Wutbürger wollen keinen Käse

Von Stefan Keim · 10.05.2011
Schiller steht im Zentrum der Ruhrfestspiele in Recklinghausen. Doch eine Neuinszenierung eines Klassikers sucht man im Programm vergebens. Das Festival begnügt sich mit Gastspielen - darunter Nicolas Stemanns gut abgehangene "Räuber" vom Hamburger Thalia-Theater und Roger Vontobels allseits gehypter "Don Carlos" aus Dresden.
Die Risikoscheu im großen Haus ermöglicht eine Masse von Uraufführungen, die die Ruhrfestspiele mit den unterschiedlichsten Bühnen koproduzieren. Neue Texte von Philipp Löhle, Dirk Laucke, Wolfram Lotz – den angesagtesten Jungdramatikern – erblicken ihr Bühnenlicht in Recklinghausen. Und ein Auftragswerk von Albert Ostermaier, der die "Räuber" und auch Schiller selbst in die Gegenwart transportieren will. "Aufstand" heißt das Stück.

Das sollen Revolutionäre sein? Vier Jungs im mittleren Alter und eine Frau beißen in Burger, einer schmiert sich Ketchup an die Jacke. "Ich hab doch extra gesagt: ohne Käse", mault einer, der sich Carlos nennt wie der berüchtigte Superterrorist. Sie wollen nur spielen, schreiben, träumen. Wutburger mit Freude an Fast Food. Das seit vier Jahren im Internet herum geisternde, stilistisch perfekt geschriebene Pamphlet "Der kommende Aufstand" war eine Inspirationsquelle für Albert Ostermaiers neues Stück. Schiller war eine andere.

Es ist ein überladener, komplexer Text, gleichwohl reizvoll. Ganz aktuell will Ostermaier sein, die durchs Internet geprägten Umwälzungen in der arabischen Welt durchschimmern lassen, deutsche Ängste satirisch zuspitzen und gleichzeitig einen heutigen Schiller schaffen, eine Figur, die mit Wortwucht und krankem Körper für eine bessere Gesellschaft eintritt. Charles heißt dieser Mann im Stück, Räuberhauptmann Karl steckt in ihm, der zu Unrecht verstoßene gute Sohn. Wolfram Koch spielt ihn flackernd und fiebrig. In einem Moment bricht Charles zusammen, ist dem Tode nah, im nächsten springt er wieder auf. Albert Ostermaier erzählt nicht kontinuierlich, die Szenen sind ein Mosaik aus unterschiedlichen Zeitebenen, sie springen auch zwischen Realität und Fantasie. Gerade wenn sich der Zuschauer einmal orientiert hat, kommt ein Bruch, und alles ist wieder anders. Die surreale Struktur erinnert an amerikanische Arthaus-Thriller wie "Inception" oder die Filme von David Lynch.

Der Ermittler Eduard ist eine ganz ähnliche Figur wie Charles. Beide erschließen sich die Welt durch Literatur. Eduard liest Proust, um Verbrechen aufzuklären und sitzt stundenlang am Tisch und schreibt sich in die Denkweisen der angeblichen Terroristen ein. Dazu ist er in ein leer stehendes Rathaus gezogen, das gerade umgebaut wird. In eben diesem Gebäude hat auch die Anarchistengruppe ein Versteck gefunden. Nun geistern Polizisten und Gejagte im gleichen Haus herum, nehmen sich erst allmählich wahr, beginnen ein Räuber- und Gendarmspiel.

Zwei Brüder lieben die gleiche Frau, es gibt einen Verräter in der Gruppe. Oder modern ausgedrückt einen V-Mann. Trotzki nennt er sich, vielleicht bloß weil er Angst vor Eispickeln hat. Udo Wachtveitl, bekannt als Tatort-Kommissar aus München, spielt diesen rätselhaften Menschen, der Frau und Kinder bei einem ebenso rätselhaften Autounfall verloren hat. Seitdem ist ihm alles egal, Hauptsache, es ändert sich was.

Die Schauspieler agieren mit großer Kraft, aber viel Energie läuft ins Leere. Der Inszenierung fehlt eine überzeugende Form, was auch am Spielort liegt. Frank Hoffmann inszeniert Ostermaiers "Aufstand" im Sitzungssaal des realen Rathauses von Recklinghausen. Es wird furchtbar heiß und stickig während der über zwei Stunden langen Aufführung. Doch das ist nicht das Hauptproblem. In diesem Raum gibt es nur eingeschränkte technische Möglichkeiten. Ostermaiers verwirrendes, vielschichtiges Stück braucht eine starke Atmosphäre, die sich mit Licht und Musik herstellen ließe. Der Ratssaal hingegen verströmt einen Realismus, der zwar zum Beginn des Textes passt, aber stört, je mehr aus dem Thriller ein Gedankendrama wird.

Einmal gelingt Frank Hoffmann ein überraschendes Bild. Da bewirten die Anarchisten Charles und seine Freundin plötzlich wie das Personal eines Sternerestaurants. Und sofort stellt sich eine dichte Stimmung ein. Doch schnell verweht sie wieder, zumal Hoffmann – was bei einer Uraufführung verständlich ist – kaum streicht. Das tut Ostermaiers Text im Saunatheater nicht gut. Irgendwann schaut man nur noch zu, wie die Schweißflecken auf den Hemden der Schauspieler immer größer werden.

Dieses Stück braucht einen Regisseur mit starker Handschrift, nicht die feinen Petitessen Hoffmanns. Die Körper dampfen, die Gedanken rasen, doch die Zuspitzung fehlt. Ein Aufstand? Ach, ein Burger gibt auch ein Gefühl der Zufriedenheit. Aber das nächste Mal bitte ohne Käse!

12. – 15. Mai, Rathaus Recklinghausen, www.ruhrfestspiele.de