Wo Kleidung zu Mode wird

07.03.2012
Wie wird aus Kleidung der letzte Schrei? Und wer entscheidet darüber, was in ist und was out? Gertrud Lehnerts Sammelband "Räume der Mode" ist ein Muss für alle, die sich mit Mode wissenschaftlich auseinandersetzen.
Die akademische Modeforschung hat einen Paradigmenwechsel erlebt: Heute gilt Mode nicht länger als Aussage über einen sozialen Status. Stattdessen rückt Mode in Zeiten global verfügbarer Kollektionen, Modeblogs und Street-Styles als Phänomen der individuellen Wahrnehmung in den Blick.

"Kleider kommen nicht als Mode zur Welt, sondern müssen erst dazu gemacht werden", schreibt Gertrud Lehnert in ihrem Vorwort. Mit einiger Verspätung ist so die Austreibung des Essentialismus auch in der Modeforschung angekommen: Lange Zeit wurde die Geschichte der Mode als Abfolge genialer Modeschöpfer beschrieben, die - angefangen vom Erfinder der Haute Couture Charles Frederick Worth bis zum Nachkriegsdesigner Christian Dior - die Welt mit immer neuen Modekreationen begeisterten. Mode war, was diese Designer auf den Laufsteg brachten.

Und heute? Die amerikanische Kritikerin Suzy Menkes wird mit den Worten zitiert, dass der "Monolog" der Modeschöpfer einem "Konzert" gewichen sei, bei dem Designer, Marketingstrategen, Kritiker, Blogger und Modebegeisterte aus aller Welt mitbestimmen, welcher Kleidung der Status von Mode gebührt.

Vor diesem Hintergrund richten die 17 Kunst-, Literatur-, Theater- und Kulturwissenschaftler den Blick auf eine bis dato unterbelichtete Kategorie - der Rolle von "Räumen" bei der Entstehung von Mode - wie etwa dem Pariser Stadtpark "Bois de Boulogne", wo sich im 19. Jahrhundert eine radikal neue weibliche Silhouette durchsetzte. Hier eroberten modebewusste Parisiennes schrittweise den öffentlichen Raum. Die städtische Promenade im "Bois de Boulogne" wird als Vorbedingung und Ausdruck zugleich für eine Mode beschrieben, die Frauen mehr Bewegungsfreiheit bot. Die Modenschau ist ein weiterer Raum, der seit den 1990er Jahren immer komplexer inszeniert wird. Modenschauen, so eine These, nähern sich Performances an, die die Grenze zwischen Kunst und Mode verwischen. Zur gleichen Zeit erobert Mode einen festen Platz im internationalen Museumsbetrieb.

Die Beiträge des Sammelbandes basieren überwiegend auf Vorträgen, die während einer interdisziplinären Tagung im Berliner Kulturforum gehalten wurden. Dabei fällt auf, dass in der aktuellen Modeforschung verstärkt Theorien fruchtbar gemacht werden, die etwa in den Kulturwissenschaften längst zum Kanon gehören - so steht "Räume der Mode" auch für den (überfälligen) Anschluss der Modeforschung an zeitgenössische Diskurse der Geisteswissenschaften.

Mitunter erschwert die akademische Sprache den Lesespaß, doch insgesamt überzeugt der Sammelband als facettenreicher Einblick in die Rolle "modischer Räume". Zahlreiche Abbildungen von Modefotografien, historischen Druckgraphiken und Gemälden, die im Anhang auch in Farbe abgedruckt sind, illustrieren die Texte. Ein interessantes "Muss" für alle, die sich mit Mode wissenschaftlich auseinandersetzen.

Besprochen von Tabea Grzeszyk

Gertrud Lehnert (Herausgeberin): Räume der Mode
Wilhelm Fink Verlag, München 2012,
312 Seiten, 39,90 Euro
Mehr zum Thema