Wolf Wondratschek: "Selbstbild mit russischem Klavier"

Wie die Töne einer langen Melodie

Cover des Buches "Selbstbildnis mit russischem Klavier" von Wolf Wondratschek, im Hintergrund eine Klaviertastatur.
Cover des Buches "Selbstbildnis mit russischem Klavier" von Wolf Wondratschek © Cover: Ullstein / Hintergrund: Imago
Von Ursula März · 11.08.2018
Wolf Wondratscheks neuer Roman "Selbstbild mit russischem Klavier" ist eine Hommage an die Musik und die Freiheit der Kunst. Es spielt in Wien, wo er selbst lebt und besitzt den Charakter eines klassischen Künstlerromans: stilistische Eleganz.
Er hat Lektoren, Redakteure und Verleger zur Weißglut gebracht. Er hat über zwei seiner Leidenschaften, das Boxen und das Rauchen, ganze Bücher geschrieben. Er hat sich den Ruf eines Bohemiens mit Kontakten zur Unterwelt und zum Rotlichtmilieu erworben – und er hat in den vergangenen Jahren immer wieder in dem Sinn geäußert, dass er vom Image des Klassenrüpels der deutschen Gegenwartsliteratur die Nase voll habe. Nun wird er 75 Jahre alt und sorgt mit seinem überraschenden Wechsel zum Ullstein Verlag mal wieder für Gesprächsstoff: Wolf Wondratschek.

Neuer Romen und Gesamtausgabe

Tatsächlich bringt der Berliner Verlag pünktlich zu Wondratscheks halbrundem Geburtstag nicht nur eine Gesamtausgabe seines Werks, sondern gleichzeitig einen neuen Roman heraus, in dessen Titel "Selbstbild mit russischem Klavier" eine ganz andere Leidenschaft des eigenwilligen Schriftstellers anklingt, die zur Musik. In zwei seiner schönsten und erfolgreichsten Romane hat er sich ihr bereits gewidmet, in "Mozarts Friseur" aus dem Jahr 1992 und in "Mara", der Lebensgeschichte eines Violincellos, von diesem selbst erzählt.
Wondratscheks neuer Roman spielt in Wien, wo er selbst seit vielen Jahren lebt, er besitzt den Charakter eines klassischen Künstlerromans und die Züge eines wehmütigen Alterswerks. Ein Schriftsteller, der zunächst nur als Zuhörer in Erscheinung tritt, lernt in einem Kaffeehaus den alten, ehemals berühmten russischen Pianisten Suvorin kennen.
Sie begegnen sich immer wieder, und je mehr der verwitwete Suvorin von seinem Leben erzählt, das, wie er sagt, "vom Kommunismus und vom Alkohol" geprägt wurde, desto fließender gehen die Konturen und Stimmen der zwei Gesprächspartner ineinander über. Was sie verbindet, ist das Ideal der Kunst und der freien künstlerischen Existenz. Sie ist, darin sind sich die beiden Männer einig, ein Relikt der Vergangenheit. Die Gegenwart pflege das Populäre, Banausenhafte.

Vermeintlich bessere frühere Zeiten

Zwar liegt in Wondratscheks Feier der vermeintlich besseren früheren Zeiten, in denen noch hemmungslos geraucht und getrunken, kompromisslos gelebt und geliebt und die Kunst hoch geschätzt wurde, etwas durchaus Liebenswürdiges – aber auch etwas leicht Verbrauchtes. Man hat es doch schon häufig von ihm gehört und gelesen. In seinem neuen Roman wirkt die nostalgische Stimmung eine Spur zu dick aufgetragen.
Nach wie vor allerdings beherrscht Wolf Wondratschek die Kunst der schwingenden und schwebenden Prosakonstruktion. Nahtlos, für den Leser oft kaum bemerkbar, gehen die Passagen von der Ich-Erzählung des Schriftstellers zu der des russischen Pianisten Suvorin über. In der zweiten Hälfte des Romans kommt unversehens noch die Erzählstimme eines Cellisten hinzu. "Selbstbild mit russischem Klavier" handelt nicht nur von Musik, es übersetzt deren Wirkung ins Sprachliche. Die Sätze reihen sich aneinander wie die Töne einer einzigen langen Melodie. Was stilistische Eleganz betrifft, macht es dem fünfundsiebzigjährigen Klassenrüpel der deutschen Literatur so schnell keiner nach.

Wolf Wondratschek: "Selbstbild mit russischem Klavier"
Ullstein Verlag, Berlin 2018
272 Seiten, 22 Euro

Mehr zum Thema