"Wonach man riecht, das ist man auch"

Moderation: Vladimir Balzer · 07.09.2006
Er gilt als der teuerste deutsche Film. Die Verfilmung von Patrick Süskinds Bestseller "Das Parfum" hat knapp 50 Millionen Euro gekostet. Die Idee, Düfte überzeugend zu verfilmen, sei ihm mit der richtigen Musik gekommen, sagt Tykwer. "Das Parfum – Geschichte eines Mörders" kommt in der nächsten Woche ins Kino und feiert am Donnerstag in München Weltpremiere.
Balzer: Es hat 20 Jahre gedauert, der Autor wollte es nicht, Patrick Süskind wollte nicht, dass "Das Parfum" verfilmt wird. Irgendwann hat er sich erweichen lassen, und jetzt ist der Film fertig. Regie: Tom Tykwer. Herr Tykwer, Sie haben mal gesagt, dieser Film war ein Monster, das Drehbuch war ein Biest. Wie geht es Ihnen nach drei Jahren Arbeit am "Parfum"?

Tykwer: Gut! Ich bin froh mit dem Film, und natürlich erschöpft, aber gleichzeitig auch irgendwie guter Dinge, dass jetzt natürlich sozusagen das letzte Kapitel einer solchen Arbeit beginnt, welches ich immer sehr gerne habe, weil am Ende des Tunnels steht für mich immer sozusagen die Begegnung mit dem Publikum, und die ist wirklich ein wichtiger Teil in der Auseinandersetzung mit dem Thema und mit einem Stoff und auch mit einer filmischen Aufgabe, und ich sehe dem sehr neugierig entgegen.

Balzer: Aber es muss ja dann doch eine Art Monstrum gewesen sein. Sie haben es ja auch selber gesagt, und wenn man sich die Geschichte anschaut, die Geschichte eines jungen Mannes, der den Duft von jungen Frauen einfangen will, sie aber vorher reihenweise tötet, wie sind Sie da durchgekommen, was hat Sie eigentlich angetrieben die drei Jahre?


Tykwer: Na ja, es war tatsächlich so, dass ich einen Augenblick brauchte, um mich in dieses Setting einzuarbeiten und vor allen Dingen zu erkennen, was mein persönlicher Zugang in dieses Monstrum, wenn man es unbedingt so nennen will, ist, weil monströs an dem Film ist ja eigentlich sehr wenig, insofern, als dass er vor allem von sehr vielen sinnlichen Dingen handelt. Monströs kann man, wenn überhaupt, dann die Komplexität nennen, mit der er sich auf eine Figur stürzt, die sozusagen ein Protagonist ist, der gleichzeitig Mörder ist, der uns trotzdem irgendwie nicht nur verführt, sondern richtig verstrickt und von dem wir irgendwie nicht lassen können. Mich hat das wirklich sehr fasziniert, mich hat die Figur extrem interessiert, vor allen Dingen seine Getriebenheit und die Motive seiner Getriebenheit, die haben mich interessiert, weil sie mir sehr vertraut erschienen, und ab dem Moment, wo ich wusste, dass ich mich da auskenne in der Welt des Jean-Baptiste Grenouille und dass ich vielleicht in sein eigenartiges Hirn da reinschlüpfen kann und daraus irgendeine Art von subjektiver Energie kreieren kann, wusste ich auch, dass ich den Film machen kann, weil, dann wusste ich, der wird eine Sprache sprechen, die mir vertraut ist, dann wird es nicht einfach nur eine Bebilderung eines Bestsellers, sondern es wird halt eine individuelle Vision, die, wie ich immer finde, auch da sein muss, um einen Film überhaupt zu rechtfertigen, der sich auf so ein Buch irgendwie stützt.

Balzer: Was genau ist Ihnen vertraut an diesem Jean-Baptiste Grenouille? Ich meine, es ist ein Serienmörder.

Tykwer: Na ja, das, was offensichtlich ja allen Menschen vertraut ist, sonst wäre das Buch nicht so ein Erfolg geworden. Wenn es einfach nur ein unangenehmer Serienmörder wäre, der aber trotzdem der einzige Held ist, hätte wohl kaum einer das Buch gelesen. Das Wunder ist ja eben gerade, dass man weiß, was ihn antreibt, und zwar die verzweifelte Sehnsucht danach, eben wahrgenommen, gesehen und anerkannt zu werden, und das natürlich auf Basis einer Selbsteinschätzung, die eben schlechter nicht sein könnte. Der glaubt einfach nicht, dass er mehr ist als irgendein anderer Niemand, und erst recht, weil er eben in seinem Glaubenssystem, das so stark von Düften dominiert wird, eines Tages eben feststellen muss, dass er selber gar nicht riecht, und daher, weil er so sehr glaubt, dass, wonach man riecht, das ist man auch, das ist sozusagen sein Credo, dass das sein Leitmotiv ist, dass er natürlich dadurch eine echte Identitätskrise kriegt, und um diese zu bewältigen zu gewissen Methoden greift, an denen wir uns dann moralisch vielleicht verabschieden, aber sozusagen von der Motivation verabschieden wir uns nie. Wir alle streben danach, unsere Präsentation irgendwie ein bisschen aufzumotzen, unser Äußeres irgendwie zu verändern. Ich meine, nicht umsonst ist auch jetzt wieder das Zeitalter der plastischen Chirurgie, das es immer mal gab, natürlich auf andere Weise. Es war immer schon so, dass es irgendwie Menschen gab, die versucht haben, durch eine maximale Stilisierung sich in eine Ausnahmeposition zu bringen. Diese Art der besonderen Bewunderung ist etwas, was uns alle irgendwie antreibt. Wir alle suchen nach einem Weg, wie wir die Menschen dazu bringen können, uns irgendwie zu bewundern, und gleichzeitig ist der Konflikt in der Angelegenheit daran natürlich verankert, dass wir genau wissen, wie defizitär wir in Wahrheit sind, wie sehr wir dann doch am Ende natürlich wie alle anderen sind. Wir sind einfach alle irgendwelche Wesen, die versuchen, aus diesem Niemand, der wir nun mal sind, irgendwie ein Jemand zu machen, und der Irrtum besteht ja darin, dass wir es versuchen, sozusagen über die äußeren Merkmale irgendwie zu verstärken, dadurch irgendwelche Leute zu blenden und glauben, dadurch irgendwie eine echte Befriedigung zu erhalten, während in Wahrheit natürlich die einzige Chance, die wir haben, um uns überhaupt aus der Sinnlosigkeit unserer Existenz irgendwie zu retten, die ist, uns wirklich jemand anders gegenüber zu öffnen und es auch zuzulassen, dass der irgendwie in mich hineinblicken kann und dadurch halt irgendeine Art von Liebeserfahrung zu machen.

Balzer: Nun heißt es ja eigentlich, dass man die Sinneswahrnehmung des Riechens eigentlich nicht wirklich bildlich darstellen kann. War das nicht ein Problem für Sie, bevor Sie den Film begonnen haben?

Tykwer: Na ja, eigentlich überhaupt nicht, weil ich habe immer gesagt, das Buch ist Literatur, riecht natürlich auch nicht, und hat eine Sprache gefunden, das zu übersetzen. Jetzt ist die Anforderung an uns, und das ist ja das Tolle daran, sonst könnte man es auch sein lassen, wenn es jetzt nicht eine neue Anforderung gäbe, mit unseren sprachlichen Möglichkeiten, weil Film ja auch eine Sprache ist, dem eben ähnlich gerecht zu werden, und dass es natürlich durchaus andere Wege geben muss, weil das geschriebene Wort natürlich eine ganz andere Art von Abstraktion irgendwie offen lässt, aber Film eben auch ein Medium mit großem Abstraktionsraum und -potenzial ist und wir dann einfach versucht haben, sozusagen dementsprechend das zu übertragen auf unsere Möglichkeiten, Kamera, Ausstattung und natürlich auch eine Maske und Kostüm, aber im Nachhinein natürlich vor allen Dingen auch mit Musik und Schnitt. Das ist natürlich für mich ein großer rhythmischer Vorgang gewesen, ein musikalischer Vorgang, der Welt des Duftes beizukommen. Für mich war sozusagen der Moment, wo wir Musik des Films irgendwie langsam in den Griff bekamen, und das war ein langer Weg, der fing lange vor den Dreharbeiten an, dass, je mehr ich die Musik hörte, die dieser Film haben kann, desto mehr wusste ich auch um die Atmosphäre und desto mehr wusste ich auch um die überzeugende Dimension, in der wir Düfte darstellen können.

Balzer: Sie haben ja, soweit ich weiß, den teuersten deutschen Film gedreht, mit 48 Millionen Euro Budget. Nun heißt es ja immer, es gibt ja diesen Spruch: Geld stinkt nicht oder Geld stinkt, wie auch immer aus welcher Perspektive man es nimmt. Nun frage ich Sie mal, wie riecht eigentlich ein Set, an dem mit 50 Millionen Euro gebaut wurde?

Tykwer: Ach, nach viel Schweiß, weil es sind wahnsinnig viele Leute. Ich meine, das meiste Geld geht in der Regel in die Menge von Menschen, mit denen man irgendwie arbeiten muss. Das Team wird einfach immer größer, weil der Aufwand so groß ist, oder weil man mit Hunderten von Komparsen dreht, die in irgendwelchen dicken Wollkostümen stecken bei Bruthitze und eben Menschen aus dem 18. Jahrhundert porträtieren sollen. Ich habe darüber hinaus einfach wenig Zeit gehabt, so viel über das Geld nachzudenken, sondern einfach immer nur versucht, natürlich möglichst sparsam sozusagen zu denken und Kosten bedacht sozusagen in so eine Produktion zu gehen. Stressen tut mich Geld einfach generell überhaupt nicht, also dafür interessiert es mich nicht genug. Ich habe nur ein Verantwortungsgefühl, das ich ernst nehme, ich meine, so weit nehme ich den industriellen Gedanken am Filmemachen schon ernst, dass ich denke, das Geld, was reingesteckt wurde, sollte irgendwie wieder rauskommen, was bedeutet, wenn man so viel Geld reinsteckt in Filme wie bei "Das Parfum", dann bedeutet es auch, man muss einen Film machen, der jetzt nicht einfach nicht nur Hundert Zuschauer kriegt, sondern man sollte schon darauf achten, dass es ein Film ist, der auch wirklich zugänglich ist für ein breiteres Publikum, und gleichzeitig, populäre Filme wollte ich immer schon machen, und gleichzeitig ohne die Bremse zu treten im Experimentellen.

Balzer: Was bedeutet das eigentlich für den deutschen Film, für Ihre Kollegen hier in Deutschland? Der deutsche Film versucht ja auch immer, international erfolgreich zu sein mit wechselndem Erfolg. Nun steht da eine Produktion von fast 50 Millionen Euro. Ist das so eine Latte, die jetzt neu gelegt worden ist?

Tykwer: Man darf das ja nicht vergessen, wir reden doch nicht darüber, dass wir Filme machen müssen, die so teuer sind, sondern wenn wir den Stoff haben, der das braucht, dann lasst es uns halt tun, wenn der Stoff gut genug ist, dann wird es auch nicht schaden, dann wird das Geld natürlich auch wieder zurückkommen, und es wird dann auch funktionieren. Der Punkt ist ja nur, wenn man jetzt nicht Hundert Stoffe rumliegen hat, die jetzt 50 Millionen kosten müssen, dann muss man sie auch nicht ausgeben. Ich habe auch nie das Gefühl gehabt, dass es um Budgets geht. Es geht wirklich um starke Geschichten. Das Stärkste am "Parfum" ist sein narratives Konzept. Das ist einfach wirklich ein faszinierender Ausgangspunkt, auch um den Film irgendwie zu gestalten, und das ist halt jetzt zufällig dadurch, dass es eben im 18. Jahrhundert spielt und an so wahnsinnig vielen Schauplätzen mit so unglaublich vielen Details verknüpft ist, deshalb ein so teurer Film.

Balzer: Ich glaube, Sie haben, mein Eindruck ist zumindest, eine der größten Sexszenen der Filmgeschichte gedreht, mit 800 Komparsen auf einem Marktplatz, der Marktplatz von Grasse sollte das sein, also die Duftmetropole in der Provence. Wie haben Sie das eigentlich hingekriegt, 800 Nackte?

Tykwer: Das ist genau so eine Situation wie bei allen anderen Szenen. Man hat eine Anforderungen an ein szenisches Setting, die man vorher noch nie hatte, muss sich einfach wahnsinnig genau vorbereiten, genau überlegen, wie man sich das wirklich vorstellt, also sowohl stimmungsvoll als auch technisch vom Ablauf, und wie man es dann drehen will, und geht dann eben sukzessive so da ran, dass man die Leute langsam, in vielen langen Proben dazu bringt, sozusagen zu verstehen, was die emotionale Kurve dieser Sequenz ist, und die emotionale Kurve der Sequenz ist eben, dass eine große Menge von Menschen, Tausende von Menschen tatsächlich mit blutrünstigem Hass auf die Hinrichtung eines Mannes warten, und dann sozusagen durch dessen Erscheinen in ihrer Haltung komplett gewendet werden und eine Transformation durchmachen, die von Hass sich in leidenschaftliche Hingabe verwandelt, und dann eben übereinander herfallen. Das ist eigentlich eine schauspielerische Anforderung, die wahrscheinlich sogar Robert de Niro einen Schweißausbruch geben dürfte, nur der Punkt war, wir mussten das so hinkriegen, und deswegen mussten wir uns so viel Zeit lassen mit den einzelnen Menschen, die das gespielt haben, auch wenn es Hunderte waren, weil wir wussten, diese Szene ist das Herz und es ist natürlich die Klimax dieses Films, es ist die große Wende, der entscheidende Übergang. Wenn wir die nicht hinkriegen, dann brauchen wir gar nicht erst anfangen, den Film zu machen.

Balzer: Patrick Süskind ist ja der Autor dieses Romans, und wir Journalisten haben das große Problem, ihn weder zu Gesicht zu bekommen noch Interviews mit ihm zu bekommen, überhaupt nichts eigentlich über ihn zu wissen. Nun würde ich natürlich einfach meiner Neugier freien Lauf lassen und Sie fragen: Wer ist Patrick Süskind?

Tykwer: Da kann ich Ihnen leider auch nicht weiterhelfen, weil ich habe den auch nur einmal getroffen, und da haben wir uns sehr freundlich die Hand geschüttelt, er hat mir viel Glück gewünscht und hat mir dann gesagt, aber lassen Sie mich bitte mit diesem Film in Ruhe, weil ich habe schon fünf Jahre meines Lebens mit nichts anderem verbracht.

Balzer: Vielen Dank für das Gespräch!