Wolfgang Welsch: "Im Fluss. Leben in Bewegung"

Auf Flexibilität kommt es an

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Das Cover zeigt Autorenname und Buchtitel in großen lila Buchstaben auf rotem Grund.
Alles ist im Fluß, das wusste schon der griechische Philosoph Heraklit. Wolfgang Welsch plädiert daher für mehr Flexibiliät. © Matthes & Seitz Berlin/Deutschlandradio
Von Michael Opitz  · 01.07.2021
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Der Philosoph Wolfgang Welsch befasst sich mit dem grundlegend fließenden Charakter der menschlichen Existenz und plädiert für mehr "Bescheidung im Kognitiv-Technischen". Neue Erkenntnisse kommen ihm dabei allerdings nicht.
Würde ein Bild gesucht werden, das die Ideen widerspiegelt, die Wolfgang Welsch in seinem Buch "Im Fluss" zur Diskussion stellt, man könnte auf ein Foto von Mao Tse-Tung verweisen: Es zeigt den einstigen Führer der kommunistischen Partei Chinas beim Schwimmen im Yangtze.
Vom Bild geht eine klare, an das chinesische Volk gerichtete Botschaft aus: Nehmt euch ein Beispiel an mir, der sich vom Fluss treiben lässt, und lasst auch ihr euch von den vorwärts weisenden Ideen der kommunistischen Bewegung mitnehmen.

Wanderer durchs Reich des Lebendigen

Das Fluide ist das zentrale Thema des neuen Buches von Welsch, in dem er zu einem Umdenken auffordert: Nicht mehr auf Stabilität, sondern auf Flexibilität käme es an, da doch der Mensch selber ein Produkt der Evolution und von daher seinem Wesen nach multipel sei.
Der Mensch – so Welsch – ist ein Wanderer durch das Reich des Lebendigen. Noch einmal durchläuft er als Embryo den Weg von den Fischen über die Amphibien und die Reptilien bis hin zu den Säugern. Wir sind, so stellt Welsch fest, unserer "Herkunft, unserem Bestand und unseren Lebensvollzügen nach [...] exemplarische Wesen des Transits."

Der Mensch ist nicht das Zentrum der Welt

Sehr ausführlich wird im ersten Teil wenig Neues referiert, sodass auch Welsch etwa in der Mitte von "Im Fluss" zu dem Schluss gelangt: "Bis hierher habe ich Dinge wiedergegeben, die bekannt sind." In diesem ersten Teil widerspricht er – seit mehr als 30 Jahren forscht er zum Thema Transkulturalität – vehement den Grundthesen des "anthropischen Denkens", wonach der Mensch Ausgangs- und Bezugspunkt von allem ist.
Als Folge dieses Denkens konstatiert Welsch ein heterogenes Mensch-Natur-Verhältnis. Erst im zweiten Teil nennt er mit Goethe, Herder, Hölderlin und Novalis Vertreter, die im Menschen ein Naturwesen gesehen haben, das als Teil der Schöpfungsgeschichte anzusehen ist.
Methodisch ist das wenig überzeugend, weil der Durchdringungsexperte Welsch hier eng ineinander verflochtene Bereiche einseitig voneinander trennt.

Mehr fließen!

Argumentativ hätte man sich von Welsch außerdem gewünscht, dass er sich mit einem seiner These innewohnenden Widerspruch auseinandersetzt. Denn das durch Industrialisierung und Globalisierung massiv in die Natur eingegriffen wurde, und wir es gegenwärtig mit den daraus resultierenden Folgen wie dem Klimawandel zu tun haben, leugnet Welsch nicht.
Wer aber, wie Welsch, auf einen "Zuwachs an Beweglichkeit" setzt und dafür plädiert, "unser Leben in Übereinstimmung mit einer Wirklichkeit zu führen, die ebenfalls allenthalben im Fluss ist", ist diesem Modell gegenüber eher unkritisch. Sein Appell zu mehr "Bescheidung im Kognitiv-Technischen" klingt sehr allgemein.

Keine neuen Einsichten

Steht dieser von ihm ins Gespräch gebrachte Ausweg aus der gegenwärtigen Krise nicht auch im Widerspruch zu seiner Ausgangsthese? Wie kann man sich ein bescheidenes Weiterfließen vorstellen, da doch nach Welsch alles im Fluss bleiben soll? Darüber hätte man gern mehr erfahren.
Insofern wäre es vorteilhafter gewesen, wenn der Autor mit einer weiteren Veröffentlichung zu diesem Thema so lange gewartet hätte, bis ihm neue Erkenntnisse und Einsichten "zugeflossen" wären.

Wolfgang Welsch: "Im Fluss. Leben in Bewegung"
Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2021
175 Seiten, 15 Euro

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