Wohnen im Hochhaus

Hoch statt Breit - eine Antwort auf die Wohnraumknappheit?

Zu sehen ist das neue Hochhaus mit dem Titel "Upper West" am Breitscheidplatz in Berlin mit seinen zahlreichen Glasfenstern. Der 118 Meter hohe Büroturm wird am 03.05. 2017 eröffnet.
In der Berliner City West wird heute das neue Hochhaus "Upper West" eröffnet. Der Turm am Breitscheidplatz ist 118 Meter hoch. © dpa / picture alliance / Paul Zinken
Christine Hannemann im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 03.05.2017
Negative Debatten über das Hochhaus als Wohnform – das sei spezifisch deutsch, sagt die Architektur- und Stadtsoziologin Christine Hannemann. Hoch statt breit sei eine gute Alternative zur Zersiedelung von Flächen. Sie warnt allerdings vor reinen Luxuswohnprojekten.
Liane von Billerbeck: Heute eröffnet mit dem Hotel Upper West ein weiteres Hochhaus in der Berliner City West, 118 Meter hoch, und damit ist es eines der fünf höchsten Häuser in der Bundeshauptstadt Berlin, wo ja bekanntlich Hochhäuser eher Seltenheitswert haben. Was an der berühmten Berliner Traufhöhe von 22 Metern liegt. Das ist also anders als zum Beispiel in Frankfurt am Main.
Aber - Wohnraum ist überall knapp. Sollten wir also nicht statt in die Breite und aufs Land lieber in die Höhe bauen? Und wer wird sich das leisten können? Nur die Reichen, oder entstehen dann wieder Hochhaus-Slums für die weniger Wohlhabenden? Das will ich wissen im Gespräch mit Christine Hannemann. Sie ist an der Universität Stuttgart Professorin für Architektur und Wohnsoziologie und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Christine Hannemann: Guten Morgen!
von Billerbeck: Das Hochhaus als Wohnform – ist das eine Alternative zur Zersiedelung der Flächen? Also besser hoch statt breit?
Hannemann: Ja. In jeder Hinsicht.
von Billerbeck: Klare Ansage. Ja. So fangen wir erst mal an.

Eine speziell deutsche Debatte über das Wohnen im Hochhaus

Hannemann: Ja, das Hochhaus als Wohnform – ich muss was dazu sagen, da wir ja in Deutschland sind: Dass diese Debatte so nur hier geführt wird. Weil international gesehen, und das ist auch der Bezug des Namens des Hotels, von dem Sie gesprochen haben, Upper West, ist natürlich zum Beispiel die Park Avenue in New York.
Und da wohnen die Reichen, also Trump Tower und so weiter. Und überall auf der Welt ist es sehr üblich, dass Reiche und gut Betuchte in Hochhäusern wohnen. Diese Diskussion, Wohnen in Hochhäusern wird so nur hier bei uns geführt.
von Billerbeck: Das heißt, für wen sind solche Wohnungen, solche Hochhäuser, wenn wir sie denn jetzt wieder bauen würden, finanzierbar? Das ist ja jetzt ein Luxushotel, von dem wir anfangs gesprochen haben, und Sie haben vom Trump Tower und solchen Orten gesprochen. Wir wollen aber über Hochhauswohnen auch für Menschen wie du und ich sprechen. Wird das möglich sein, und wird das auch ein schönes Wohnen sein?

Warnung vor reinen Luxuswohnprojekten

Hannemann: Auf jeden Fall ist es ein Thema der Stadtverdichtung. Und das ist immer auch die Relativierung, die notwendig ist, weil Hochhaus ist nicht gleich Hochhaus. Und Sie finden in München zum Beispiel auch Hochhäusle, also kleinere Formen, nicht ganz so wolkenkratzermäßig, die auch dann für Normalverdienende, gerade eben auch als Verdichtungsprogramm – es geht ja darum, die Flächen, die wir in den Städten haben, zu nutzen –, auch entwickelt worden sind. Und das ist dann völlig unproblematisch.
Es ist ein Problem, finde ich, dass diese Hochhausbauten, die jetzt entstehen, Marco-Polo-Tower, es gibt andere Beispiele in Deutschland, dass das Luxuswohnprojekte sind, die eigentlich niemand braucht in den Städten und die reine Immobilieninvestitionen sind.
von Billerbeck: Warum ist das so, warum kann man nicht einfach Hochhäuser bauen – ich sag jetzt mal einfach – in die auch Wohnungen gebaut werden können, die sich eben Menschen mit ganz normalem Einkommen leisten können und die darin auch ein gutes Leben führen können.
Hannemann: Ja, warum ist das so? Soll ich Ihnen jetzt den Kapitalismus erklären?
von Billerbeck: Ach ja, das wäre mal schön um 8:13 Uhr.

Kultureller Wandel in Bezug auf Wohnobjekte

Hannemann: Natürlich geht es darum, dass das Projekte sind, mit denen Geld verdient wird, mit denen privatwirtschaftlich Geld verdient wird. Und weil eben der Wandel der Lebensformen sich so gestaltet, dass eben das Wohnen für Menschen mit entsprechenden finanziellen Verhältnissen, jetzt auch die Stadt, das urbane Wohnen wieder interessant ist.
Es ist einfach eine kulturelle Entwicklung, die wir da zu verzeichnen haben und die eben dazu führt, dass solche Projekte jetzt dann eben auch verstärkt umgesetzt werden. Es ist im Gegensatz zu den 70er-Jahren, wo ja niemand in der Innenstadt wohnen wollte, ist das ein großer Wandel, der gerade stattfindet.
von Billerbeck: Also man zieht nicht mehr in das Häuschen auf dem Land mit dem kleinen Gärtchen drumherum, sondern man möchte ein anderes Leben haben mit Kultur, mit Familie in der Nähe, mit allen Möglichkeiten, und dafür braucht es eben auch die entsprechenden Wohnungen. Da ist wieder die Frage: Warum bauen wir dann nicht auf sagen wir städtischem Land oder auf genossenschaftlichem Land et cetera Häuser, die mehr in die Höhe reichen und damit unser Wohnraumproblem lösen helfen könnten?

Kein seelenloser Funktionsraum, sondern Spielgebiet für Kinder

Hannemann: Das ist auch wieder eine Frage, die aus der Bautradition von Deutschland sich regional sehr spezifisch beantwortet. Sie haben in der Anmoderation von der Traufhöhe von 22 Metern gesprochen, in Berlin, und solche Regelungen gibt es auch in anderen Städten.
Und es gibt dann auch Diskussionen, ob man den Blick auf die Alpen verbauen soll, in München bei der Hochhausdiskussion. In Stuttgart, hier, wo ich lehre, an der Universität gibt es auch entsprechende Regelungen. Es werden ja Ansätze gemacht, um da Lockerungen zu erreichen.
Und ich möchte mal aus soziologischer Perspektive noch mal die Wohnformen miteinander vergleichen. Es wird ja immer auch diskutiert, in Hochhäusern können keine Familien mit Kindern leben. Da zeigen die wenigen Studien, die es dazu gibt, dass das sehr wohl möglich ist. Weil im Gegensatz zu Häusern, in denen die Erschließung über das Treppenhaus – und Sie kennen das ja, rechts und links ist eine Tür, das heißt dann Zweispänner, wenn diese Häuser zu hoch sind, dann sind die Kontakte im Haus sehr gering.
Aber auf der Hochhausetage, wenn sie entsprechend gestaltet ist und nicht nur als seelenloser Funktionsraum, kann das ein superattraktives Spielgebiet für Kinder sein. Also das ist sehr unterschiedlich, wie das dann eben auch real gewohnt wird.

Hochhäuser - auch für Familien?

von Billerbeck: Das heißt, wir werden in nächster Zeit es erleben, dass wir wieder Hochhäuser bauen und dass dort auch Familien leben können und die auch ein sehr schönes soziales Leben haben können.
Hannemann: Davon ist auszugehen, wenn die Konditionen stimmen, wenn es bezahlbar ist, wenn die entsprechenden architektonischen und räumlichen Figurationen berücksichtigt werden, wenn die Verkehrsanbindung gelöst wird.
Ein Problem bei den Hochhäusern ist ja vor allen Dingen die Sockelzone, der Erdgeschossbereich. Und da können sich Ihre Hörerinnen und Hörer mal Beispiele anschauen. Das ist das ungelöste Problem: Wie soll so ein Gebäude gut in die Stadtlandschaft oder in die Stadt integriert werden? Das ist eine der Fragen, die da für mich zentraler sind: Wie kann ich das urban gestalten, wie kann ich das von der Erlebnisqualität her gestalten? Als generell das Wohnen im Hochhaus insgesamt so in Frage zu stellen oder so.
von Billerbeck: Wohnen im Hochhaus. Viele Konjunktive waren das, einige Antworten und Vorschläge, und vieles was noch zu tun ist. Im Gespräch mit der Architektur- und Wohnsoziologin Christine Hannemann von der Uni Stuttgart. Ich danke Ihnen.
Hannemann: Ja, bitte, gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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