"Wozu Sex?"

Rezensiert von Christine Westerhaus · 27.06.2006
Er kostet uns Unmengen von Energie und es ist extrem aufwändig, einen geeigneten Partner dafür zu finden. Warum also haben wir Menschen Sex? Der Journalist Christian Göldenboog versucht in seinem Buch "Wozu Sex? Von der Evolution der zwei Geschlechter" neue Antworten auf diese uralte Frage zu finden.
Wozu gibt es Frauen UND Männer, wo doch Frauen ihre Kinder genauso gut ohne das so genannte starke Geschlecht auf die Welt bringen könnten? Immerhin hat die Natur dafür sogar ein Rezept parat: Die Jungfernzeugung, die Produktion von Nachkommen ohne sexuelle Befruchtung. Einige Pflanzen und Tiere pflanzen sich tatsächlich so fort. Warum also nicht auch die Menschen? Denn immerhin investieren Frauen eine Menge Energie in ihre Nachkommen, von denen die Hälfte, nämlich die männlichen, vor allem dafür da ist, später einmal Eizellen zu befruchten.

Die Antworten, die der Autor Christian Göldenboog auf die Frage nach dem Sinn von zwei Geschlechtern gibt, sind nicht wirklich neu. Doch erhebt dieses Buch auch keinen Anspruch darauf, diese uralte und unter Forschern heiß diskutierte Frage abschließend zu beantworten. Dieses Buch reiht sich ein in eine lange Liste von Werken, die sich mehr oder weniger wissenschaftlich mit diesem Thema beschäftigen. Das nun erschienene Buch gehört zu den wissenschaftlich fundierten und kommt zu recht ähnlichen Antworten wie Werke, die von bekannten Wissenschaftlern verfasst wurden.

Die Hauptthese lautet: Es gibt zwei Geschlechter, weil nur durch die sexuelle Fortpflanzung die genetische Vielfalt eines Organismus gewährleistet ist. Bei der Jungfernzeugung gibt die Mutter nur ihre eigenen Gene an die nächste Generation weiter. Wird dieses Erbmaterial dagegen mit dem eines anderen Individuums, also dem Männchen, vermischt, werden ganz neue genetische Kombinationen möglich. Und unter diesen neu entstandenen genetischen Bausätzen finden sich mit Sicherheit einige, deren Besitzer mit Veränderungen in der Umgebung viel besser zurechtkommen.

Das interessante und neue an dem jetzt erschienen Buch ist, dass der Autor die relativ neuen Erkenntnisse aus den Analysen des menschlichen Genoms und den Klonversuchen mit berücksichtigt. Das macht das Buch auch für Leser interessant, die sich mit dem Thema bereits ausführlicher beschäftigt haben. Zumal der Autor, der auch als Journalist arbeitet und sich bisher erstaunlicherweise vor allem als Champagnerkenner einen Namen gemacht hat, in diesen Abschnitten des Buchs auch sehr weit in de Tiefe der biologischen Grundlagen der Vererbung geht.

Dabei macht Göldenboog, wie auch in anderen Kapiteln, glücklicherweise nicht den Fehler, sich in Fachwissen zu verlieren. Das Buch ist durchgehend gut verständlich und der Autor erklärt die Begriffe anschaulich und so, dass auch interessierte Laien ihm folgen können. Eine Portion Aufmerksamkeit und Interesse an der Biologie gehört dennoch dazu, allem folgen zu können.

Durch einen stilistischen Trick schafft der Autor es jedoch, den Leser bei seiner Aufmerksamkeit zu halten: Über weite Strecken transportiert er die Inhalte in Form von Gesprächen mit bekannten und angesehenen Wissenschaftlern. Dabei wirft er immer wieder neue Fragen auf, die die Forscher beantworten. Da diese Zwiegespräche in wörtlicher Rede verfasst sind, hat der Leser den Eindruck, dass der Autor die Interviews tatsächlich in dieser Form geführt hat. Dieser stilistische Trick macht das Buch gleichzeitig lebendig, weil der Leser das Gefühl bekommt, an einer Diskussion unter Forschern teilzunehmen.

Natürlich bleibt Göldenboog bei diesem Thema nicht immer nur wissenschaftlich: Zum Beispiel hält er für den Leser auch ein paar pikante Details aus dem Sexualleben von Mensch und Tier parat. Dass Schimpansen nur etwa 7-10 Sekunden brauchen, um ihren Höhepunkt zu erreichen, während Beutelmäuse erst nach 12 Stunden zur Sache zu kommen. Der Mensch hat diesen schweißtreibenden Akt immerhin schon nach zweieinhalb bis 15 Minuten hinter sich.

In seinem Buch behandelt der Autor insgesamt 10 verschiedene Kapitel, die mit dem Thema Sex zu tun haben. Unter anderem beschreibt er, nach welchen Kriterien Weibchen die Männchen aussuchen, wie viel Energie die unterschiedlichen Geschlechter in ihre Keimzellen investieren und wie das Geschlechterverhältnis reguliert ist. Dabei geht es nicht nur um die menschliche Reproduktion, sondern hauptsächlich um die der Tiere.

Angenehm ist, dass Göldenboog nicht versucht, die aktuelle Diskussion um den Rückgang der Geburtenzahlen mit in sein Buch einzubauen. Fast immer bleibt er bei den wissenschaftlichen Fakten und begeht nicht den Fehler, den menschlichen Umgang mit der Sexualität als Erklärungsmuster zu missbrauchen.

Zudem versucht er nicht, die Frage nach dem Sinn von zwei Geschlechtern abschließend zu beantworten. Vermutlich ist er sich darüber im Klaren, dass er sich bei dieser Frage nicht zu weit aus dem Fenster lehnen sollte, weil Diskussionen um diese Frage unter Wissenschaftlern zu vielen Streitigkeiten führen. In weiten Teilen überlässt er es daher dem Leser, die wissenschaftlichen Fakten und die Diskussionen unter Forschern zu interpretieren.

Insgesamt herausgekommen ist dabei ein gut recherchiertes und trotz seines Tiefgangs unterhaltsames Buch über den Sinn der sexuellen Fortpflanzung.


Christian Göldenboog: Wozu Sex? Von der Evolution der zwei Geschlechter
Deutsche Verlags-Anstalt
239 Seiten, gebunden, 19,90 €