Wolfgang Schreiber: "Claudio Abbado - Der stille Revolutionär"

Dirigieren für den Augenblick

07:50 Minuten
Das Bild zeigt den renommierten italienischen Dirigenten, der seit 1989 als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker der Nachfolger von Herbert von Karajan wurde.
Claudio Abbado: Ein stiller Revolutionär. © picture-alliance / dpa / Hermann Wöstmann
Wolfgang Schreiber im Gespräch mit Mathias Mauersberger · 23.05.2019
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Wolfgang Schreiber, langjähriger Musikredakteur der Süddeutschen Zeitung, hat eine neue Biographie über den Maestro Claudio Abbado vorgelegt. Die chronologisch aufgebaute Lebensschau lebt von den Berichten der Musikerkollegen.
Er habe Claudio Abbado oft getroffen, so der langjährige Musikredakteur Wolfgang Schreiber, der nun eine neue Biographie über den Dirigenten veröffentlich hat. An viele, persönliche Begegnungen erinnere er sich, "auch noch ein halbes Jahr vor seinem Tod in Berlin, nach seinem letzten Konzert mit den Berliner Philharmonikern 2013." Doch in seiner Biographie habe er nicht auf diese Gespräche zurückgegriffen, auch nicht auf die mit der Familie, die er kenne, versichert Schreiber.

Keine privaten Stories

"Ich habe mich sehr stark bezogen auf Stimmen von Musikern, die mit ihm ganz eng zusammen gearbeitet haben." Darunter der ehemalige Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, der Geiger Kolja Blacher. Oder auch der Cellist der Berliner Philharmoniker Götz Teutsch, der bis heute Veranstaltungen im Kammermusiksaal kreiert. Ebenso sprach er mit dem bekannten Oboisten Albrecht Mayer.
"Sie haben ihn aus der Nähe erlebt. Und das schien mir authentisch zu sein - weniger die Familie und das ganz private. Das fand ich wichtig." Natürlich habe er einiges Persönliches in die Biographie integriert, aber: "Das stand für mich nicht im Zentrum."

Das große Zögern

Schreiber schildert in seinem Buch Abbados Leben und Karriere chronologisch: Sein Aufwachsen in einer Musikerfamilie in Mailand, den ersten Besuch in der Mailänder Scala. Als junger Erwachsener nahm Abbado dann an einem Dirigenten-Wettbewerb teil und wurde auch ausgezeichnet. Doch er entschied sich zunächst gegen die Laufbahn am Pult und wählt eine lehrende Tätigkeit, wie Schreiber erzählt.
Auf die Frage, ob Abbado ein Mensch des Zauderns gewesen sei, antwortet Schreiber: "Das kann man so sehen." Es sehe einige Momente des Zauderns. So ging Abbado zum Beispiel nach dem Gewinn großer Dirigenten-Wettbewerbe nach Parma, um dort zwei Jahre am Konservatorium Kammermusik zu unterrichten. Und dann habe er doch noch mit 30 Jahren den Metropolis-Wettbewerb gewonnen und damit eine Assistenz bei Leonard Bernstein bei den New Yorker Philharmonikern. Und danach kehrt er zurück und dann ging es richtig los."

Karrierestart mit Karajan

Abbado habe dann in Berlin ein Konzert bei dem damaligen RIAS Symphonie-Orchester dirigiert. Karajan saß im Publikum und war so vom Talent des jungen Kollegen überzeugt, dass er ihm bei seinen Salzburger Festspielen ein Dirigat der Wiener Philharmoniker anvertraute. "Und damit stieg er ins Dirigieren im großen Format ein", so Schreiber.
Claudio Abbado mit der Hand am Ohr im Profi bei einem Konzert 1997 in Köln.
Claudio Abbado© picture-alliance / dpa / Hermann Wöstmann
1989, im Jahr des Mauerfalls, wurde Abbado dann von den Berliner Philharmonikern zum neuen Chefdirigenten gewählt. Schreiber erinnert sich: "Und zwar per demokratischer Abstimmung und als Nachfolger von Karajan."

Die Zeit bei den Berliner Philharmoniker

Das sei eine große Überraschung im Musikbetrieb gewesen", meint Schreiber. Andere große Namen der Zeit standen damals mit auf der Kandidatenliste. "Aber die Berliner entscheiden sich oft - bis heute - genau für den Gegentypen als nächsten." Auf den stillen Abbado folgte, so der Autor, der sehr kommunikative Simon Rattle, auf den wiederum der noch scheuere Kirill Petrenko folgte. "Und so war auch der Kontrast Karajan - Abbado eine scharfe Abgrenzung. Die Berliner wollten mehr mit der Musik des 20. Jahrhunderts zu tun haben." Zudem hatte Abbado mit dem Dirigat der dritten Sinfonie von Johannes Brahms überzeugt. "So sagen alle, mit denen man redet: Abbado hatte dermaßen großen Eindruck beim Orchester gemacht, mit seiner Art des Musizierens, im Augenblick alles zu geben. Die Spontanität, der Abbado da fähig war, die Erlebniskraft in dem Moment der Aufführung, hat die Berliner Philharmoniker sozusagen umgehauen. Das war der entscheidende Impuls". Abbado blieb bis 2002 Chef des Orchesters.

Ein Dirigent der wenigen Worte

Und so stellte sich der Dirigent auch legendär mit dem Satz "Ich bin Claudio für alle, kein Titel!" am ersten Arbeitstag bei den Musikern der Berliner Philharmoniker vor. Keine Allüren, kein Stargehabe. Wortkarg wurde Abbado beschrieben, als scheu und zurückhaltend. Darin sieht Schreiber das Revolutionäre im Stil Abbados. Und noch etwas anderes käme hinzu.

Politischer Anspruch

"Neben der Wortkargheit kam sein politisches Engagement, was durchaus nicht üblich ist bei Dirigenten." Schreiber erzählt in seinem Buch die Geschichte der Freundschaft zu dem italienischen Komponisten Luigi Nono, der fest in der linksorientierten italienischen Kulturlandschaft verankert war. Nono war, so berichtet der Autor, Mitglied der kommunistischen Partei, und Abbado habe drei seiner großen Uraufführungen in Mailand und Venedig betreut. Ebenso sei Abbado sehr eng mit dem Pianisten Maurizio Pollini befreundet gewesen - mit ihm unternahm er unzählige Konzerte für Arbeiter und Bauern, oft in kulturarmen Gegenden.

Der Jugend zugewandt

"Dieses politische Engagement, das soziale Interesse Abbados, das drückt sich dann auch aus in den zahlreichen Gründungen der Jugendorchester", meint Schreiber. "Zuerst gründete er ein junges Orchester an der Mailänder Scala, dann kamen das 'Gustav Mahler Jugendorchester' und das "European Community Youth Orchestra." Ganz spät, so Schreiber, sei dann noch das "Orchestra Mozart" in Bologna dazu gekommen. "Und dann hat er sich stark engagiert mit dem Orquesta Sinfónica Simón Bolívar in Venezuela, fuhr dann auch im fortgeschrittenen Alter im Winter nach Südamerika und probte mit den jungen Leuten des Orchesters."

Triebfeder am Pult

Seine Fähigkeit, diese Orchester zu Höchstleistungen zu animieren, käme aus Abbados innerer Kraft, meint Schreiber, und zu seiner inneren Beziehung zur Musik. Schreiber erinnert sich an einen Ausspruch des Dirigenten: "'Am wichtigsten ist die Liebe zur Musik, die Begeisterung für die Musik', die er selbst auch vorgelebt und vorgemacht hat. Und da sprang dann der Funke über, in diesem Moment der Musik alles zu geben."
(cdr)

Wolfgang Schreiber
"Claudio Abbado – der Stille Revolutionär"
C.H. Beck Verlag 2019
316 Seiten, 26,95 Euro

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