Yael Bartana im Jüdischen Museum Berlin

Die Ästhetik der Propaganda

06:08 Minuten
Ausstellung "Yael Bartana – Redemption Now". Malka Germania (Filmstill), 2021, 3-Kanal-Videoinstallation mit Ton, 43 Min.
Der Film "Malka Germania" bildet das Herzstück der Ausstellung "Redemption Now" im Jüdischen Museum. © Auftragsarbeit für das Jüdische Museum Berlin
Von Simone Reber · 03.06.2021
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Das Jüdische Museum Berlin zeigt Werke der israelischen Künstlerin Yael Bartana. Diese korrigiert in ihren Arbeiten die Geschichte - und lässt dabei auch Albert Speers Vision von Germania aus den Fluten des Wannsees aufsteigen.
Mit Getöse steigt das Modell von Albert Speers größenwahnsinniger Vision einer Welthauptstadt Germania aus den Fluten des Berliner Wannsees auf. Über die Breite des ganzen Saals lässt die monumentale filmische Installation "Malka Germania" von Yael Bartana verschüttet geglaubte Vorstellungen an die Oberfläche steigen.
"Als Filmemacherin interessiert mich die Ästhetik der Propaganda und ihre Wirkung", sagt Bartana. "Wenn man die Nazis als Erlöserbewegung betrachtet: Welche Ästhetik haben sie dann verwendet, um diese Momente möglicher Erlösung zu erschaffen? Wie gefährlich sind diese Bilder? In Zeiten der Krise gibt es das große Bedürfnis nach Nostalgie. Und das ist sehr gefährlich."

Ein queerer Messias in Germania

"Malka Germania" bedeutet Königin Germania. Der Film bildet das unheimliche Herzstück der fulminanten Ausstellung "Redemption Now" im Jüdischen Museum. Unter der dünnen Oberfläche der Gegenwart rumoren die Bilder der Vergangenheit. Aus sanierten Gründerzeithäusern in Berlin-Mitte werden Bücher geworfen. An einem Gleis warten Menschen. Die Berliner Straßenschilder tragen Namen in hebräischer Schrift.
Filmstill aus "Malka Germania": Eine androgyne Figur vor dem Brandenburger Tor.
Ist der Messias eine Frau oder ein Mann? Das bleibt bei Yael Bartana offen.© Auftragsarbeit für das Jüdische Museum Berlin
Eine Gestalt, ganz in weiß mit einem Patronengurt um den Bauch, schreitet neben einem gescheckten Esel durch das Brandenburger Tor. Es ist ein Messias, bei Yael Bartana: eine diverse Erscheinung.
"Die Menschen, die Macht haben, sind immer Männer, weil die Männer die Geschichten geschrieben haben. Für mich ist diese Arbeit eine Art, die Geschichte zu korrigieren. Ich erzähle jetzt die Geschichte von einem androgynen Erlöser. Sie oder er, das ist beides, sie ist alle. Natürlich ist das dann eine queere Geschichte, weil ich sie geschrieben habe."

Der Erlöser als politische Figur

Sehr subtil ergründet Yael Bartana die verführerische Sprache der Propaganda und ihre subkutane Langzeitwirkung. Der Messias, sagt der Kurator Gregor Lersch, ist auch eine Figur der Gegenwart:
"Wenn wir überlegen, wie aktuell Bewegung funktioniert, wie Protest funktioniert, wie Politik funktioniert, dann funktioniert das ganz viel über die Heilserwartung und auch über den Glauben daran, dass irgendetwas besser wird, obwohl wir wissen, dass es gar nicht besser werden kann. Der Messias ist hier zu verstehen als eine politische Figur."


In der Ausstellung ist auch die Videotrilogie "And Europe will be stunned" zu sehen, die Yael Bartana 2011 im polnischen Pavillon bei der Biennale von Venedig zeigte. In den Filmen inszeniert sie mit Mitteln der Propaganda eine politische Bewegung, die drei Millionen Juden zur Rückkehr nach Polen aufruft.
Raumansicht der Ausstellung "Yael Bartana – Redemption Now".
"Redemption Now" ist auch eine Ausstellung über die politische Rolle der Kunst.© Jüdisches Museum Berlin, Foto: Yves Sucksdorff
Schon im Vorfeld erreichte das Jüdische Museum eine Anfrage, ob das Jewish Renaissance Movement ernst gemeint sei. Die Filme werden jetzt im musealen Zusammenhang gezeigt und machen auf einmal bewusst, wie schmal die Grenze ist zwischen politischer Aktion und Manipulation.
"Yael Bartana ist eine Beobachterin ihrer Zeit", sagt die Kuratorin Shelley Harten. "Wir haben das als Drohnenflug beschrieben, also eine Art Drohnenflug der kollektiven Identität, sie guckt sie sich von oben an, von unten, von der Seite und im Nachhinein kommen wir an einen Punkt, wo wir aus der Distanz heraus unsere eigene Identität hinterfragen und beleuchten können."

Grimmiger Humor

"Redemption Now" – bei Yael Bartana wird der Erlösungsgedanke begleitet von einem grimmigen Humor, der sich vor allem am Machogehabe entzündet. In einem Film beobachtet sie die SUV-Fahrer in den Dünen von Tel Aviv, die sich am Wochenende mit dem Allradantrieb durch den Strand graben und sich das Land untertan machen.
In einer Fotoserie tritt die Künstlerin mit Patriarchenbart und Locken als Theodor Herzl, der Begründer des Zionismus, auf. Humor, sagt die Künstlerin, ist gut, um Traumata zu bearbeiten: "Der Humor hat die Rolle, zu erlösen. Humor hat das Potenzial, Ängste freizusetzen, und hilft, Distanz zu dem Trauma herzustellen. Er eröffnet Raum zum Nachdenken."
Man muss in dieser sorgfältig inszenierten Ausstellung sehr genau hinschauen, um zu unterscheiden, was die Bilder im eigenen Kopf sind und was Propaganda ist. Insofern ist "Redemption Now" auch eine Ausstellung über die politische Rolle der Kunst.
Bei aller Ambiguität – eine klare Antwort hat Yael Bartana. Und zwar auf die Frage: Was passiert, wenn der Messias weiblich ist?
"Dann", sagt sie lachend, "wird alles besser."

Redemption Now – die Ausstellung mit Werken der israelischen Künstlerin Yael Bartana ist noch bis zum 10. Oktober 2021 im Jüdischen Museum Berlin zu sehen.

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