Wyndham Lewis: "Die Affen Gottes"

Abrechnung mit "betuchten Scharlatanen"

Das spartanisch gehaltene Buchcover von Wyndham Lewis Roman "Die Affen Gottes".
London, 1926: Ein Einblick in die Salons der britischen Metropole. © Diaphanes / Deutschlandradio
Von Ingo Arend · 16.12.2020
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Der junge Ire Dan Boleyn zieht 1926 durch die Salons von London und führt Buch über „die Affen Gottes“, die er dabei trifft. Lewis‘ Opus ist ein bedeutendes Stück Archäologie der literarischen Moderne, hochgelobt von Nobelpreisträger T.S. Eliot.
Wie lässt sich die Avantgarde gegen ihre Verräter verteidigen? Vielleicht lässt sich das ästhetische Wirken Percy Wyndham Lewis' in dieser Frage zusammenfassen. Der 1882 Geborene ist eine schillernde Figur der Zwischenkriegsmoderne.
Er begann als Maler und begründete den Vortizismus, die englische Variante von Futurismus und Kubismus. Als ihm nach dem 1. Weltkrieg die finanziellen Mittel zur Kunst fehlten, verlegte sich der Ex-Soldat aufs Schreiben.

Abrechnung mit Londoner Kunstwelt

Lewis schrieb viele Essays. Der 1930 in einer Miniauflage von 750 Exemplaren erschienene Roman "Die Affen Gottes" gilt als große Abrechnung mit der Londoner Künstlerwelt der 1920er-Jahre, wo die Postimpressionisten den Ton angaben.
Die Handlung des voluminösen Werks spielt im London des Jahres 1926. Der junge Ire Dan Boleyn zieht in einer Tour de Force durch die Salons der britischen Metropole. Er folgt den Anweisungen eines sechzigjährigen Albinos namens Horace Zagreus. Sorgsam führt der ängstliche 19-jährige Buch über "die Affen Gottes", die er dabei trifft.

Höhepunkt Fastnachtsparty

Der Titel des Besuches zielt auf "diese betuchten Scharlatane, die jene von ihnen zugleich bewunderten und gehassten Figuren erst imitieren und dann verhöhnen und verleumden" – Möchtegern-Artisten aus der Upperclass, die den echten Künstlern die Ateliers wegschnappen.
Höhepunkt von Dans Irrfahrt, die Lewis mehr willkürlich collagiert, als dass sie sich organisch entwickelt, ist die 250 Seiten lange Beschreibung einer karnevalesken Fasnachtsparty.
Die erstmals auf Deutsch vorliegende Übersetzung von Lewis‘ Opus ist ein bedeutendes Stück Archäologie der literarischen Moderne des 20. Jahrhunderts. Das Buch steht neben James Joyce’s "Ulysses" und Proust’s "À la recherche du temps perdu". Für Literaturnobelpreisträger T.S. Eliot war Lewis "einer der größten Prosaisten meiner Generation", Yeats vergleich ihn mit Jonathan Swift.

Rassistische und misogyne Untertöne

Lesenden heute erschließt sich der mit unendlichen Anspielungen auf die Literatur und die Personen der damaligen Zeit gespickte Text nicht auf Anhieb. Zumal er von rassistischen und misogynen Untertönen durchwoben ist. Und der Roman auch Lewis‘ Sympathie für den Nationalsozialismus erkennen lässt.
Nach einer Berlinreise 1930 hatte der Hitler in einem gleichnamigen Buch als "Mann des Friedens" gepriesen. Später vollzog er eine politische Kehrtwende. Der britische Literaturwissenschaftler Frederic Jameson erkennt in Lewis den Prototypus des "Modernisten als Faschisten".
Gleichwohl lassen sich an dem Werk Lewis hoch entwickelte Technik der Groteske und Satire, der karikaturenhaften Personenzeichnung und aberwitziger Dialoge nachvollziehen. Mit der er sich freilich von dem antinaturalistischen Credo seiner Anfänge als Maler absetzte.
Die Bedeutung der Neu-Veröffentlichung liegt darin, dass sie das außerordentliche Beispiel einer literarischen Reaktion auf einen Epochenwechsel neu zugänglich macht. Mit allen ästhetischen Mitteln arbeitet dieser Autor gegen seine Zeit.

Kuss auf blassrosa Hutzellippen

Der Roman endet dort, wo er begonnen hat: in der herrschaftlichen Villa von Lady Fredigonde Follett. Dort "gertrudesteinert" der "älteste Altstar der Klatschpresse" in einer Matratzengruft vor sich hin.
Mit der Schlussszene, in der der homosexuelle Blender Zagreus der 96 Jahre alten Lady einen Kuss auf die blassrosa Hutzellippen drückt, während auf den Straßen Londons der Generalstreik tobt, findet Lewis ein morbides Bild für das Ende des Viktorianischen Zeitalters.

Wyndham Lewis: "Die Affen Gottes"
Übersetzt von Jochen Beyse und Rita Seuß
Mit einem Nachwort von Paul Edwards
Diaphanes, Zürich 2020
776 Seiten, 40 Euro

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