist, ist der Bratschist Chai Gingsburg aus Jerusalem.
"Ich glaube, der Hauptunterschied zwischen der israelischen und deutschen Kultur ist das Benehmen, die Mentalität. Die Israelis sind entspannter und nicht so ernsthaft und präzise wie die Deutschen. Beide Kulturen können da einiges voneinander lernen, wir Israelis könnten ein bisschen gründlicher werden und die Deutschen können von uns lernen, ein wenig lockerer zu werden und mehr Spaß zu haben."
"Die Ausbildung ist ja irgendwie gleich, die Noten sind gleich, es gibt einen Dirigenten, der das gesamte Orchester leitet, und so sprechen wir durch die Musik eine Sprache. Und ich glaube, das bringt einen sehr, sehr gut auf einen Nenner ..."
... erzählt Lukas Freund, er ist 25 Jahre, und absolviert gerade seinen Master im Fach Bratsche an der Hochschule für Musik "Franz Liszt" in Weimar. Er ist zum ersten Mal beim "Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar" dabei. Hier wird aber nicht nur gearbeitet, nach den Proben und Konzerten verbringen die israelischen und deutschen Musikstudenten auch ihre Freizeit zusammen.
"Wir haben gemeinsam die Gedenkstätte Buchenwald besucht, dort haben wir, glaube ich, fünf Stunden verbracht zusammen, um diese ganzen Eindrücke zu verarbeiten und auch zu besprechen, wir haben auch gemeinsame Stadtführungen durch Leipzig gemacht oder durch Berlin, also, es gibt so gewisse gemeinsame Aktivitäten, darüber hinaus ist es natürlich trotzdem so, dass man abends mal zusammen weggeht, oder im Bus Karten spielt, oder über Schuhe redet oder was weiß ich."
"Wir gehen zusammen weg, trinken Bier, haben Spaß zusammen, reden, verbringen Zeit miteinander, wir versuchen einfach, Freunde zu sein, wie jeder andere auch."
"Also, es ist ein reger Austausch, man wohnt zusammen, man spielt zusammen, man arbeitet irgendwie auch zusammen und man verbringt Zeit miteinander und das schweißt innerhalb von zwei Wochen, die wir jetzt bald erlebt haben, sehr zusammen."
Krisen und Konflikte spielen also bei Young Euro Classic keine große Rolle. Hier dominiert nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame: die Liebe zur Klassischen Musik.
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