Yewande Omotoso: "Die Frau nebenan"

Sarkasmus im südafrikanischen Villenviertel

Buchcover "Die Frau nebenan" von Yewande Omotoso, im Hintergrund Kapstadt bei Nacht
Buchcover "Die Frau nebenan" von Yewande Omotoso, im Hintergrund Kapstadt bei Nacht © List Verlag / imago /Deutschlandradio
Von Johannes Kaiser · 08.05.2017
Ein Schlagabtausch zweier alter Frauen im Vorort von Kapstadt: In "Die Frau nebenan" verwandelt Yewande Omotoso eine klassische Fehde zwischen Nachbarn in eine Abrechnung mit dem Apartheidsregime – gespickt mit atemberaubenden seelischen Grausamkeiten.
Sie können sich nicht leiden und scheinen außer ihrem Alter und ihrem Wohnort nichts gemeinsam zu haben: die 85-jährige Hortensia und die ebenso alte Marion. Beide wohnen Haus an Haus in einem kleinen Vorort von Kapstadt. Hier residieren seit Ewigkeiten reiche Weiße. Sie sind schockiert, als die schwarze Hortensia mit ihrem weißen Ehemann eine der Villen kauft.
Hortensia stört das wenig, hat sie doch jahrelang in London gelebt und gelernt, sich gegen versteckte rassistische Beleidigungen zu wehren. An Selbstbewusstsein fehlt es ihr nicht. Sie kann auf eine erfolgreiche Karriere als Stoffdesignerin zurückschauen. Mit ihren sarkastischen Anmerkungen stößt sie die Hauseigentümergemeinschaft ihres Viertels, insbesondere ihre Nachbarin Marion vor den Kopf. Die ist ein typisches Produkt der Apartheid, herablassend und herzlos gegenüber allen Schwarzen.

Mehr als Alter und Nachbarschaft gemeinsam

Dabei haben die Frauen mehr gemeinsam als nur Alter und Nachbarschaft. Marion war eine erfolgreiche Architektin, bis sie nach dem dritten Kind aus dem Beruf ausschied und das bis heute bereut. Das Nachbarhaus, in dem Hortensia wohnt, war ihr erstes Meisterstück. Gerne wäre sie dort selbst eingezogen. Umso heftiger neidet sie es Hortensia. Die Ehemänner der beiden sind inzwischen tot. Marions Mann hat ihr so viel Schulden hinterlassen, dass sie ihr Haus verkaufen muss. Hortensia erfährt bei der Testamentseröffnung, dass ihr Mann ein uneheliches Kind hatte. Beide Frauen fühlen sich betrogen, waren in ihren Ehen unglücklich, haben sich gegen die Umwelt verhärtet.
Als bei Renovierungsarbeiten an Hortensias Haus das Nachbarhaus schwer beschädigt wird, zieht Marion vorübergehend bei ihr ein. Es folgen verbale Zweikämpfe, aus denen meist Hortensia als Siegerin hervorgeht. Viele versteckte, schmerzliche Wahrheiten kommen ans Licht, die erklären, warum beide Frauen so verbittert und bissig geworden sind. Ganz allmählich nähern sie sich an. Doch wer nun ein Happyend erwartet, denn enttäuscht Yewande Omotoso. Das wäre allzu unrealistisch. Beide bleiben bis zum Schluss bissig.

Versteckte Wahrheiten kommen ans Licht

Yewande Omotoso hat sich zwei Frauen ausgedacht, wie sie zumindest auf den ersten Blick gegensätzlicher nicht sein könnten. Mit großem Vergnügen liest man, wie sich die beiden Alten verbal attackieren. Hinter diesem Schlagabtausch verbergen sich allerdings viele Wahrheiten über das Zusammenleben von Weiß und Schwarz im ehemaligen und heutigen Südafrika. Yewande Omotoso versteht es geschickt, eine klassische Nachbarschaftsfehde in eine Abrechnung mit dem Apartheidsregime zu verwandeln, sodass einem beim Lachen bisweilen der Atem stockt angesichts der seelischen Grausamkeiten, die sich die weiße Oberschicht gegenüber den rechtlosen Schwarzen geleistet hat.
Lebhaft und anschaulich erzählt die junge Schriftstellerin in zwanzig Kapiteln mit ausführlichen Rückblenden die Lebensgeschichten der beiden Frauen. "Die Frau nebenan" zeigt unaufdringlich, amüsant und mit viel Verständnis zwei vom Leben betrogene Frauen, die sich im hohen Alter ihren Niederlagen stellen müssen.

Yewande Omotoso: Die Frau nebenan
Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Hornfeck
List Verlag, Berlin 2017
265 Seiten, 14,99 Euro

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