Wolfgang Thierse zum Jahresbericht Deutsche Einheit

"Die Wiedervereinigung ist noch längst nicht vollendet"

Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse
Wolfgang Thierse sieht sich als "gesamtdeutscher Ossi". © Oliver Berg / dpa
Wolfgang Thierse im Gespräch mit Axel Rahmlow · 26.09.2018
Die Bundesregierung sieht in ihrem Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit weiter deutliche wirtschaftliche Unterschiede zwischen Ost und West. Für Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse gibt es neben den ökonomischen Differenzen auch kulturelle Unterschiede.
Der Osten hole wirtschaftlich auf, schreibt die Bundesregierung in ihrem aktuellen Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit. Die Lebensverhältnisse hätten sich 28 Jahre nach der Einheit weiter angenähert. Allerdings liege der Osten etwas beim Lohnniveau und der Wirtschaftskraft im Vergleich zum Westen weiter zurück.
Außerdem mangele es an Konzernzentralen großer Unternehmen. Noch immer sei eine deutlich geringere Internationalisierung und Exportorientierung der ostdeutschen Wirtschaft festzustellen, ebenso wie "niedrigere Produktivität und fehlende Spitzengehälter".
26.09.2018, Berlin: Vor der Bundespressekonferenz wird der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit vorgestellt. 
Der Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit sieht Fortschritte bei der Annäherung zwischen Ost und West.© picture alliance/Wolfgang Kumm/dpa
"Die Wiedervereinigung ist noch längst nicht vollendet", sagt der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD). Es gebe weiter sichtbare ökonomisch-soziale Unterschiede, an denen zu arbeiten sein werde.

"Nicht einreden lassen, dass es nur Wendeverlierer gibt"

Für Thierse gibt es nach wie vor auch kulturelle Unterschiede zwischen Ost und West: "Es ist schon sichtbar, dass die Prägungen der Ostdeutschen von 40 Jahren DDR immer noch nachwirken, dass die Umbruchserfahrungen, die ja teilweise radikal und schmerzlich waren - erfahrene Arbeitslosigkeit, Angst vor Arbeitslosigkeit, ideelle und moralische Umwälzung -, in Ostdeutschland natürlich eine größere Unsicherheit erzeugt haben." Auch sei das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen immer noch nicht so stabil und selbstverständlich wie im Westen.
Er selbst sehe sich als "gesamtdeutscher Ossi" - ein Ostdeutscher, der seine Lebensgeschichte nicht verliere und auch nicht verleugnen wolle, der aber auch wie die allermeisten Ex-DDR-Bürger im gemeinsamen Deutschland angekommen sei. Thierse ergänzt: "Wir dürfen uns doch nicht einreden lassen, dass es nur Wendeverlierer gibt." Es gebe viele Menschen in Deutschland, die in den vergangenen 28 Jahren mit Schmerzen, Widersprüchen und mit Umbrüchen erfolgreich gewesen seien. (mhn)
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