Yelena Akhtiorskaya: "Der Sommer mit Pasha"

Odessa ist nicht die Lösung

Impressionen von der Brighton Beach Avenue
Impressionen von der Brighton Beach Avenue © picture alliance / dpa / Christina Horsten
Von Olga Hochweis · 18.04.2016
Als Kind kam die Autorin Yelena Akhtiorskaya mit ihrer Familie aus Odessa nach New York in die Exil-Gemeinde Brighton Beach. Mit heiterer Melancholie beschreibt sie in ihrem Debütroman die Doppel-Existenz des russischen Menschen in der Neuen Welt.
Brighton Beach liegt im New Yorker Stadtteil Brooklyn und trägt den Beinamen "Little Odessa". Kaum eine andere russischsprachige Exil-Gemeinde erinnert schon wegen der Lage an die Hafenstadt am Schwarzen Meer, aufgrund ihrer Einwohnerschaft aber auch an andere Orte der ehemaligen Sowjetunion. Brighton Beach ist "Klein-Russland am Meer" mitten in den USA.
In den vergangenen rund zwei Jahrzehnten hat sich ein literarischer Raum rund um diese New Yorker Exil-Gemeinde entwickelt. Autoren wie Gary Shteynhart, Anya Ulinich oder Lara Vapnyar gehören zu den bekanntesten Vertretern eines Subgenres aus dem Big Apple, das sich durch die besondere Perspektive seiner Autoren auszeichnet: Noch in der ehemaligen Sowjetunion geboren, aber als Kind oder Jugendlicher in New York aufgewachsen, prägt sie eine eigentümliche Doppelexistenz – so wie die 30-jährige Yelena Akhtiorskaya.
Ihr Debütroman "Der Sommer mit Pasha" gelangte auf die Bestenliste des National Book Award "5 under 35”. Als Siebenjährige kam sie mit ihrer Familie aus Odessa nach Brighton Beach. Beide Städte hat sie zum Schauplatz ihres ersten Romans gemacht, wobei Orte und Handlung ihres Familienromans hinter dem zentralen Thema ihres Buchs zurücktreten: der gefühlten Schizophrenie des russischsprachigen Exilanten in der Neuen Welt, der trotz seiner Auswanderung nicht wirklich in den USA ankommt und sich weder als Russe bzw. Ukrainer noch als US-Amerikaner fühlt.

Alter Ego der Autorin lebt zwischen allen Stühlen

Zwischen allen Stühlen sitzt auch Frida, Alter Ego der Autorin. In Brighton Beach lebt die Zehnjährige bereits zwei Jahren mit den Großeltern, dem pensionierten ukrainisch-jüdischen Ärzepaar Esther und Robert, sowie ihrer putzjobbenden Mutter Marina und dem Vater Levik, als der titelgebende Onkel Pasha aus Odessa zu Besuch kommt.
Er ist ein hypersensibler, lebensuntüchtiger Dichter, der sich linkisch durch New York bewegt und allen Überredungsversuchen seiner Familie, hinterherzuziehen widersteht:
"Als das Auto in die Brighton Beach Avenue eingebogen war und Marina fröhlich gerufen hatte: 'Wir sind da!, hatte Pasha blanken Horror empfunden. Der Dreck, die Tristesse und die Taubenscheiße störten ihn nicht, wohl aber die fünf nebeneinanderliegenden Restaurants mit dem Namen Odessa. Seine Landsleute waren nicht mutig zu neuen Ufern aufgebrochen, sondern hatten sich in eine winzige Nische am hintersten Ende eines fremden, verwahrlosten Grundstücks verkrochen, um eine exakte Kopie des chaotischen, mangelhaften Originals zu erschaffen, das sie gerade erst und unter großen Mühen verlassen hatten.'"
Nach vier Wochen kehrt Pasha Nasmertov zurück nach Odessa, um ein Jahr später ein letztes Mal in die USA zu reisen, weil die krebskranke Esther bald sterben wird.
Fünfzehn Jahre später – in Teil 2 des Buchs - macht sich ihre Enkelin Frida, mittlerweile Medizinstudentin, auf den umgekehrten Weg nach Odessa, um an der Hochzeit ihres Cousins teilzunehmen. Diese Hochzeit findet nicht statt, wie auch sonst vieles im Roman nur angesprochen, erträumt, ersehnt, aber meist wieder verworfen oder einfach vergessen wird.

Leben mit "angezogener Handbremse"

Viele eindrückliche Szenen beschreiben vor allem dieses Leben mit "angezogener Handbremse": eine erste amerikanische Urlaubsreise der Familie Nasmertow, die zum kleinen Desaster wird, der Besuch eines US-amerikanischen Slawisten, der Pashas Gedichte ins Amerikanische übersetzen will und partout Wodka zum russischen Essen erwartet, die Ausflüge zu den materiell assimilierten Russen nach Manhattan, wo sich Bewohner von Brighton Beach wie arme Verwandte fühlen, der berufliche Frust im Fall von Marina, Fridas Mutter, die ihre Tochter subtil unter Druck setzt, mehr aus ihrem Leben zu machen als sie selbst.
So ernüchternd wie heilsam gerät schließlich Fridas Reise in die alte Heimat Odessa, wo sie den alternden Onkel Pasha als ebenso verloren und fehl am Platze erlebt wie in New York – und wo auch sie selbst ihre eigene Heimatlosigkeit nur noch deutlicher spürt. Odessa ist nicht die Lösung. Es gilt, bei sich selbst anzukommen.
Mit Situationskomik und heiterer Melancholie beschreibt Yelena Akhtiorskaya eindrücklich die Doppel-Existenz des russischen Menschen in der Neuen Welt. Sie verzichtet dabei auf Larmoyanz, lässt aber die Ernsthaftigkeit und fast schon existentielle Not ihrer Figuren in einer klaren, einfachen Sprache lebendig werden. Der Original-Titel des Romans "Panic in a suitcase” bringt die Tragikomik auf den Punkt.

Yelena Akhtiorskaya: Der Sommer mit Pasha
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné
Rowohlt, Berlin 2016
384 Seiten, 19,99 Euro

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