Wohnungsnot

"Den Wohngipfel kann Seehofer sich schenken"

Wer mit Häusern spekuliert hat soziale Verantwortung nicht kapiert!" steht auf einem Transparent an einer Hausfassade in Berlin im Bezirk Schöneberg am 19.03.2015. Foto: Wolfram Steinberg/dpa.
Jeder Cent, den ein Vermieter oder Immobilienverkäufer verdient, ist einer zuviel, meint Timo Rieger. © picture alliance / dpa/ Wolfram Steinberg
Ein Standpunkt von Timo Rieg  · 20.09.2018
Was soll beim Wohngipfel im Kanzleramt schon herauskommen, wenn dort vor allem Vertreter der Immobilienwirtschaft sind?, fragt Timo Rieg. Für ihn verlangt die Wohnungskrise radikale Lösungen: Niemand soll mehr mit Immobilien Profit machen dürfen.
Den Wohngipfel kann Horst Seehofer sich ruhig schenken. Denn der "Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat" hatte bereits im Mai erklärt: "Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit."
Zum Wohngipfel im Kanzleramt sind aber vor allem Vertreter der Immobilienwirtschaft eingeladen, Lobbyisten fürs Bauen, Verkaufen, Vermieten. Da kommt das Soziale schnell unter die Baggerräder.
Denn Vermieter wollen Geld verdienen. Ob die alleinstehende Großmutter auf dem ansonsten leeren Bauernhof, der reichgeerbte Student, die private oder kommunale Immobilienfirma – alle wollen mit ihren Wohnungen und Häusern Geld verdienen. Damit haben wir ein schon von den ersten überlieferten Philosophen diskutiertes Grundproblem, zu dem ich sage: Jeder Cent, den ein Vermieter oder Verkäufer von Wohnraum verdient, ist schon genau dieser Cent zu viel. Vermieter und Verkäufer verdienen nicht an einer Leistung, die sie erbracht haben, sondern allein an der Behauptung: "Das Haus, die Wohnung, das Grundstück gehört mir, ich alleine darf darüber bestimmen."

Im Hambacher Forst wird der Glaube an gerechte Politik gerodet

Für jeden Quadratzentimeter in diesem Land erhebt bereits irgendjemand Eigentumsanspruch. Die Deutsche Bahn etwa behauptet, Bahnhöfe, Gleisstrecken, ehemalige Bahnwärterhäuschen und vieles mehr seien ihr Privateigentum. Deshalb darf sie tausende Gebäude verfallen lassen, Grundstücke verkaufen und innerstädtisch Gewerbeflächen hoch rentabel vermieten.
Der Stromkonzern RWE behauptet gerade gut vernehmbar, ihm gehöre der Hambacher Forst, deshalb wird dieser wider alle Vernunft platt gemacht und der Glaube an gerechte Politik gerodet.
Weil alles irgendwem gehört, muss man Raum zum Leben von diesen Eigentümern kaufen oder mieten. Die ganze Leistung eines Immobilieninvestors besteht darin, mehr Geld zu haben als seine künftigen Mieter. Banken und Fonds geben weiteres Geld, weil sie erwarten, so noch mehr Geld zu machen.
In seinem Positionspapier zum Wohngipfel bekennt sich der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen ganz freimütig zu diesem banalen Konzept. Er zitiert Gerda Hasselfeldt, die als Bundesbauministerin der CSU vor knapp 30 Jahren sinngemäß gesagt hat, Wohnungspolitik brauche immer das Geld der Reichen, die noch reicher werden wollen. Wörtlich: "Nur wenn es dem Staat gelingt, die Erwartung zu stabilisieren, dass die Erträge aus Wohnungsbauinvestitionen nicht durch nachträgliche Eingriffe beschnitten werden, lässt sich privates Kapital für den Mietwohnungsbau mobilisieren."

Eigentum an Grund und Boden ist Feudalismus

Nur deshalb sind Wohnungen in den Ballungszentren viel teurer als auf dem öden Land. In den Großstädten ist alles betriebswirtschaftlich optimiert, eng beieinander, fusioniert sozusagen - aber die kleine Eigentumswohnung in einem Münchener Hochhaus ist teurer als das freistehende Haus mit riesigem Garten im Sauerland. Angebot und Nachfrage nennen das die Ökonomen, deutlicher aber ist: Wohnen kostet so viel, wie noch irgendjemand dafür zahlen kann.
Wenn nun die ersten Politiker sagen, sie wollten notfalls per Enteignung die Immobilienspekulation eindämmen, ist das nicht radikal, sondern konservativ – solange sie nicht die Idee vom Eigentum verwerfen und den Besitz von mehr Grund und Wohnung, als man zum Leben braucht, korrekt benennen: als Feudalismus.
Kein Mieter braucht einen Vermieter, der an ihm Geld verdient und ihm vorschreibt, ob er einen Hund haben darf oder einen Balkon oder einen Kachelofen.
Was es hingegen braucht, ist ein Wohnraummanagement, das neben der sozialen Frage unter anderem auch die ökologische erkennt. Noch mehr Ackerland und Grünflächen zu betonieren, ist keine soziale Perspektive, sondern schlicht eine kapitalistische: Gemacht wird, womit sich Geld machen lässt. Für zukunftsfähigere Entscheidungen bräuchte es andere demokratische Prozesse, an denen nicht nur die Nutznießer beteiligt sind, sondern wo auch die Allgemeinheit mit am Tisch sitzt.
Der Wohngipfel im Kanzleramt kann das nicht leisten. Es wird alles beim Alten bleiben. Weil die Erfindung von Eigentum so lukrativ ist.

Timo Rieg ist Diplom-Biologe, Buchautor und Journalist. Er beschäftigt sich beruflich wie privat mit "Nachhaltigkeit". Sein aktuelles Buch: "Demokratie für Deutschland".

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