Wolffsohn: Eine Demokratie muss ihre Bürger schützen

Moderation: Vladimir Balzer · 25.01.2006
Der Historiker Michael Wolffsohn hat die Vergeltungsaktionen Israels nach dem Terroranschlag von 1972 verteidigt. Jede Demokratie habe das Recht, sich zu verteidigen. Bei der Bekämpfung des Terrorismus gebe es keinerlei völkerrechtliche Maßstäbe, so Wolffsohn weiter.
Balzer: Steven Spielberg über die Mossad-Agenten und über Verfolgung von Terroristen. - Und jetzt: Michael Wolffsohn, Historiker an der Bundeswehruniversität in München, ein weithin als streitbar bekannter Mann, der sich beim Kampf gegen den Terrorismus gegen "Gentleman-Methoden" ausspricht und unter bestimmten Bedingungen Härte fordert. Ein Mann, der freiwillig in der israelischen Armee diente. Michael Wolffsohn, schönen guten Tag.

Wolffsohn: Guten Tag, Herr Balzer, aber das mit den Gentleman-Methoden sind zwei Wörter aus einem längeren Interview. Wollen wir lieber darüber nicht diskutieren. Ich bin es gewöhnt, aus dem Zusammenhang gerissen zu werden. Zur Sache.

Balzer: Herr Wolffsohn, dann lassen Sie uns zu Beginn einfach über den Sommer '72 und die Folgen reden. War die Antwort Israels auf die Anschläge richtig?

Wolffsohn: Was wäre die andere richtige Reaktion gewesen? Sie können auf Terror entweder gar nicht reagieren, das wäre eine Ermutigung zu weiteren terroristischen Aktionen, die zweite Möglichkeit, dass Sie mit gleichen Mitteln zurückschlagen, nämlich nicht beteiligte Zivilisten treffen, das ist in dem Terrorakt von München geschehen und in anderen Terroraktionen, und Sie können drittens schließlich diejenigen versuchen zu bestrafen, die die Terroraktionen geplant oder ausgeführt haben. Oder kennen Sie noch eine vierte Möglichkeit?

Balzer: Nun, zumindest war diese Bestrafung nicht wirklich legitimiert. Es war ein Beschluss der israelischen Regierung und hatte auch keinerlei, sagen wir mal, strafrechtliche Vorgeschichte. Es wurde einfach beschlossen und es wurde dann getan.

Wolffsohn: Es gibt in der Bekämpfung des Terrorismus' keine völkerrechtlichen Grundlagen, die das Drehbuch sowohl des Terrors als auch des Gegenterrors, ähnlich wie beim Krieg, zumindest zu erfassen versuchen. Es ist schon schwierig genug gewesen, völkerrechtliche Normen in der herkömmlichen Kriegsführung durchzusetzen, aber in Bezug auf Terror gibt es überhaupt keine völkerrechtlichen Maßstäbe, die zu gelten haben. Also ist die Frage, wie kann auf Terror operativ reagiert werden, oder wird auf Terror nicht reagiert? Da, wo es auch keinen Rechtszustand gibt, muss entschieden werden im Rahmen eines vorgegebenen Terror- und Gegenterrorszenariums. Schrecklich, aber wahr.

Balzer: Aber was ist das Ziel dieser Reaktion? Ist es einfach nur Rache, so wie man es vielleicht verstehen könnte, die Reaktion Israels damals, oder hilft es tatsächlich, den Terror auch mittel- und langfristig zu besiegen?

Wolffsohn: Natürlich, um Letzteres zu erreichen, nämlich die Terroristen, die bestimmte Terrorakte geplant und durchgeführt haben, zu erreichen, auch zu töten, um weitere Terrorakte in der Zukunft zu verhindern, und um künftige Terroristen zu entmutigen, solche Aktionen durchzuführen, um ihnen gleichzeitig zu signalisieren: Wir werden euch erwischen!

Balzer: Aber glauben Sie denn, dass todesmutige Terroristen, die eigentlich schon vor ihren Taten mit ihrem eigenen Leben abgeschlossen haben, sich wirklich beeindrucken lassen von diesen Aktionen?

Wolffsohn: Wie kommen Sie auf die These, dass diese Terroristen mit ihrem Leben schon vorher abgeschlossen haben? Ich glaube, Sie gehen von den gegenwärtigen Selbstmordterroristen aus, welche einen anderen Typus der Terroristen darstellen als die Terroristen, über die wir sprechen, nämlich München 1972. Diese und vergleichbare Terroristen haben durchaus diese Aktionen durchgeführt, in der Annahme, Erwartung und Hoffnung, selbst zu überleben, weitere Terroraktionen durchzuführen und neue Terroristen zu motivieren. Umgekehrt stellt sich aus der israelischen Perspektive heute ebenso wie damals die Frage, nicht reagieren oder reagieren?

Balzer: Nun, wenn die Reaktion, wie ich richtig aus Ihren Worten verstehe, damals nach den Attentaten von 1972, die Reaktion Israels also richtig war, kann man das über 30 Jahre später eigentlich über den Kampf gegen den Terrorismus auch noch sagen? Wären solche Tötungs- und Racheaktionen heute auch noch richtig, und ist der Kampf gegen den Terrorismus, der ja auch viel mit Gewalt geführt wird, auch richtig?

Wolffsohn: 1972 folgende war der terroristischen Aktion gegenüber eine Gegenmaßnahme erforderlich. Es ist die Aufgabe eines jeden Staates, seine Bürger zu schützen, im Inland ebenso wie im Ausland. Es ist der Bundesregierung damals nicht gelungen, die Gäste aus Israel zu schützen, also haben die Israelis in einer Gegenaktion außerhalb des deutschen Territoriums versucht, denjenigen, die ihren Staatsbürgern noch einmal mit terroristischen Aktionen wo auch immer kommen wollten, ein Signal zu setzen, das nicht zu machen.

Heute sind wir in einer völlig anderen Situation. Die Palästinenser, um bei denen zu bleiben, führen ja keine Terroraktionen in der Regel mehr außerhalb des Nahen Ostens oder außerhalb des israelischen Gebietes durch, das heißt, es hat sich etwas Grundlegendes verändert, und zwar auch nicht zuletzt als Reaktion auf die israelische Reaktion zu München, weil die Israelis die Terroristen von München geortet und dann auch getötet haben. Das Gleiche versuchen sie unter völlig unterschiedlichen Vorgaben heute mit Terroristen zu machen, die im israelischen Kernland aktiv werden. Aber es sind im israelischen Kernland nicht mehr Aktionen wie in München, das ist teilweise in den späten 70er Jahren gemacht worden, und diese Terroristen sind gescheitert.

Heute gibt es eben einen ganz neuen Typus der Terroristen, eben die Selbstmordterroristen, und wenn Sie sich die Intifada angucken, die zweite Intifada, also der Jahre 2000 bis 2005, ist, rein militärisch gesprochen und auch politisch, diese Intifada zu Gunsten Israels ausgegangen, weil jetzt nämlich - das erkennen wir anhand der Wahlen in den Palästinensergebieten - sich die Mehrheit der palästinensischen Führung von diesen Terror- und Guerillaaktionen distanziert hat, weil die nichts gebracht haben. Warum haben die nichts gebracht? Weil Israel sich gewehrt hat.

Balzer: Aber wenn man es von diesem israelisch-palästinensischen Konflikt einmal abnimmt und weiter global sieht, die El Kaida, die ja in Amerika am 11. September 2001 so brutal zugeschlagen hat und bis heute eigentlich nicht besiegt ist, da wird der Kampf ja weitergeführt, auch mit Gewalt, und bisher noch jedenfalls ohne wirklich sichtbare mittel- oder langfristige Erfolge.

Wolffsohn: Auch hier muss man nicht alles unter einer Überschrift zusammenfassen. Wir haben uns zunächst einmal unterhalten über München, und das heißt den Terror der Palästinenser und die Gegenreaktion der Israelis. Das ist ein ganz anderer Terrorismus als das, was El-Kaida macht, und auch in Bezug auf Ihre Feststellung, dass El-Kaida nicht besiegt ist, sehe ich diese Wirklichkeit anders. Ich glaube nicht, dass es für Osama Bin Laden ein besonders angenehmer Aufenthaltsort ist, irgendwo im Gebirge zwischen Pakistan und Afghanistan in einer - wahrscheinlich jedenfalls - Höhle herumzusitzen und diese Art von Leben durchzuführen.

Wir stellen außerdem fest, dass im engeren Sinne El-Kaida-Aktionen in den letzten Monaten und Jahren nicht mehr stattgefunden haben. Wir stellen beispielsweise an der Tonqualität des jüngsten Tonbandtextes von Osama Bin Laden fest, dass dieser Text so schlecht ist, weil offenbar die Lebensbedingungen von Osama Bin Laden so schlecht sind. Das wiederum heißt nicht, dass es keinen Terrorismus mehr gäbe. Das wiederum heißt, dass es durchaus Nachahmungstäter gibt, aber dass El Kaida momentan auf dem Vormarsch ist, das kann man ja nun operativ nicht feststellen.

Balzer: Nun stellen aber viele Kritiker fest, dass ja der Kampf der Demokratien gegen den internationalen Terrorismus ja auch nicht ganz spurlos an diesen Demokratien vorbeigeht. Dann lassen Sie uns doch mal zu Israel zurückkommen und zu den Folgen des Attentats von '72. Wie hat denn eigentlich der Kampf Israels gegen seine Feinde Israel und die israelische Demokratie verändert?

Wolffsohn: Nicht wesentlich, weil Israel seit seiner Gründung in einem permanenten Kriegszustand ist. Krieg ist eine Form der Gewaltanwendung, Guerilla und Terror sind zwei andere Formen der Gewaltanwendung. Insofern hat sich für die israelische Bevölkerung mental, politisch, psychologisch seit 1948 nicht viel verändert.

Die Bevölkerung ist in einem Dauerzustand, wo sie Gewaltakte gewärtigen musste und gegen diese Gewaltakte reagiert hat, einmal gegen konventionellen Krieg, zum Zweiten gegen Guerillakriegführung und zum Dritten schließlich gegen Terroraktionen, und das haben die Israelis zuletzt in den Jahren 2000 bis 2005 getan. Sie haben sich, um jetzt mal auf das Aktuelle überzugehen, auch nicht mehr unbedingt für die militärisch gewaltsame Gegenaktion entschieden, sondern sie haben sich konkret durch den Bau der Schutzmauer als Objekt des Terrors und der Guerillaangriffe entzogen, indem sie diese Mauer gebaut haben. Das ist eine andere Reaktion als etwa nach München, um die wir ja zunächst einmal versuchten, unser Gespräch zu kreisen.

Balzer: Herr Wolffsohn, gilt denn dann generell, nicht nur für Israel, für Demokratien auf dieser Welt, dass sie Gewalt ausüben dürfen, dass sie töten dürfen, um ihre eigene Existenz zu sichern?

Wolffsohn: Jeder Staat, ob Demokratie oder nicht, und erst recht eine Demokratie ist überhaupt und in erster Linie dazu da, seine eigenen Bürger zu schützen, und wenn die Bürger angegriffen werden und man sagt: Okay, wir können uns nicht wehren, wir dürfen uns nicht wehren, wir wollen uns nicht wehren, dann muss man das aber auch sagen, dann gibt man aber zugleich die Schutzfunktion, die jeder Staat hat, freiwillig auf.
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