You'll never sleep alone

Von Eberhard Schade · 18.05.2013
Bisher sind erst fünf Fans auf dem Friedhof von Schalke 04 bestattet, doch bereits mehrere hundert haben sich eine Grabstatt reserviert. Ganz billig ist das weiß-blaue Grab nicht, doch der echte Fan hat den Anspruch: "Ein Leben lang". Das machte sich ein cleverer Geschäftsmann zu Nutze.
Mit gesenkten Köpfen stehen rund 80 Gäste vor der Trauerhalle auf dem Friedhof Gelsenkirchen-Sutum, warten auf Einlass. Ihre blau-weißen Schalke-Schals eng um den Hals geschlungen, suchen sie unter dem Vordach Schutz vorm kalten Nieselregen.

Simone, kurze blonde Haare, Mitte 40, dunkle Regenjacke mit Schalke-Schriftzug, hat eine große blau-weiß gemusterte Trommel umgeschnallt. Auf der wird sie später für Olly Olschewski trommeln. Olly Olschewski, über Jahrzehnte der Trommler in Block fünf in der Nordkurve des alten Parkstadions, von allen - wegen seines Rauschebarts - nur "Catweazle" genannt.

"Meine ersten Erfahrungen im Parkstadion waren mit Catweazle, immer da, wo er getrommelt hat, standen wir. Also wenn er zum Stadion kam, es wurde eine Gasse gebildet, er kam rein, ganz zum Schluss, alle klatschten, machten Platz und dann ging das Spiel los. Und deswegen…ist schon ein trauriger Abschied."

Um 10 nach 11 winkt Pfarrer Hans-Joachim Dohm die Gruppe in die Trauerhalle. Dohm, der erste Fußball-Pfarrer Deutschlands, mit eigener Kapelle in der Arena, ist seit fünf Jahren pensioniert. Doch für Catweazle streift er den Talar noch einmal über. Dohm steht vorn am Rednerpult, direkt neben dem Tisch mit der Urne in Form eines blau-weiß gemusterten Fußballs aus Metall. Familie Olschewski nimmt auf den schlichten Holzstühlen in der ersten Reihe Platz.

"Liebe Familie Olschewski, liebe Freunde von Karl-Heinz Olschewski, liebe Trauergemeinde. Der Mann mit der Trommel ist tot. Lange Zeit hat er Fangeschichte geschrieben und das mit einer ihm geschenkten emotionalen Stärke…"

Immer wieder nimmt Pfarrer Dohm in seiner Predigt Bezug auf den Klub. Für echte Fans eine Selbstverständlichkeit, sagt Rolf Rojek im Rausgehen.

"Wir sagen ja immer: Blau und Weiß ein Leben lang oder Schalker bis in den Tod. Schalke bedeutet für uns, jedenfalls für diese ganz alten Schalker wie wir sie waren, Parkstadion, Glück-Auf-Kampfbahn, so was wie Familie, es drehte sich alles nur immer wieder um den Verein, um den Fußball, um Schalke 04."

Rolf Rojek schließt sich dem Trauerzug an, folgt Pfarrer Dohm auf dem Kiesweg in Richtung Fan-Friedhof: Eine Fläche so groß wie ein Fußballfeld. In der Mitte ein Rasenplatz mit zwei stilisierten Toren aus Aluminium, dazwischen das Vereinsemblem "S 04" - gepflanzt aus blauen und weißen Stiefmütterchen. Drumherum die Ränge - wie in einem Stadion liegen die Gräberfelder auf mehreren Ebenen, durchzogen von akkurat gestutzten Rasenstreifen. Ein blau-weißer Metallzaun grenzt das Feld vom Rest des Friedhofs ab. Dort, am Rand, steht Ender Ulupinar, der Geschäftsführer des Fan-Felds, schwarzer Mantel, eleganter schwarzer Anzug und blau-weißer Fan-Schal.

"Wir haben offiziell den ersten Spatenstich Ende Juli gehabt und haben direkt den Zulauf bekommen von den Fans, die sich direkt Grabstellen reserviert haben, auf den Plan gesehen und reserviert. Wir haben täglich Anfragen, insgesamt haben wir über 300 Anfragen. Und die Reservierung geht in diesem Jahr über die dreistellige Zahl. Ich denke, Ende des Jahres haben wir über 100 Reservierungen."

Die Idee ist nicht ganz neu - der HSV hat seit 2008 einen Fanfriedhof. 2012 gibt Schalke das Okay. Ender Ulupinar, selbst Schalke-Fan und mit einer Friedhofsgärtnerin verheiratet, spricht bei der Stadtverwaltung vor, bekommt den Platz auf dem Friedhof. Ganz billig ist es nicht, sich hier mit Blick auf die Arena bestatten zu lassen. Der Preis für eine Grabstelle über 25 Jahre, inklusive Pflege und Wechselbepflanzung: ab 5400 Euro. Wer Glück hat, für den springt die Stiftung "Schalke hilft" ein, so auch bei Catweazle. Doch günstiger geht es nicht, sonst würde es sich für ihn nicht rechnen, sagt Ulupinar. Schließlich hat das Feld eine siebenstellige Summe gekostet. Vom Verein gab's die Rechte fürs Logo dafür immerhin umsonst.

Im Halbkreis stehen die Fans mit aufgespannten Regenschirmen ums offene Grab von Olly Olschewski - es liegt ganz außen auf dem Fan-Feld - die kürzest-mögliche Distanz zur Arena, so der letzte Wunsch von Catweazle.

Die Fußball-Urne wird langsam ins Grab gesenkt, Trompeten-Willy, ein kleiner Mann in Jeansjacke mit Schalke-Aufnähern, spielt den "Mythos vom Schalker Markt".

Noch sieht das Grab von Catweazle ein wenig verloren aus, gerade mal fünf Fans sind bisher hier auf dem Feld bestattet. Platz ist für genau 1904 Gräber - 1904 ist das Gründungsjahr des Clubs.

"Nun hören wir noch einmal den Klang der Trommel, so wie sie uns über Catweazle vertraut geworden ist…"

Pfarrer Dohm nimmt eine Handvoll Erde, wirft sie ins Grab, die Familie und Fans tun es ihm nach. Rolf Rojek wischt sich die Hände an der Jacke ab, zeigt auf die Rasenfläche. Eines Tages liege ich hier auch, sagt der ehemalige Vorsitzende des Fanklub-Verbands und geht langsam den Kiesweg entlang.

"Ich war die Nummer eins, die gebucht hatte. Ich sage immer, ich habe nicht gebucht, ich habe reserviert. Buchen tu ich später, ich hoffe, dass ich noch ein bisschen Zeit habe. Ich find einfach, wenn einer so gelebt hat und Schalke immer im Mittelpunkt war und Taufen und Hochzeiten und Geburtstagsfeiern und alles, was es so gibt, wird immer nur nach dem Spielplan gelegt, dann ist das was Schönes, wenn solche Menschen auch ihre letzte Ruhestätte mit Gleichgesinnten auf so einem Schalke-Feld haben."