Fotoband über Singapur

Wo künstliche Welten und Natur sich berühren

07:38 Minuten
Blick auf einen Teich mit Seerosen auf dem eine dunkle Plattform schwimmt. Am oberen Rand spiegelt sich die Stadt im Wasser. Die Töne sind dunkel gehalten.
Die Fotografin Julia Steinigeweg entschied sich für eine cineastische, düstere Optik, um ihren Bildern etwas Fiktionales zu geben. © Julia Steinigeweg
Julia Steinigeweg im Gespräch mit Gesa Ufer · 15.10.2020
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Julia Steinigewegs Fotobuch "I Think I saw her blink" porträtiert Singapur als ein Land, in dem Grenzen zwischen Künstlichem und Natur verschwimmen. Es herrschen ein „naiver Technikoptimismus“ und „anderer Umgang mit Natürlichkeit“, sagt die Fotografin.
Nadine kann Englisch, Hindi, Chinesisch, Japanisch, Französisch und Deutsch und arbeitet bei einer Versicherung. Sie ist ziemlich bemerkenswert, nicht nur wegen der umfangreichen Sprachkenntnisse: Denn Nadine ist der Klon der Computer-Pionierin Nadia Magnenat Thalmann – und ein Roboter.
Die Hamburger Fotografin Julia Steinigeweg interessiert sich schon seit Langem für die Verbindung von Mensch und Technik. Vor einiger Zeit hat sie beispielsweise Männer und Frauen porträtiert, die mit Sexpuppen zusammenleben. Sie wollte unbedingt Nadine und Nadia fotografieren – und reiste dafür in deren Heimat Singapur.
Blick von unten in ein Glasdach. Es steigt Nebel auf und Pflanzen sind unscharf zu erkennen.
Künstlicher Wasserdampf sorgt für einen natürlichen Look. In einer Botanik-Ausstellung in Singapur.© Julia Steinigeweg
Entstanden ist bei dieser Reise allerdings sehr viel mehr: ein Fotoband mit dem Titel "I Think I saw her blink", der ein umfangreicheren Blick auf das Land und die fließenden Grenzen zwischen künstlichen und natürlichen Welten wirft.
"Ich habe vor Ort gemerkt, dass Nadin nicht zufällig an diesem Ort geschaffen wurde", sagt Steinigeweg. Denn in dem Land herrsche ein naiver Technikoptimismus. Singapur verstehe sich als "Silicon Valley" Asiens. "Es herrscht ein ganz anderer Umgang mit Natürlichkeit. Das hat mich überrascht."
So werde beispielsweise während einer Botanikausstellung in einem großen Gewächshaus als Highlight zu bestimmten Zeiten künstlicher Nebel erschaffen, damit die Pflanzen in einem natürlich anmutenden Dunst liegen.

Keine fröhliche, bunte Szenerie

Auf den Bildern von Steinigeweg erinnert allerdings wenig daran, dass die Besucher des Botanikparks sich Vergnügen und Erholung erhoffen. Düster breitet sich die Pflanzenwelt vor dem Betrachter aus: weniger wie eine bunte, fröhliche Szenerie, denn wie ein Dystopie aus dem Film "Blade Runner". Eine durchaus etwas ironisch gemeinte Brechung des positiv-bunten Singapur-Klischees, betont Steinigeweg.
Blick von oben auf einen Platz mit Menschen. Die Töne des Bildes sind dunkel gehalten.
Flanieren unter der Kuppel des übergroßen Gewächshauses in Singapur.© Julia Steinigeweg
"Es herrscht ein sehr freundliches Miteinander." Dafür sei Singapur bekannt. Gesellschaftliche Probleme wie die Todesstrafe, weitreichende Überwachungsmaßnahmen oder Niedriglöhne werden darüber oft ausgeblendet. Deswegen habe sie sich fast ein wenig wie in der Truman Show gefühlt: einem Film über eine überdimensioniertes Filmset unter einer großen Glocke, in der das reale Leben den Protagonisten vorgegaukelt wird.
Über ihr Unwohlsein bezüglich der Verquickung von künstlicher Welt und Natur habe sie lange gerätselt, erzählt die Fotografin weiter. Vor allem bereite ihr Sorge, dass technische Erneuerungen Bisheriges verdrängen und abschaffen könnten. Und seien dies nur Höfflichkeitsfloskeln wie Bitte und Danke, die durch Sprachassistenten wie Siri oder Alexa in Vergessenheit geraten könnten.
(lkn)

Julia Steinigeweg: "I Think I saw her blink"
Kerber Verlag, Bielefeld 2020
21 farbige Abbildungen, 68 Seiten, 24 Euro

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