Wölfe und Bären statt Schule und Schiene

Moderation: Liane von Billerbeck · 12.09.2007
Viel Wald und Feld - und wenig Industrie: Immer mehr Menschen verlassen Brandenburg, ganze Landstriche veröden. Um der der Abwanderung zu begegnen, hat der Brandenburger Landtag eine Studie in Auftrag gegeben. Doch diese schlägt das Gegenteil vor, nämlich eine Abwanderungsprämie an Menschen zu zahlen, die aus diesen Gebieten wegziehen wollen, und dafür Naturparks zu errichten. Der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann bewertet das positiv.
Liane von Billerbeck: Die Zahlen sind erbarmungslos: Bis 2050 soll die Bevölkerung Brandenburgs von heute 2, 5 auf unter 1, 8 Millionen Einwohner schrumpfen, schätzt jedenfalls das Statistische Bundesamt. Viel Wald und Feld, immer weniger Menschen. Was tun mit und für die Menschen in diesen entleerten Gebieten? Eine Studie des privaten Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung schlägt nun Wellen, denn in einem Gutachten für den Brandenburger Landtag schlagen die Autoren unter anderem auch Prämien für Abwanderungswillige vor. Am Telefon ist jetzt Prof. Hartmut Häußermann, er ist Stadtsoziologe an der Berliner Humboldt-Universität. Guten Morgen, Herr Häußermann!

Hartmut Häußermann: Guten Morgen!

Billerbeck: Das ist ja noch gar nicht in Gänze bekannt, was da dem Brandenburger Landtag vorgeschlagen wurde, aber es sind einige Schlagworte bekannt wie das Wort Abwanderungsprämie. Das klingt sehr unkonventionell, wie unser Autor auch eben sagte. Wie unkonventionell sind denn die Vorschläge, die Sie da bisher gehört haben?

Häußermann: Also alles, was ich bisher gehört habe, wird seit der Vereinigung im Grunde diskutiert, seit es klar ist, dass die Bevölkerung in Ostdeutschland insgesamt abnimmt und dass davon vor allem die peripheren Gebiete stark betroffen sein werden, sodass man dort wirklich über Strukturveränderungen nachdenken muss. Wenn man genau zuhört – der Herr Klingholz hat ja gesagt, man soll den Leuten, wenn sie wollen, helfen beim Umzug. Also es ist doch an eine freiwillige Bewegung gedacht, und was anderes ist ja bei uns auch schwer vorstellbar.

Billerbeck: Nun ist ja sehr interessant, dass die Brandenburger Politiker schon sehr empört auf das Wort Abwanderungsprämie reagiert haben. Man verweist dann auf die Brandenburger Verfassung, wo es darum geht, dass das Land gleichmäßige Entwicklung aller Landesteile garantieren muss oder auch auf die gesetzlichen Regelungen, das Recht auf gleiche Lebensverhältnisse. Aber eigentlich hat doch die Brandenburger Förderpolitik, nachdem dieses Konzept der dezentralen Konzentration nach der Wende gescheitert ist, darauf gesetzt, dass sie nur noch Wachstumskerne fördern und die Peripherie eben doch etwas links liegen lassen. Ist das nicht so ein bisschen, man tut so als ob?

Häußermann: Das denke ich schon, dass das jetzt ein Theaterdonner ist, weil die Politik ist ja längst auf dem Rückzug aus den Gebieten, wo man auch mit stärkster staatlicher Förderung keine industrielle oder keine ökonomische Entwicklung im Marktsinne mehr anstoßen kann. Das wäre auch Verschwendung von Mitteln. Ein Land kann nicht gegen die Markttendenzen Strukturpolitik machen. Das hat man lange versucht, das ist verschwendetes Geld. Was man machen muss, sind Anpassungsprozesse unterstützen oder sozial abfedern. Diese Überlegung, dass Menschen, die in peripheren Gebieten leben, wo sie nicht mehr leben wollen, weil es keine Schulen, weil es keine Infrastruktur, weil es keine Arbeitsplätze gibt, dass man denen hilft, in Gegenden umzuziehen, wo dann das alles vorhanden ist, wo sie weiter eine Perspektive entwickeln können, das ist, glaube ich, staatliche Aufgabe.

Billerbeck: Das heißt, das Recht auf gleichwertige Lebensverhältnisse ist eigentlich längst aufgegeben?

Häußermann: Das hat eigentlich immer nur auf dem Papier existiert. Wir haben ja seit 50 Jahren immer Beschreibungen von regionalen Disparitäten, Ungleichheiten, die Lebensverhältnisse in den Städten sind immer anders als auf dem Land. Es heißt im Grundgesetz ja auch gleichwertige Lebensverhältnisse, nicht gleiche Lebensverhältnisse. Und das ist ein unglaublich breiter Interpretationsspielraum, der damit eröffnet wird. Was ist denn gleichwertig? In der Stadt haben Sie Lärm, Gestank, haben wenig Platz, hohe Dichte, unterschiedliche Bevölkerungsstruktur. Auf dem Land haben sie Platz, niedrige Mieten und eine homogene Bevölkerung. Also ist das nun gleichwertig? Das ist anders. Es ist aber auch eine Lebensform. Wenn sich das jemand wählt, ist das okay.

Billerbeck: Ein Vorschlag ist ja auch, in diesen menschenleeren Gegenden diese Landschaft wieder zu renaturieren, also dass da Tiere wie Wölfe, Bären, Luchse angesiedelt werden und so eine Art Naturpark errichtet wird. Das könnte ja dann auch wieder Touristen anlocken. Was halten Sie davon und gibt es da Beispiele aus anderen Regionen?

Häußermann: Ja, das ist ja schon praktiziert, ja auch in Deutschland praktiziert, nicht nur in Italien, Schweiz. Das gibt es eigentlich in allen Ländern, auch in Amerika. Wo sich die Industriegesellschaft wieder zurückzieht aus der Fläche, versucht man wieder Natur. Jetzt ist die Frage, was ist Natur. Das ist ja immer menschlich gemacht, das ist ja unsere Kultur, die dort war. Und wie man das gestaltet, ist eine Entscheidung. Sie haben das auch in Sachsen, wo die Braunkohlengebiete waren – riesige Umwälzungsprozesse in der Landschaft, das wird wieder neu gestaltet. Und so wird es vielleicht auch in den peripheren Gebieten sein, und dann wird da auch jemand wohnen müssen, der das macht. Landschaftspfleger, bezahlte Landschaftspfleger, was es auch in den Alpen gibt, in der Schweiz, wo in den Höhen, die früher die Kühe geweidet haben, die haben das Gras festgetreten, so blieb die Erde da. Wenn es die Kühe nicht mehr gibt, wenn die Bauern sich zurückziehen – die werden natürlich auch in der Schweiz immer weniger –, dann erodiert die Erde. Also muss man sich überlegen, der Staat muss das überlegen, ob er sagt, das ist eine Kulturlandschaft, das ist unsere Tradition, das gehört zu unserem Land, das wollen wir erhalten, und dann muss das auch staatlich organisiert und bezahlt werden.

Billerbeck: In der ersten Empörung über diese Studie, die da jetzt noch nicht ganz bekannt ist, ist ja auch sofort wieder das Wort Schwarzmalerei gefallen, wenn man von der Entleerung solcher entfernten Gebiete spricht. Aber Sie haben es in einem Nebensatz auch schon angedeutet, es stecken ja auch alternative Lebensmöglichkeiten in diesen Gegenden. Natürlich nicht für Massen von Menschen, aber für einen gewissen Teil. Wo sehen Sie die?

Häußermann: Für die Städte wird es ja seit einem Jahrzehnt sehr stark diskutiert, ob die abnehmende Einwohnerzahl und auch die abnehmende Intensität der Nutzung von ökonomischen Einrichtungen, ob das nur eine Katastrophe, nur eine schwarze Perspektive ist. Und da ist man schon sehr viel weiter, indem man sagt, es gibt ja auch andere Perspektiven, andere Lebensformen, andere Wirtschaftsformen, die dann in solchen Gebieten, wo sich die Ökonomie zurückzieht, dann die Preise fallen, man kann vielleicht mit wenig Geld einen alten Bauernhof kaufen oder irgendein Wohnhaus und kann dann dort andere Lebensformen, die sich nicht auf die Märkte orientieren, die nicht im Wettbewerb mit globalen Wettbewerbern bestehen wollen, die sich dort entwickeln können. Es gibt von Italien kommend, das gibt es auch in Deutschland schon, die sogenannte Slow-Food-Bewegung, die sagen, wir wollen nicht dieses hektische Konkurrieren auf dem Weltmarkt, sondern wir wollen mit lokalen Ressourcen lokale ökonomische Kreisläufe, ein ruhiges Leben, ein schönes Leben, schöne Häuser haben, und darauf legen wir Wert. Und wir beteiligen uns nicht daran, mit Hongkong und China oder Indien zu konkurrieren. Also andere Lebensentwürfe, andere Entwürfe fürs Wirtschaften, lokal geschlossene Kreisläufe – das ist auch ökologisch sinnvoll, das ist nachhaltig. Und es gibt Leute, die das bevorzugen. Und für die gibt es dann Räume, das zu tun.

Billerbeck: Wölfe und Bären statt Schule und Schiene. Über Vorschläge für die sich leerenden Gebiete im Osten Deutschlands sprachen wir mit dem Stadtsoziologen Hartmut Häußermann. Ich danke Ihnen.

Häußermann: Bitte schön!
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