Wut und Unsicherheit

17.08.2010
Kürzlich erst hat Karlsruhe die Rechte unverheirateter Väter gestärkt, nun erscheint ein Roman zu dieser Problematik: Thomas Hettche schildert die heikle Beziehung eines Vaters zu seiner pubertierenden Tochter.
Sylt. Die Zeit "zwischen den Jahren". Der Verlagsvertreter Peter, Anfang vierzig, verbringt mit seiner dreizehnjährigen Tochter Annika die Silvestertage auf der Nordseeinsel – zusammen mit einem befreundeten Paar, seiner Jugendliebe Susanne, inzwischen mit einem Arzt verheiratetet, und deren Kindern. In Hörnum hat man sich eingemietet, und was sich als erholsamer Kurzurlaub anlässt, entwickelt sich im Lauf der wenigen Tage zu einem dramatischen Szenario, das die ohnehin heikle Beziehung von Vater und Tochter auf eine harte Probe stellt.

Von Annikas Mutter Ines lebt Peter seit langem getrennt. Deren Pochen auf das alleinige Sorgerecht hat Hass geschürt. Er weiß, dass die Beziehung zu ihr ein Irrtum war, seit Jahren spricht er nicht mehr mit ihr. Zugleich ist er sich bewusst, dass er seiner Vaterrolle nicht gerecht und an Annika schuldig geworden ist. Die stochert beharrlich mit scheinbar naiven Kinderfragen in den Wunden des Vaters.

Der 1964 geborene Thomas Hettche, 2006 für seinen letzten Roman "Woraus wir gemacht sind" um ein Haar mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, hat ein schmales und dennoch ungemein vielschichtiges Buch vorgelegt. Vordergründig geht es um die juristische Frage des väterlichen Sorgerechts bei unverheirateten Paaren - erst kurz vor Erscheinen des Romans wurde sie vom Bundesverfassungsgericht neu geregelt.

Peter kämpft hilflos gegen seine Abhängigkeit von der Gesetzeslage an und beginnt allmählich zu begreifen, dass er erst mit der pubertierenden Annika, mit diesem "seltsamen Kind, das doch keins mehr ist", über die verhängnisvolle Zeit mit Ines sprechen muss, ehe sie beide vielleicht frei für die Zukunft werden.

Als Peters Unsicherheit am Silvesterabend, den der Kreis feuchtfröhlich in der legendären "Sansibar" verbringt, in Wut umschlägt und er seine Tochter jählings ins Gesicht schlägt, treibt die Geschichte einem Höhepunkt zu, der auch alle anderen Akteure dazu zwingt, ihre festgefahrenen Rollen zu überdenken.

"Die Liebe der Väter" ist ein psychologisch subtil argumentierendes Buch, das von vielen symbolischen Fäden durchsetzt ist. Da ist die von Sturmfluten bedrohte Insel Sylt, deren Untergang als Menetekel aufblitzt; da ist der magische Zeitraum der "Rauhnächte", der die glänzend eingefangene winterliche Strandlandschaft in ein unheilvolles Licht rückt. Und da sind die wehmütigen Erinnerungen an Peters Mutter Henriette, die einst auf Sylt eine Buchhandlung betrieb.

Hier und da tut Hettche – etwa wenn er Alfred Anderschs Roman "Sansibar oder der letzte Grund" einflicht oder eine Nebenfigur als hektische Aktienjongleurin agieren lässt – zu viel des Guten, doch als Ganzes beeindruckt "Die Liebe der Väter": als eindringliches Porträt einer Vater- und einer Kinderseele, als Spiegelbild der etablierten "mittleren" Generation, die den "Vorschein von etwas, das noch kommen werde", verloren hat und so tut, als sei sie dem Leben gewachsen. Und – im letzten Drittel des Romans – als bewegende Schilderung dessen, was Trennungen auslösen und wie schwer sich Schuld und Unschuld dabei bemessen lassen. Überall geht es um die Kinderliebe der Väter – und der Mütter –, um das "Wissen, was wir füreinander sein könnten".

Besprochen von Rainer Moritz

Thomas Hettche: Die Liebe der Väter
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010
224 Seiten, 16,95 Euro

Der Schriftsteller Thomas Hettche über seinen Roman "Die Liebe der Väter" und die Sorgerechts-Debatte
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