"Woman Worldwide" von Justice

Ein Album wie ein Trip

Gaspard Auge und Xavier de Rosnay alias "Justice" bei einem Auftritt in Lissabon
Gaspard Auge und Xavier de Rosnay alias "Justice" bei einem Auftritt in Lissabon © imago stock&people
Von Marcel Anders  · 24.08.2018
Es ist ein ungewöhnliches Projekt einer ungewöhnlichen Band. Das Duo Justice mit Gaspard Augé und Xavier de Rosnay hat einen Mitschnitt ihrer Tournee im Nachklang zu dem neuen Album "Woman Worldwide" ausgearbeitet – ein Live-Set in Studio-Qualität.
Gaspard Augé und Xavier de Rosnay, bekannt als Justice, sind ein Phänomen: Ein Duo aus Paris, das für opulenten Electro-Pop und innovative musikalische Ideen steht. Aktuelles Beispiel: "Woman Worldwide", das als Live-Mitschnitt ihrer letzten Tournee begann, aber dann zu einem richtigen Studio-Werk wurde – ein Novum der Musikgeschichte. Marcel Anders über ein ungewöhnliches Projekt einer ungewöhnlichen Band.
"'Woman Worldwide' ist wie die perfekte Justice-Show", sagt Gaspard Augé im Deutschlandfunk Kultur über das neue Album. "Als ob wir gut spielen und es exakt so klingt, wie wir uns das vorstellen. Außerdem finden wir es toll, eine Art 'Greatest Hits' zu veröffentlichen, denn es ist zehn Jahre her, dass wir unsere erste Tour beendet haben." Insofern sei dieses Album eine gute Zusammenfassung dessen, was sie bis jetzt gemacht hätten, aber editiert, repariert und ausgearbeitet im Studio. "Das gilt für die meisten Live-Aufnahmen – auch, wenn das keiner zugibt."

Bruch mit der Tradition

Xavier de Rosnay ist ein kleines Männchen mit pechschwarzem Haar und witzigem Akzent. Er beschreibt einen Ansatz, den es so noch nicht gab. Für gewöhnlich nehmen Bands Studio-Alben auf, gehen damit auf Tournee und legen anschließend einen Live-Mitschnitt oder ein Remix-Epos nach. "Justice" brechen mit dieser Tradition: Sie haben die Stücke, die sie bereits für die Bühne umarrangiert haben, noch einmal sechs Monate im Studio nachbearbeitet. Mit neuen Sounds, inhaltlichen Kürzungen oder Erweiterungen, aber auch Mash-Ups, bei denen mehrere Songs ineinander gefahren werden. Ein aufwändiger Prozess.
"Wir haben das so gemixt, dass es mehr Tiefe, Raum und Bass hat", erläutert der Musiker. "Wir haben die Gelegenheit genutzt, um die weicheren Sachen aggressiver zu machen, damit sie besser zu den härteren passen. Und den härteren haben wir mehr Raum und Dynamik verliehen." Das sorge dafür, dass alles ineinander übergehe. Das Album sei wie ein Trip und man könne es genießen, ohne hinterher Kopfschmerzen zu bekommen.

Bekannte Stücke neu interpretiert

Das Ergebnis ist ein 90-minütiger musikalischer Fluss. Ein Live-Set in Studio-Qualität. Ein Doppel-Album mit Neuinterpretationen bekannter Stücke, die man zum Teil kaum wiedererkennt. Ein Ansatz, mit dem sich "Justice" genauso von der modernen Musikwelt abgrenzen wie durch ihr Rocker-Outfit aus schwarzen Lederjacken, T-Shirts und zerschlissenen Jeans. Sie sind nicht Teil der Electronic Dance Music, nicht stromlinienförmig und angepasst, ihr Mix aus Techno, Prog und Dance hat etwas Eigeständiges und Subversives. Er steht auf einer Ebene mit den Kollegen von Tame Impala oder MGMT.
Dazu de Rosnay: "Unsere Vision von Pop hat wenig mit der Musik der Gegenwart zu tun. Was auch gut ist. Also das ist cool. Und als wir vor ein paar Wochen mit MGMT in Italien gespielt haben, hatten wir das Gefühl: Sie sind wie wir! Eine Band, die jeder kennt und die extrem angesagt ist. Aber sie sind auch ziemlich verrückt was ihre Platten, ihren Charakter und ihre Auftritte betrifft. Nur: Gibt es als Musiker eine bessere Position? Eben als keinen Pop zu machen, aber trotzdem viele Leute zu erreichen? Das ist toll."

Rebellen gegen den Mainstream

MGMT seien ihre US-amerikanischen Brüder im Geiste, sagt der Musiker. Eine Band, mit der man viel gemeinsam habe. Denn trotz Hitsingles, Auszeichnungen und ausverkauften Hallen versteht sich auch Justice als Underground-Act. Als Rebellen gegen den Mainstream, von dem sie sich nicht vereinnahmen lassen wollen.
Das Duo habe mehrfach Offerten abgelehnt, Remixe mit berühmten Rappern anzufertigen. "Denn das wollen wir nicht. Auch wenn es heißt: "Macht das und es wird im Radio gespielt." Nur: Wenn wir da laufen, dann mit dem, was wirklich nach uns klingt." Ansonsten kämen Leute zu den Konzerten, die nur dieses Stück hören wollten – und nicht verstehen, warum es ganz anders klingt. Es gebe etliche Beispiele von Bands, die Hits mit einem Remix hätten. Aber damit hätten n sie sich keinen Gefallen getan.

Der Albtraum jeder Plattenfirma

"Justice" genießen ihre Position und ihre Freiheit – und sie haben noch einiges vor. Etwa Konzerte mit Hardrock-Bands wie Guns N´Roses, Soundtracks zu Indie-Filmen und Projekte mit befreundeten Künstlern. Bis es soweit ist, sammeln sie Ideen für ihr nächstes Werk. Mit dem dürfte jedoch erst in einigen Jahren zu rechnen sein, denn "Justice" sind extrem anspruchsvoll und langsam. Der Albtraum jeder Plattenfirma – der Traum echter Musikfans.
"Das Ding ist, dass wir zwar Ideen haben, aber mit denen ist es immer dasselbe: Sie beginnen irgendwo und entwickeln sich derart, dass sie in eine ganz andere Richtung gehen, als ursprünglich geplant", sagt de Rosnay. "Dass sie völlig außer Kontrolle geraten. Jedes Mal, wenn wir zusammen Musik machen, entwickeln wir neue Ansätze, die später komplett mutieren – selbst, wenn der Kern der Idee derselbe bleibt. Alles, worüber wir jetzt reden, wird in drei Jahren wieder ganz anders sein."
Lassen wir uns also überraschen, womit Justice als nächstes aufwarten. "Woman Worldwide" ist erst einmal das musikalische Resümee ihrer ersten zehn Jahre – und eine weitere verrückte Idee, die sie konsequent ausleben.
Mehr zum Thema