Wohnungsnot in München

"Die werden dich immer rausbekommen"

"Mieten runter!" steht am 10.03.2016 an einer Hauswand im Stadtteil Giesing in München.
Bezahlbarer Wohnraum ist in München Mangelware. © picture alliance / dpa / Andreas Gebert
Von Lisa Weiss · 04.04.2018
Schon jetzt ist München die teuerste deutsche Stadt für Mieter. Und die Preise steigen weiter: Durch Luxussanierungen und Zweckentfremdung wird bezahlbarer Wohnraum immer knapper. Viele Mieter fühlen sich ausgeliefert und machtlos.
"Jetzt sind wir in der Müllerstraße und bewegen uns von der Müllerstraße 6 auf die Müllerstraße 4. Und das ist unser Familienhaus. Das ist ein über 100 Jahre altes Haus und wir haben schon drei Geflüchtetenfamilien, die da wohnen."
Matthias Weinzierl von der Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco blickt nach oben zu den Fenstern, gestikuliert, erzählt. Von Asylberatung, Rap-Workshop, Frauencafé, von Begegnungsmöglichkeiten zwischen Einheimischen und Geflüchteten. Auch das Haus daneben gehört zum Wohn- und Kulturzentrum, ein blassgrüner 50er-Jahre-Bau mit fünf Stockwerken. In den zehn Wohnungen dort leben junge Geflüchtete.
"Und dann haben wir noch unsere Altmieter und zwar ein Pärchen aus Griechenland, ein Pärchen aus der Türkei und eine deutsche ältere Dame. Das hat den Hintergrund, dass wir ja ein Projekt gegen Gentrifizierung sind und es hätte sich wirklich schlecht gemacht, wenn unsere erste Handlung gewesen wäre, unsere Altmieter quasi auf die Straße zu setzen."
Denn beim Vorläuferprojekt von Bellevue di Monaco, Goldgrund, ging es vor allem darum, sich zu wehren: Gegen städtischen Leerstand, gegen Investoren und Luxussanierungen, gegen eine Stadt, die immer weniger bezahlbar ist. Konkret ging es unter anderem um die Häuser hier in der Müllerstraße. Sie gehören der Stadt und sollten abgerissen werden. Weinzierl sagt, sie standen größtenteils leer und ist sich sicher: Mehr Wohnraum wäre durch einen Neubau nicht entstanden. Die Stadt München sieht das anders: Einige Wohnungen seien aus Sicherheitsgründen nicht mehr bewohnbar gewesen, mit einem Neubau hätte 50 Prozent mehr Wohnraum entstehen können. Damals war die Stadt der Meinung: Eine Sanierung lohne sich nicht. Die Aktivisten von Goldgrund wollten das Gegenteil beweisen, sagt Weinzierl.
"Die Gruppe, die damals entstanden ist, hat das in einer Nacht- und Nebel-Gorilla-Aktion, also mit Prominenten und weniger Prominenten in Gorilla-Kostümen, eine Wohnung exemplarisch renoviert. Und siehe da, das hat wunderbar funktioniert."

Das Döner-Haus steht seit Jahren leer

Es folgten noch weitere - oft satirische - Aktionen im ganzen Stadtgebiet. Immer wieder mit dabei: Prominente wie Mehmet Scholl oder Gerhard Polt. Das Ergebnis: Nach vielen Diskussionen gab die Stadt München ihre Abrisspläne auf und verpachtete die Häuser an die neu gegründete Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco. Statt Sozialwohnungen im klassischen Sinn gibt es heute Flüchtlingswohnungen, Veranstaltungsräume. Und: mehr kulturellen Reichtum, findet Matthias Weinzierl. Die Stadt sagt: Das Bellevue-Konzept ist gut, mit dem alten Plan der Stadt hätte man aber eben mehr Wohnraum schaffen können.
Es ist also nicht alles so einfach, so eindimensional, wie es oft scheinen mag, wenn es um Münchens Wohnungsnot geht. Ein anderes Beispiel: Das sogenannte Döner-Haus im Westend am anderen Ende der Münchner Innenstadt. Ganz in der Nähe findet jährlich das Oktoberfest statt. Seit 2005 steht das Haus in Bestlage komplett leer, verfällt immer mehr. Ein Schandfleck für die Stadt, finden viele Münchner.
"Also das Haus schaut ja schrecklich aus von außen, das schaut ja aus, wie ein besetztes Haus im Berliner Osten eher."
"Ich find des Irrsinn, dass ein Haus in München in so einer Lage seit Jahren leer steht und verfällt. Wenn man da keine Klärung mit den Eigentümern hinbekommt, wäre ich dafür, dass das Grundstück von der Stadt übernommen und zu Sozialwohnungen umfunktioniert wird."

Sozialwohnungen - die würde die Stadt München gerne im Döner-Haus sehen. Aber realistisch ist das nicht. Der Stadt sind die Hände gebunden, sagt Hedwig Thomalla vom Sozialreferat. Sie kann den Eigentürmer nicht dazu zwingen, die Wohnungen im leerstehenden Haus zu vermieten. Ironischerweise, weil es schon zu heruntergekommen ist.
"Also für dieses sogenannte Döner-Haus liegen zwei Negativatteste vor, eines von 95, eines von 2010. Negativattest bedeutet, dass da attestiert wurde, dass die Wiederherstellung der Bewohnbarkeit von diesem Haus so aufwändig wäre, dass sie wirtschaftlich unzumutbar ist. Das heißt, es unterliegt damit nicht mehr dem Zweckentfremdungsrecht."
Interessenten betreten am 11.10.2017 in München (Bayern) ein Mehrfamilienhaus um an einer Wohungsbesichtigung teilzunehmen.
Andrang bei einer Wohnungsbesichtigung: Wer sich die hohen Mieten in der Stadt nicht leisten kann, muss ins Umland ziehen. Doch auch da steigen die Mieten.© picture alliance / Tobias Hase

1000 Wohnungen werden zweckentfremdet

Enteignen, was viele Münchner fordern, ist nach geltendem Recht nicht möglich, erklärt Thomalla. Insgesamt gebe es aber in München nur relativ wenige sichtbar leerstehende Häuser - das Problem seien eher Eigentümer, die ihre Wohnungen dauerhaft illegal als Ferienwohnungen vermieten. Weil das mehr Geld bringt.
"Wir haben natürlich nur Schätzungen. Wenn wir wüssten, welche Wohnungen alle in München zweckentfremdet sind, dann hätten wir das Problem nicht. Aber wir haben letztes Jahr mal eine Erhebung gemacht im Fachbereich und gehen von ungefähr 1000 Wohnungen aus, die zweckentfremdet werden im Bereich Ferienwohnungen und ungefähr 300 Wohnungen im Bereich Medizintourismus."
Vor allem aus den Golfstaaten kommen Menschen nach München, um sich hier behandeln zu lassen, einige Privatkliniken haben sich auf diese Patienten spezialisiert. Und daraus ist ein Geschäftsmodell entstanden: Wohnungen, die unter der Hand an Medizintouristen vermietet werden. Die Stadt München versucht, mit einem "Sonderermittlungsteam Ferienwohnungen" gegen all diese Zweckentfremdungen vorzugehen, die Ermittler recherchieren im Internet, machen Ortsbesuche - eine mühsame Arbeit. Deshalb hat die Stadt eine Plakatkampagne gegen Zweckentfremdung gestartet, im Internet kann man seit kurzem sogar anonym melden, wenn man glaubt, dass ein Nachbar seine Wohnung zweckentfremdet. Die ersten Erfahrungen mit dem Meldeportal sind gut, sagt Hedwig Thomalla. Kritiker sprechen von Blockwartmentalität, davon, dass die Stadt Menschen ermutige, ihre Nachbarn zu bespitzeln. Ohne Hinweise aus der Bevölkerung habe man keine Chance, meint Thomalla.
"Und es ist eben in München so, dass Zweckentfremdung kein Kavaliersdelikt ist. Insgesamt hat sich die Anzahl der wohnungslosen Personen von 2008 bis jetzt fast verdreifacht, auf 9000 Personen. Und jede Wohnung, die dauerhaft an Feriengäste vermietet wird, ist eine Wohnung auf dem Wohnungsmarkt weniger."
Dazu kommen 17.000 Menschen, die auf eine Sozialwohnung warten, die meisten von ihnen leben unter sehr prekären Verhältnissen. Das Problem ist auch: Selbst wenn die Ermittler eine Zweckentfremdung nachweisen können, kann die Stadt nur ein Zwangsgeld verhängen und ein Bußgeldverfahren einleiten.
"Also, die Stadt hat bereits versucht, auf der basierenden Grundlage eine Räumung durchzuführen. Das ist aber von Gerichtsseite aus untersagt worden."
Auch in solchen Fällen eine Räumung zu ermöglichen - das ist eine von mehreren Gesetzesänderungen, die die Stadt München fordert. Um irgendwie der Wohnungsnot Herr zu werden. Einer Wohnungsnot, die sie selbst dem schnellen, unerwarteten Wachsen der Stadt seit Anfang des Jahrtausends zurechnet. Die Kritiker wie Matthias Weinzierl vom Bellevue oder der Verein "Mieter helfen Mieter" dagegen auch auf Fehlplanungen der Stadt zurückführen.

Vertrieben durch Sanierung

Die Stadt München will sich jedenfalls auch beim Bund dafür einsetzen, dass Vermieter bei Modernisierungen nicht mehr unbefristet elf Prozent auf die Miete aufschlagen können. Denn oft genug können sich die Bewohner die neue Miete nicht mehr leisten. Viele werden auch knallhart entmietet. So, wie Juliane Faber, die in Wirklichkeit anders heißt. Sie wohnte jahrelang mit ihrem Partner in einem großen Mehrfamilienhaus in der Münchner Innenstadt. Dann wurde das Haus verkauft, es sollte in Eigentumswohnungen aufgeteilt und luxussaniert werden.
"Am Anfang haben wir uns gedacht, ja von wegen, wir lassen uns doch hier nicht einfach rauskriegen, das schafft ihr niemals, wir kämpfen, auf jeden Fall."
Sie nahmen sich einen Anwalt, erfuhren, dass sie in ihrem speziellen Fall zehn Jahre Kündigungsschutz hatten. Doch dann kamen die Drohungen, die Briefe, der Lärm, die Bauarbeiten.
"Und wenn du nach Hause kommst von der Arbeit und das Gefühl hast, du kommst gar nicht richtig nach Hause weil du in einer Baustelle lebst. Und abends dich dann noch mit den Handwerkern rumschlagen musst, warum jetzt gerade zufällig was direkt an deinem Türrahmen gemacht werden muss, wo du nach Hause kommst. Und dann noch eine E-Mail oder einen Brief beantworten musst, das ist jetzt nicht schlimm, per se. Aber wenn du das zwei Jahre lang jeden Abend machst, dann ist das sehr schlimm und das weiß der Vermieter."
Nach zwei Jahren konnten sie nicht mehr, zogen aus - raus aus der Innenstadt, die sie sich nicht mehr leisten konnten. Die anderen Mieter waren fast alle vor ihnen gegangen. Sie habe immer wieder versucht, Hilfe zu bekommen, bei der Stadt, bei Vereinen, sagt Juliane Faber.
"Was mich zum Beispiel wirklich gestört hat von Bellevue di Monaco, diesen ganzen Vereinen, die versuchen, dagegen vorzugehen, dass sie nur mit Prestigefällen arbeiten und den normalen Leuten überhaupt nicht helfen."
Matthias Weinzierl von Bellevue di Monaco kennt solche Geschichten, sagt aber auch:
"Das war ja wirklich eine Initiative von Künstlern und Veranstaltern, die im Wesentlichen ja diese öffentlichkeitswirksamen Geschichten um städtischen Leerstand gemacht hat, die waren jetzt aber keine Initiative, wo man als Einzelperson mit einem Einzelfall hingehen konnte und sich helfen lassen konnte."
Er würde sich wünschen, dass die Stadt mutiger ihre Mieter schützt. Und die Stadt? Auch die kennt genug solcher Fälle - und verweist auf ihre Mieterberatung oder den Mieterverein. Denn Drohungen oder abgestelltes Wasser - dagegen könne man nur privatrechtlich vorgehen. Juliane Faber lächelt nur bitter.
"Ich zitiere jetzt einfach mal meinen Anwalt. Egal, welche Rechte wir haben, die werden dich immer rausbekommen, weil sie immer am längeren Hebel sitzen, weil sie das beruflich tun und wir tun es nur am Feierabend nach der Arbeit und wohnen da."
Machtlosigkeit - das ist es, was viele Münchner Mieter momentan fühlen. Und einen Satz hört man immer wieder: Die Weltstadt mit Herz - sie hat kein Herz für Wohnungssuchende.
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