Woran arbeiten Sie gerade, Herr Schily?

Warum es beim Dirigieren auf Kleinigkeiten ankommt

Otto Schily dirigiert im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin während der Aufzeichnung der ZDF-Show "Alles Klassik - Klassik für alle" die Musiker der "Philharmonie der Nationen"
Ex-Bundesinnenminister Otto Schily als Dirigent © dpa / picture alliance / Soeren Stache
Otto Schily im Gespräch mit Dieter Kassel · 02.01.2018
Dass auch die Musik "harte Arbeit" ist, erfährt gerade der frühere SPD-Innenminister, Otto Schily. Derzeit bereitet er sich darauf vor, ein Neujahrkonzert im westfälischen Borken zu dirigieren. Dabei komme es auf "Präzision" an, sagte Schily, der zeitlebens Klavier spielt.
Der SPD-Poliker und frühere Bundesinnenminister, Otto Schily, wird am 5. Januar 2018 in Borken in Westfalen den ersten Teil eines Neujahrkonzerts dirigieren. Auf dem Programm steht die Rossini-Ouvertüre zu "Figaros Hochzeit" und das Klavierkonzert von Mozart, Köchelverzeichnis 488.
Im Deutschlandfunk Kultur nannte Schily das Dirigieren am Pult vor einem Orchester, das nun mal aus lauter Individualisten bestehe, "harte Arbeit". Beim Lesen der Partitur dürfe einem kein Fehler unterlaufen – "es kommt da auf Kleinigkeiten an, und das Wichtigste sind dann die Proben". Damit ein "Kunstwerk" entstehe, komme es "schon sehr stark auf Präzision an".

"Als ich noch eine Knabenstimme hatte, hatte ich eine sehr schöne Stimme"

Durch seine Familie sei er von Kindheit an mit klassischer Musik vertraut, sagte Schily, seine Mutter sei eine hervorragende Geigerin gewesen. Wenn er eine Partitur lese, dann höre er sie Musik.
"Wir haben alle ein Instrument gelernt, wir haben zu Hause viel Kammermusik gemacht. Ich habe auch gesungen: Als ich noch eine Knabenstimme hatte, hatte ich eine sehr schöne Stimme. (...) Noten zu lesen, habe ich kein Problem. Ich kann auch sogar vom Blatt lesen. Also ich kann schon mal ein Klavierstück auch vom Blatt spielen. Aber vom Blatt dirigieren, das wäre schon wieder ein bisschen schwieriger."
Sein Talent für die Musik sei aber nicht so groß gewesen, wie seine Eltern gerne glauben wollten, meinte Schily, deshalb habe er sich für Jura entschieden – ein Fach, das alle Optionen offen lasse.
"Und am Anfang habe ich eigentlich überhaupt keine juristischen Vorlesungen gehört, sondern Philosophie und Literatur und solche Dinge."

"Musik ist ein Kontinuum in meinem Leben"

Musik sei ein Kontinuum in seinem Leben, das er nicht missen möchte, sagte Schily.
"Deshalb – das klingt also ein bisschen arrogant und ich kann es mir ja auch erfreulicherweise leisten – aber da wo ich wohne, da muss immer auch ein Steinway sein."
Natürlich habe er als Dirigent aber auch Lampenfieber, gestand Schily, so wie es es auch bei Reden immer gehabt habe:
"Ja, Lampenfieber habe ich immer. Ich habe ja auch bei Reden immer ein bisschen Lampenfieber gehabt. Aber das geht dann weg, wenn ich erst mal in dem Stück bin."
(huc)
Otto Schily spielt im März 2002 auf der Musikmesse in Frankfurt am Main auf einem Klavier. Zuvor war der SPD-Politiker und damalige Innenminister als "Klavierspieler des Jahres 2002" auszeichnet worden.
Otto Schily spielt im März 2002 auf der Musikmesse in Frankfurt am Main auf einem Klavier. Zuvor war der SPD-Politiker und damalige Innenminister als "Klavierspieler des Jahres 2002" auszeichnet worden. © picture-alliance / dpa

Das Interview mit Otto Schily im Wortlaut:
Dieter Kassel: Woran arbeiten Sie gerade? Diese Frage habe ich vor der Sendung Otto Schily gestellt, Jurist, ehemaliger Bundesinnenminister, inzwischen 85 Jahre alt und zurzeit damit beschäftigt, sich darauf vorzubereiten, am kommenden Freitag das Neujahrskonzert in der westfälischen Stadt Borken zu dirigieren.
Er hat in seinem Leben durchaus schon mal dirigiert, das letzte Mal ist allerdings über zehn Jahre her. Und die ganze Sache ist ja so einfach nicht, auch wenn man, wie er, sich sein Leben lang immer auch mal wieder mit Musik beschäftigt hat. Grundfrage aber war für mich: Ist denn für einen Musikliebhaber wie Otto Schily ein solches Dirigat und die Vorbereitung darauf überhaupt wirklich Arbeit, oder ist das eher Vergnügen? Genau das habe ich ihn am Anfang unseres Gesprächs gefragt.
Otto Schily: Das ist beides, es ist aber auch harte Arbeit. Zunächst muss man ja die Partituren sehr genau lesen. Da darf einem kein Fehler unterlaufen. Es kommt da auf Kleinigkeiten an. Und das Wichtigste sind dann die Proben. Die habe ich schon jetzt, einige Proben hinter mir, und da merkt man dann auch erst, ob an der einen oder anderen Stelle die Sache sitzt oder nicht. Es kommt schon sehr stark auf Präzision an, damit dann ein Kunstwerk auch entsteht.

"Ich bin mit Noten ja schon seit der Kindheit vertraut"

Kassel: Wenn Sie Partituren lesen, jetzt diese natürlich für das Konzert, aber vielleicht auch bei anderen Gelegenheiten, wenn Sie dieses Papier in der Hand haben und die Noten vor Augen, hören Sie dann Musik in Ihrem Kopf?
Schily: Ja, das höre ich. Wenn ich das Musikstück kenne. Wenn es mir ganz fremd ist, dann habe ich schon manchmal ein Problem, mich reinzuhören, aber ich bin mit Noten ja schon seit der Kindheit vertraut. Ich hab ja wirklich sozusagen von klein auf mit Musik gelebt. Meine Mutter war eine große Geigerin, ganz hervorragende Geigerin, ausgebildet am Stern'schen Konservatorium in Berlin. Das hat mich mein ganzes Leben begleitet.
Wir haben alle ein Instrument gelernt, wir haben zu Hause viel Kammermusik gemacht. Ich habe auch gesungen, als ich noch eine Knabenstimme hatte, hatte ich eine sehr schöne Stimme. Nach dem Stimmbruch blieb mir die leider nicht erhalten. Insofern, Noten zu lesen habe ich kein Problem. Ich kann auch sogar vom Blatt lesen, also ich kann schon mal ein Klavierstück auch vom Blatt spielen. Aber vom Blatt dirigieren, das wäre schon wieder ein bisschen schwieriger.
Kassel: Wir kommen aufs Dirigieren zurück. Aber wo Sie über Ihre Familie jetzt schon gesprochen haben und Ihre persönliche Liebe auch zur Musik – Sie haben sich aber natürlich dann nach der Schule als junger Mann irgendwann dazu entschlossen, Jura zu studieren. Und ich habe immer wieder gelesen, Sie hätten damals auch kurz mit dem Gedanken gespielt, Berufsmusiker zu werden. Das ist ja doch eine herbe Auswahl, die Sie dann treffen mussten, entweder die Rechtswissenschaft oder die Musik.
Schily: Man muss ja ehrlich mit sich umgehen. Meine Eltern haben mir manchmal ein bisschen ein Talent sozusagen zugeschrieben, was ich wirklich nicht hatte. Ich meine, ich bin nicht untalentiert, und zeitweise gelingen mir sogar auf dem Klavier wirklich ganz … – es ist ganz gut, und zeitweise habe ich sogar sehr schön Cello gespielt, und selbst Dirigieren kann ich auch ganz gut. Aber es ist eben nicht, das, was man sagen muss, die Höhe hat, dass es dann auch für einen Beruf ausreicht. Und deshalb habe ich mich dann für Jura entschlossen.
Und Jura war eigentlich doch so ein Studium, wo ich sagte, da bleiben dir alle Optionen offen. Da bin ich nicht so früh festgelegt auf eine bestimmte Schiene. Und am Anfang habe ich eigentlich auch überhaupt keine juristischen Vorlesungen gehört, sondern Philosophie und Literatur und all solche Dinge.
Kassel: Das hat sich ja als wahr erwiesen, was Sie sich damals gedacht haben, man kann mit Jura eine Menge machen. Das haben Sie getan in Ihrem langen Leben. Aber ist eigentlich diese Liebe zur Musik immer geblieben? War Ihnen das privat immer wichtig, auch Musik zu haben.

"Da, wo ich wohne, da muss auch immer ein Steinway sein"

Schily: Das ist ein Kontinuum in meinem Leben, und ich möchte das auch gar nicht missen. Das klingt ja so ein bisschen arrogant, und ich kann es mir ja auch erfreulicherweise leisten, aber da, wo ich wohne, da muss auch immer ein Steinway sein. Und das gehört sozusagen zu meinen wichtigsten Interieur, sowohl in meinem kleinen Anwesen, das ich da Italien habe, da habe ich ein Steinway, und hier natürlich in Berlin natürlich auch ein Steinway.
Kassel: Haben Sie aber eigentlich in Ihrem Leben zum Beispiel natürlich in der Zeit als Bundesinnenminister, aber auch in vielen anderen Phasen, wo Sie beruflich doch sehr eingespannt waren, haben Sie es immer geschafft, sich solche Freiräume zu nehmen, ab und zu doch noch mal am Klavier zu sitzen oder wenigstens Musik zu hören, wenn schon nicht zu machen?
Schily: Ja. Ich habe eigentlich in der Regel immer noch die Zeit gehabt, zu spielen. Wissen Sie, es gibt nichts Wunderbareres, um sich geistig wieder zu regenerieren, als Bach zu spielen. Das "Wohltemperierte Klavier" von Bach ist dann einfach, um sich geistig wieder sozusagen zu restituieren, ist das eine wunderbare Möglichkeit.
Kassel: Sie haben ja schon zugegeben, Sie sind vor allem auch deshalb nicht Berufsmusiker geworden, weil, ich fasse das mal so zusammen, Sie selber dachten, dafür bin ich am Ende nicht gut genug, und ich möchte das gar nicht erleben, dann möchte ich lieber privat diese Liebe erhalten.
Schily: Ja.
Kassel: Was wäre eigentlich gewesen, wenn diese Idee, dieses Angebot, das Sie jetzt angenommen haben, mal wieder – es ist nicht das allererste Mal – ein Orchester zu dirigieren, wenn das nicht aus Borken gekommen wäre, von diesem Orchester, sondern wenn Ihnen jemand gesagt hätte, Herr Schily, dirigieren Sie doch mal eines dieser ganz weltbekannten Orchester – die Wiener Symphoniker, das Concertgebouw Orchestra, eines dieser ganz großen Dinge? Hätten Sie sich das auch zugetraut?
Schily: Das hätte ich mir auch zugetraut. Dann wäre vielleicht mein Lampenfieber noch größer, aber ich meine, ich hab ja schon mal die Philharmonie der Nationen dirigiert. Das ist ja ein wirklich auch international hoch anerkanntes Orchester. Aber man soll auch die Musiklandschaft Westfalens nicht unterschätzen. Das ist ein sehr gutes Orchester. Die verlangen einem auch etwas ab. Die lassen einem das auch nicht durchgehen, wenn ich da nur so dirigiere, so obenhin. Das geht mit so einem Orchester überhaupt nicht. Und Justus Franz hat ja diese Philharmonie der Nationen und damals auch noch mit Bernstein zu einem ganz großartigen Klangkörper gebildet. Leider ist ja dieses Orchester jetzt auseinandergefallen.
Kassel: Was Sie erwähnt hatten, war für eine ZDF-Sendung damals. Ich glaube, 2005 war das, worüber Sie gerade sprachen. Habe ich Sie gerade so nebenher richtig verstanden, Sie haben tatsächlich jetzt wegen Freitag, wegen des Konzerts in Borken, Sie haben wirklich Lampenfieber, sind ein bisschen nervös?
Schily: Lampenfieber habe ich immer. Ich habe auch bei Reden immer ein bisschen Lampenfieber gehabt. Aber das geht dann weg, wenn ich erst mal dann in dem Stück bin. Also jetzt bei den Proben, das erste Stück, da hatte ich – bevor man da reinkommt, muss man das Orchester ja auch kennenlernen. Ich habe das ja jetzt erst richtig kennengelernt. Und da muss man sich ja auch erst mal reinfühlen, das sind ja etwa 45 Musiker, die alle auch eigenwillig sind. Jeder Musiker ist ein Individualist irgendwo, der dann aber sich in diesem Orchester, was ja dann ein Klangkörper sein soll, sich wiederfinden muss. Also das ist nicht so einfach.
Kassel: Fühlen Sie sich da eigentlich als jemand, der das ja halt mal so macht, wirklich ernstgenommen? Gab es da auch bei den Proben auch so Debatten, wenn Sie an einer Stelle fanden, das müsste man eigentlich ein bisschen schneller spielen, dass dann vielleicht die Musiker gesagt haben, nein?
Schily: Nein, nein. Wir haben uns da gut verstanden. Wir haben uns auch noch mal … – die haben mir auch netterweise da mal einen Hinweis gegeben. Der Konzertmeister hat mir dann mal gesagt, na ja, da müssen wir aufpassen, da kommt ja bei dem Einsatz zunächst mal das Cello, und dann kommt die Violine darauf. Nein, das war eine sehr kooperative Zusammenarbeit, und wir haben uns erstaunlich gut verstanden.
Kassel: Haben Sie sich eigentlich den ersten Teil, den Sie dirigieren werden, haben Sie sich die Stück, die beiden, die da zu hören sein werden, haben Sie sich die Musik ausgesucht, oder stand das Programm schon fest?

"Man darf ja nicht hinterherdirigieren, sondern man muss vorausdirigieren"

Schily: Die habe ich ausgesucht. Die Ouvertüre zu "Figaros Hochzeit", dann das Klavierkonzert von Mozart, Köchelverzeichnis 488. Die sind sich übrigens sehr ähnlich. Das passt, sehr gut, diese beiden Stücke in ihrer Struktur.
Kassel: Haben Sie die ausgewählt, weil sie Ihnen so besonders gut gefallen, weil Sie fanden, das passt besonders gut zum neuen Jahr, oder ganz ehrlich auch, weil sie sich gedacht haben, das kenne ich ganz gut, und das, glaube ich, kriege ich als Dirigent auch gut hin?
Schily: Ich finde Sie beide sehr schön. Es ist so, ich glaube, dass ich nicht übertreibe, dass wirklich dieses Klavierkonzert eines der großartigsten Kompositionen der Musikweltliteratur ist, gerade das Adagio hat eine unglaubliche Tiefe. Das sind schon anspruchsvolle Stücke, das ist nicht irgendwie nur leichthin. Der zweite Teil des Programms ist ja dann ein bisschen gefälliger. Da haben wir dann ja auch Johann Strauß, Brahms "Ungarische Tänze" und so ein bisschen mehr das, was so die Struktur eines Neujahrskonzerts ist. Ich dirigiere ja das ganze Konzert.
Kassel: Die letzte Frage habe ich mir sehr bewusst jetzt bis zum Schluss aufgehoben, weil ich zugebe, sie ist ein kleines bisschen albern. Aber ich kann es nicht lassen, ich muss Sie das fragen: Wir haben auch darüber gesprochen, Vorbereitung auf den Auftritt, Üben – wenn Sie Musik hören, von einer CD, im Radio, wie auch immer, wenn Sie Musik hören, privat zu Hause, stehen Sie dann manchmal vor den Lautsprechern und dirigieren vor sich hin?
Schily: Ja, natürlich. Ich hab mir auch durchaus immer eine CD aufgelegt, um mal da reinzuhören, mit der Partitur. Da muss man nur aufpassen, dass man – da kann ein Fehler auftreten. Man darf ja nicht nachdirigieren. Man darf ja nicht hinterherdirigieren, sondern man muss vorausdirigieren. Sonst geht das schief. Man muss das Orchester führen.
Kassel: Herr Schily, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, und ich wünsche toi, toi, toi für Freitag.
Schily: Vielen Dank, alles Gute!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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