Yayoi Kusama im Gropius-Bau

Kunst als Spiegel der Besessenheit

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Eine Installation der japanischen Künstlerin Yayai Kusama. Eine Frau steht in einem Feld phallusförmiger, weiß-rot-gemusterter Gebilde, die den Boden bedecken. Das Feld ist von Spiegeln umgeben.
„Infinity Mirror Room – Phalli’s Field“: Diese Installation von 1965 machte Yayoi Kusama berühmt. © Yayoi Kusama, Courtesy: Ota Fine Arts, Victoria Miro & David Zwirner
Von Simone Reber · 23.04.2021
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Yayoi Kusama ist auch mit 92 noch produktiv. Die für ihre Polka Dots berühmte Künstlerin lebt wegen psychischer Probleme seit Langem in einer psychiatrischen Klinik. Eine Retrospektive im Berliner Gropius-Bau spiegelt Kusamas Zwänge wider.
Die Bäume neben dem Gropius-Bau tragen rote Trikots mit schwarzen Punkten darauf. Die Verkleidung wirkt halb fröhlich, halb gezwungen. Im Inneren des Museums strecken sich rosa Tentakel zur gläsernen Decke des hohen Lichthofs. Auch diese aufblasbaren Skulpturen sind übersät mit schwarzen Punkten.
Für die japanische Künstlerin Yayoi Kusama sind die Polka Dots Ausdruck ihrer Obsession. Zur digitalen Pressekonferenz übermittelt eine Sprecherin die Botschaft der Künstlerin aus Japan: "Durch die Zeit zu rasen bis zum Tod und dann ewig weiterzuleben in schöner Liebe für den Ruhm der Menschheit. Das ist das höchste Ziel meiner Kunst."
Die etwas verklärende Ausstellung "Ein Strauß Liebe, den ich im Universum sah" im Berliner Gropius-Bau deutet die Besessenheit der Künstlerin nur an. Yayoi Kusama wurde 1929 in der japanischen Stadt Matsumoto geboren, ihre Eltern hatten eine Gärtnerei. Ein frühes Foto zeigt das junge Mädchen, das fast hinter einem Strauß Blumen verschwindet.

Gemälde bergen ein Kindheitstrauma

Die Ballblüten der Pfingstrosen wirken wie frühe Vorfahren der Polka Dots. Auflösung, Entgrenzung, Unendlichkeit werden das Thema von Yayoi Kusama. Die ersten Bilder während ihrer Studienzeit in Matsumoto zeigen verschattete, innere Welten.
"Und mich hat eben fasziniert, dass sie wirklich auch Botanik studiert hat in diesen Gemälden", sagt Stephanie Rosenthal, die Direktorin des Gropius-Baus. Die sind sehr dunkel, sehr pastos, sind auch sehr sinnlich. Und diese Motivik, die sie dort entwickelt, findet man auch in ihren ganz aktuellen Gemälden wieder.
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Die Künstlerin Yayoi Kusama verarbeitet in ihrer Kunst Zwänge und Traumata.© Yayoi Kusama, Courtesy: Ota Fine Arts, Victoria Miro & David Zwirner
Die dunklen Bilder bergen ein Kindheitstrauma der Künstlerin. Weil ihr Vater ein Schürzenjäger war, zwang die Mutter ihre Tochter, den Ehemann mit seiner Geliebten durchs Schlüsselloch zu beobachten. Für das junge Mädchen wurden die Pflanzen zu Gesprächspartnern, die Bilder zum Ausdruck ihrer Halluzinationen, einer Wahrnehmung von Räumen ohne Grenzen.

Die Entdeckung der Polka Dots

Als Yayoi Kusama 1957 nach New York umzieht, heißen ihre ersten Gemälde "Infinity Nets" – Netze der Unendlichkeit. Sie bedeckt die Leinwand so lange mit geschwungenen Pinselstrichen, bis die Farbe sich am Ende in erhabenen Punkten aufwölbt. Der nächste Schritt zu den Polka Dots.
"Die Polka Dots sind eine Fortsetzung von den Infinity Nets, die sie gemacht hat und die in diesen frühen Gemälden ansatzweise schon auftauchen", erläutert Rosenthal. "Da geht es auch um ihre Halluzinationen: Dass sie das Gefühl hat, dass die Welt überwachsen ist und sich um sie herum auch schließt. Und das ist, wie sie ihre Umwelt sieht."
Das Werk von Yayoi Kusama oszilliert zwischen Phobie und Lust an Aufmerksamkeit. 1964 zeigt sie in der Galerie Gertrude Stein ein Ruderboot, das mit einer dicken, weißen Schicht von Phalli überwuchert ist. Bald überziehen Phalli Schuhe, Tische, Frisierkommoden – Ausdruck ihrer Angst vor Sex, wie sie sagt.

Love-Ins, Happenings und Orgien

In New York organisiert sie aber auch Love-Ins, Happenings, Orgien. Da überraschen die Bilder der jungen Frau, die selbstbewusst die Aktionen dirigiert und sich in ihren eigenen Räumen inszeniert.
"Bei Kusama könnte man fast sagen, dass ihr gesamtes Schaffen eine Performance ist. Weil sie auch viel mit ihren Skulpturen interagiert, und sie ja auch auf fast jedem Installationsfoto drauf ist. Ganz explizit war sie sicher eine der progressivsten Performerinnen in New York. Sie hat angefangen sich selbst und andere mit diesen Polka Dots zu bemalen. Und da ein Verwischen von diesem inneren und äußeren Raum, von ihrem Körper und der Umgebung zu schaffen."
Mit erstaunlicher Frechheit erobert sie 1966 die Biennale von Venedig, indem sie sich selbst einlädt. Die Aktion "Narcissus Garden" ist teilweise in Berlin rekonstruiert. Im Studio von Lucio Fontana produziert Yayoi Kusama spiegelnde Silberkugeln, die Fontanas Kugeln extrem ähnlich sehen, und verkauft sie für zwei Dollar. Die Arbeit führt zu der Schwäche dieser fotogenen Kunst. Aus den spiegelnden Kugeln entstehen Spiegelkabinette. Und in diesen Infinity Räumen werden die Besucher immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen.

In Zwängen gefangen

Eigens für Berlin hat die 92-jährige Künstlerin, die seit 40 Jahren in einer psychiatrischen Anstalt in Tokio lebt und im Studio gegenüber arbeitet, einen neuen Raum entworfen. Leuchtende, bunte Kugeln dehnen sich in der gespiegelten Dunkelheit wie ein Sternensystem aus.
Wenn man das Smartphone filmend dreht, entsteht ein Strudel aus Farben. Aber die Kunst von Yayoi Kusama befreit nicht aus den Zwängen, sondern bleibt in ihnen gefangen. Am Ende landet der Blick immer beim eigenen Spiegelbild.

Die Retrospektive der Künstlerin Yayoi Kusama ist noch bis zum 15. August 2021 im Berliner Gropius-Bau zu sehen. Dieser bleibt ab dem 24. April 2021 wegen des veränderten Infektionsschutzgesetzes jedoch fürs Erste geschlossen.

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